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# taz.de -- Wie man aus Altem Neues lernt: Livius und die Linkspartei
> Wer altert, muss auch mit dem Schwinden der eigenen Kapazitäten
> zurechtkommen. Bei der Bewältigung der Gegenwart können manchmal
> Klassiker helfen.
Bild: Die Reichen müssen zahlen? Na klar! Nur: Wer kann sie dazu zwingen?
Langsam läuft sie aus, diese kleine Kolumne übers Haushalten. Sind
Schmutzecken zurückgeblieben, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat, dunkle
Gegenden, in die vorzudringen ich nicht wagte?
Gewiss – und wer weiß, welche ich in den verbleibenden Texten noch den Mut
haben werde auszuleuchten. Da Schmutz sich ständig reproduziert, hat diese
Aufgabe eh kein Ende. Und doch steht die eigene Endlichkeit mit 56 Jahren
oft so unübersehbar vor mir, dass ich mich wundere, wie ich sie all die
Zeit zuvor habe ignorieren können.
Wenn ich mich vorerst in eine Liste der Dahingeschiedenen rette, dann sehe
ich da meine Omas – [1][die Opas hatten sich vor meiner Zeit verabschiedet]
– und Tanten, mein Vater, [2][mein Sandkasten- und mein Schulfreund.] Ihre
Unwiederbringlichkeit steht in letzter Zeit oft krass vor mir; und führt
mich dann doch wieder nur auf das eigene Verschwinden zurück.
Und dabei ist es weniger das eigene Schwächerwerden – das intellektuell,
seelisch und körperlich nicht zu leugnen ist – als vielmehr die
unverminderte, mir oft manisch erscheinende Energie der Altergenossen, die
meine Lebenslust mindert. Dabei ist meine Erfahrung, dass Entspannung eher
zum Ziel führt als Anstrengung. Was mir leichtfiel, bekam jedenfalls in der
öffentlichen Sphäre immer mehr Anerkennung als das, was ich mir mühsam
abverlangte.
## Besser nicht Skifahren lernen
Auch das ist zum Teil eine Altersfrage: So rate ich in letzter Zeit
regelmäßig Bekannten aus dem Flachland ab, sich noch auf das Erlernen des
alpinen Skifahrens einzulassen, und werde selber auf kein Pferd mehr
steigen – denn bei dem, was Hänschen spielerisch gelernt hat, tut Hans sich
oft sehr, sehr weh.
Ist es uns Älteren also überhaupt verwehrt, Neues zu lernen? In einer der
Bücherkisten, die regelmäßig vor den Häusern der besseren Wohngegenden
stehen, fand ich kürzlich ein zweisprachiges Reclam-Bändchen: Livius,
„Römische Geschichte, 4. Buch“.
In diesem Teil geht es im Wesentlichen darum, dass die unteren Schichten
Forderungen nach einem größeren materiellen und mitbestimmenden Anteil am
Gemeinwesen formulieren, die von den Oberen regelmäßig umgebogen werden,
indem sie zum Krieg rüsten, der Aussicht auf Beute verspricht. Die Unteren
zieren sich erst, machen dann aber doch mit und wählen am Ende wieder die
Vertreter der Oberen in die höchsten Staatsämter.
Zu lernen ist hier, was man schon weiß, aber immer wieder vergisst: Es gibt
im Staat keine Umverteilung des Bestehenden, sondern nur Aufteilung des neu
Erworbenen – ob man nun den Nachbar überfällt oder mittels
Wirtschaftswachstum die Natur ausbeutet.
## Geschwätzige Umverteilungsrhetorik
Diese Regel ist nur ausgesetzt, wenn es zu schwerst gewalttätigen
Umwälzungen durch Kriege, Pandemien, Revolutionen oder Umweltkatastrophen
kommt. Der Historiker Walter Scheidel hat dazu ein [3][dickes,
deprimierendes Buch] geschrieben („The Great Leveler: Violence and the
History of Inequality from the Stone Age to the Twenty-First Century“).
In Wirklichkeit, lerne ich, geht es bei mir nicht mehr darum, dazuzulernen,
wo Meisterschaft eh nicht mehr zu erringen ist; es geht darum, das Gelernte
nicht zu verlieren und auf neue Situationen anzuwenden – in dem Fall etwa
auf eine [4][linke Umverteilungsrhetorik], die bei einer nicht extrem
krisenhaften Entwicklung bloßes Geschwätz bleiben muss, was die
Wähler:innen natürlich früher oder später kapieren und sich abwenden –
Grüße an die Linkspartei zur nächsten Wahl 2029.
13 Jun 2025
## LINKS
[1] /Die-Deutschen-und-der-Krieg/!6059911
[2] /Nachruf-auf-einen-wilden-Freund/!5925898
[3] https://www.perlentaucher.de/buch/walter-scheidel/nach-dem-krieg-sind-alle-…
[4] https://www.deutschlandfunk.de/co-chef-van-aken-neue-regierung-wird-reiche-…
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Kolumne Das bisschen Haushalt
Altern
Ungleichheit
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