# taz.de -- Abkommen mit Kurden in Syrien: Am Checkpoint von Ashrafiyeh | |
> Die kurdischen Viertel in Aleppo wurden bislang von kurdischen Kräften | |
> kontrolliert. Nach einem Abkommen mit der Regierung sollten sie abziehen | |
> – eigentlich. | |
Bild: Der Krieg ist in Syrien noch immer sichtbar: ein Straßenzug in Ashrafiyeh | |
Aleppotaz | Ein Checkpoint – ein schlichtes Tor aus Wellblech und | |
Eisenstangen, gebaut über eine zweispurige Straße – bildet die Grenze | |
zwischen Ashrafiyeh, einem von zwei kurdisch geprägten Viertel Aleppos, und | |
dem Nachbarquartier. Darauf thronen verschiedene Flaggen: Die des neuen | |
Syriens – schwarz, weiß, grün, drei Sterne. Und die der „Asayish“, der | |
kurdischen Sicherheitskräfte – eine Sonne mit anfliegendem Falken auf | |
hellblauem Hintergrund. | |
Vor dem Checkpoint stauen sich im Sonnenuntergang ein Dutzend Autos und | |
Minivans. Wer ihn überqueren will, muss aussteigen: und zu Fuß laufen, über | |
einen kleinen Berg aus Schotter zwischen zwei Betonpollern. Sandsäcken, | |
Bauschutt und Erde versperren abseits des Checkpoints den Eingang ins | |
Viertel. Der Rest von Aleppo ist überwiegend sunnitisch geprägt. Seit über | |
zehn Jahren kontrollieren kurdische Streitkräfte die beiden Viertel. | |
Das soll sich nun ändern: Am 10. März, drei Monate nach dem Fall des alten | |
Regimes von Baschar al-Assad, unterschrieben der Anführer der kurdischen | |
Milizen in Syrien, Mazloum Abdi, und der neue syrische Präsident Ahmed | |
al-Scharaa ein Abkommen: Es soll die SDF, die Streitkräfte des | |
selbstverwalteten kurdischen Nordostens Syriens, in die staatliche Armee | |
integrieren. Ein Schritt in diese Richtung ist [1][die Vereinbarung über | |
den Abzug der kurdischen Kräfte innerhalb Aleppos]. Wenige Tage später | |
verließen laut lokalen Medien Einheiten der SDF die Stadt Aleppo gen Osten. | |
Doch offenbar sind die kurdischen Sicherheitskräfte bisher nicht | |
vollständig abgezogen. Obwohl einige Checkpoints innerhalb der Viertel seit | |
dem Abkommen verwaist sind, bleiben kurdische Sicherheitskräfte präsent, an | |
den Checkpoints der beiden Viertel Ashrafiyeh und Scheich Maqsoud. Das | |
bestätigen mehrere Einwohner*innen der taz. Die Soldaten am Checkpoint | |
tragen Olivgrün oder Tarnfleck. Seit dem Abkommen hätten sie die kurdischen | |
Symbole von ihren Uniformen entfernt, sagt eine Anwohnerin. | |
## Eine Viertelstunde Stau am Checkpoint | |
Dass die beiden Viertel überhaupt so lange von kurdischen Kräften geschützt | |
wurden, hat mit dem Krieg in Syrien zu tun: Im Sommer 2012 drangen Rebellen | |
in die Stadt vor, das Assad-Regime reagierte mit heftigen Bombardements. | |
[2][Mit dem Rückzug der syrischen Staatsstreitkräfte aus den kurdischen | |
Vierteln zu dringenderen Fronten übernahmen YPG-Kämpfer die Kontrolle]. Sie | |
ist der bewaffnete Arm der Partei der Demokratischen Union in Syrien und | |
gilt als PKK-nah. Zwischen 2012 und 2016 kämpften Rebellen und Regime um | |
die Stadt. Die syrische Luftwaffe, unterstützt von russischen | |
Streitkräften, bombardierte sie schwer. Hunderttausende wurden vertrieben, | |
Zehntausende starben, die Stadt wurde zerstört. Als die Truppen Assads 2016 | |
die Kontrolle über die Stadt zurückerlangten, zogen sich die Rebellen | |
zurück. Es blieben zwei kurdische Enklaven unter Kontrolle der SDF. | |
Für die Bevölkerung hat das Konsequenzen im Alltag: „Wir müssen manchmal | |
eine Viertelstunde warten. Es gibt Stau an den Checkpoints, weil nur zwei | |
Straßen offen sind“, sagt Zeinab Heidar, eine 34-jährige Kurdin, die seit | |
sieben Jahren in Ashrafiyeh lebt. „Aber die Viertel sind sicherer als | |
andere Teile Aleppos.“ Sie fühle sich durch die Anwesenheit der kurdischen | |
Polizei und des Militärs beschützt, etwa vor Anschlägen. Und auch in ihrer | |
Freiheit: „Wir können nachts frei rumlaufen, im Sommer kurze Kleidung | |
anziehen.“ | |
Etwa zwei Millionen Kurd*innen leben in Syrien, 5 bis 10 Prozent der | |
Bevölkerung. [3][Unter Assad waren die Kurd*innen marginalisiert], teils | |
staatenlos. Auch die kurdische Sprache wurde nie offiziell anerkannt. Die | |
Kurden gelten oft als liberaler als die arabische Mehrheit. In den | |
kurdischen Vierteln Aleppo sorgen sich so einige Menschen vor der neuen | |
Regierung. Zwar garantiert das Abkommen zwischen SDF und Übergangsregierung | |
ihnen Freiheit, doch der islamistische Hintergrund der neuen Machthaber | |
schreckt manche. | |
Bisher fühlt sich Zeinab Heidar in ihrem Viertel Ashrafiyeh sehr sicher. In | |
enger Jeans und weißem Pullover läuft sie mit schnellen Schritten durch die | |
staubigen Straßen, die braunen Haare hochgesteckt. Ihre elegante | |
Erscheinung scheint kaum zur Umgebung – den zerstörten Gebäuden, dem Müll | |
an den Straßenrändern – zu passen. Sie zeigt auf eine Reihe von | |
Wohnhäusern, die cremefarbenen Ziegel sind mit Einschüssen durchlöchert. | |
## Zu Fuß über den Checkpoint in das andere Aleppo | |
Zuerst kam der Krieg nach Aleppo und dann das Erdbeben, im Jahr 2023. Viele | |
Einwohner*innen bauten ihre Häuser nach beiden Ereignissen nicht wieder | |
auf. Ihnen fehle das Geld, sagt Heidar. Aus dem Viertel Ashrafiyeh etwa | |
seien viele ausgewandert, auch ins Ausland. Heidar ist Anwältin, und findet | |
doch selbst gerade kaum Arbeit. Sie wünscht sich, „dass die Menschen | |
zurückkommen, ihr Zuhause wieder aufbauen“. Und Sicherheit für alle | |
Kurd*innen in Syrien. | |
Wer Ashrafiyeh wieder verlassen will, durchläuft dasselbe Prozedere wie auf | |
dem Weg hinein: Der Taxifahrer hält vor dem Checkpoint. Zu Fuß geht es | |
hindurch, auf die anderen Seite, in das andere Aleppo. | |
Eine Anfrage der taz an die SDF, wie lange noch kurdische Streitkräfte in | |
den beiden Vierteln verbleiben werden, bleibt bislang unbeantwortet. Am Tag | |
der Recherche dieses Textes gab die staatliche Nachrichtenagentur Sana | |
bekannt: Ein zweites Kontingent von SDF-Kräften habe Ashrafiyeh und Scheich | |
Maqsoud verlassen. | |
Mitarbeit: Lisa Schneider | |
13 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Serena Bilanceri | |
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