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# taz.de -- Unterwegs auf der Leipziger Buchmesse: Eine Welt voller brunftiger …
> Eine Autorin hasst Fußball. Die Sprache Balbuta reüssiert in Leipzig. Ein
> ukrainischer Journalist will über Isoljazija aufklären. Ein
> Messerundgang.
Bild: Sehr präsent auf der Leipziger Buchmesse 2025: der belarussische Exil-Sc…
Am Abend wird es dann doch noch lustig. Im Leipziger Werk 2 sitzt Barbi
Marković auf der Bühne [1][und rechnet mit einem besonders bei Männern
beliebten Rasensport ab]. „Dies ist ein Buch gegen Fußball“, sagt sie und
stellt im Rahmen eines Verlagsabend von Voland & Quist ihr kürzlich
erschienenes „Piksi-Buch“ vor.
Marković, 45, ist in Belgrad aufgewachsen, lebt heute in Wien, und
beschreibt im „Piksi-Buch“ die postjugoslawische und Belgrader Fußballwelt
aus autobiografischer Perspektive: Ihr Vater hat sie als Kind ständig mit
ins Stadion genommen, obwohl sie nichts mit dem Sport anfangen konnte.
Die Auszüge liest Marković in charmantem Wienerisch mit leichtem serbischen
Akzent. Jeden ihrer Geburtstage habe sie im Stadion verbracht; als sie acht
Jahre wird, hänge sie mal wieder auf der Tribüne und schaue „dem
Rasengeschehen nicht zu. Ein Mann hat gerade schlimme Sachen über die
Mutter des Schiedsrichters geschrien. Ich mache mir Sorgen um den
Schiedsrichter und seine Familie.“ Marković ist die Meisterin der
lakonischen Hauptsätze, das hat sie auch schon in „Mini-Horror“ gezeigt,
für das sie 2024 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt.
Es geht dann im Gespräch mit Moderator Cornelius Pollmer und dem
kroatischen Schriftsteller Edo Popović (der sein Buch „Der Pudel des
Staatsführers“ vorstellt) auch um das Politische im Fußball während der
Umbruchszeit in Jugoslawien. Sie sprechen über die Gewalt und die Krawalle
im Zuge des geplanten Spiels Dinamo Zagreb gegen Roter Stern Belgrad im
Jahr 1990, das dann abgesagt wurde. Und über das (verlorene) WM-Spiel
Jugoslawiens gegen Argentinien im selben Jahr. Beides vorgezogene
Schlussakte des geeinten Jugoslawiens.
Die beiden Autor:innen blicken dann auch noch aufs heutige Serbien und
Kroatien. Während Marković die klugen und engagierten Student:innen
lobt, [2][die gerade in Belgrad auf die Straßen gehen und aufbegehren],
beklagt Popović, dass es im trägen Kroatien einfach immer so weitergehe,
von Korruptionsskandal zu Korruptionsskandal. In Kroatien gehe es zu wie in
einer „Schafsherde“, sagt er. „Es stinkt ein bisschen, aber es ist auch
warm, und man kann sich leicht zurechtfinden.“
***
Der belarussiche Schriftsteller Alhierd Bacharevič ist sehr präsent bei
dieser Messe, er hat ja auch [3][den Leipziger Buchpreis zur Europäischen
Verständigung erhalten]. Und eine neue Sprache in den Diskurs gebracht:
Balbuta. Die erfundene Sprache stammt aus seinem Werk „Europas Hunde“,
Teile des Romans sind in Balbuta geschrieben. Bei einer Veranstaltung am
frühen Abend im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig sagt er: „Ihr müsst euch
vor allem zwei Balbuta-Worte merken: 'Bu samoje!“'. Das sagt man in Balbuta
zur Begrüßung und zur Verabschiedung. Es heißt so viel wie: ‚Sei frei!‘�…
Exiilautor Bacharevič weiß, dass jene seiner Landsleute, die in Belarus
geblieben sind, von Freiheit nur träumen können. Dort dürfen sie seine
Bücher nicht einmal lesen, sich zumindest nicht dabei erwischen lassen.
„Europas Hunde“ und ein weiteres Bacharevič-Werk sind im Lukaschenka-Reich
verboten. „Ich bin von meiner Leserschaft in Belarus abgeschnitten, das
macht mich traurig“, sagt er. An die Leserschaft in seinem Heimatland
versende er gelegentlich Pdfs.
Auch Thomas Weiler sitzt mit auf dem Podium. Weiler hat „Europas Hunde“
kongenial ins Deutsche übertragen, hier gibt er einen kleinen Einblick in
die Übersetzerwerkstatt. Er erklärt, wie solche eindrücklichen Assonanzen
und Alliterationen entstehen wie die Beschreibung frühpubertärer Jungs in
dem Roman: „Breitohrige Basilisken, schüttere Bärtchen über dürftigen
Lippen, brünstig-klebrige Hände, brüchige Fistelstimmen, Bombenkrieg im
Oberstübchen: brunftige Brüllaffen.“ Einige Wörter aus dem Original seien
gesetzt, drum herum assoziere man als Übersetzer frei, das sei die schönste
Arbeit.
Weiler wurde am Donnersatg für ein anderes Buch — [4][„Feuerdörfer.
Wehrmachtsverbrechen in Belarus – Zeitzeugen berichten“] — mit dem Preis
der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung ausgezeichnet.
Es ist insgesamt eine Messe, in der Osteuropa – endlich, zum Glück,
natürlich auch der Weltlage geschuldet – breite Aufmerksamkeit erfährt. Der
osteuropäische Humor sei auch schon zuvor geschätzt worden, inzwischen aber
verstünden die Besucher:innen so langsam, worum es gehe, meint
Bacharevič: „Früher kamen die Menschen zu Veranstaltungen mit
osteuropäischen Autoren um zu lachen. Heute kommen sie, um zu denken. Dafür
bin ich dankbar.“
***
Worum es den Osteuropäer:innen geht, das kann man bei einer
Veranstaltung mit Stanislaw Assejew am Nachmittag auf traurige Art und
Weise nachvollziehen. Assejew ist zum Stand der Ukraine gekommen, um mit
Journalistin Sabine Adler über sein Buch „Heller Weg, Donezk“ zu sprechen.
Stanislaw Assejew ist in Donezk geboren und aufgewachsen, er arbeitete dort
als Journalist und kam 2017 in russische Gefangenschaft. Über zwei Jahre
verbrachte er im Gefängnis Isoljazija (Isolation). Folter mit Strom,
Vergewaltigung und Prügel waren dort an der Tagesordnung, Assejew
bezeichnet das Gefängnis als „Modell des heutigen Russland“; in der Tat
symbolisert es Putins System des Überwachens und Strafens.
Assejew nutzt sehr bewusst den Begriff des „modernen Konzentrationslagers“
für Isoljazija. Er verstehe, sagt er nach der Veranstaltung, dass das in
Deutschland zu irritierten Raktionen führe, aber Lager dieses Charakters
hätte es nun mal – ob in der Sowjetunion, bis zuletzt in Syrien oder in
Nordkorea – auch andernorts gegeben, sein Vergleich beziehe sich nicht auf
Vernichtungslager. Er gehe davon aus, dass in Isoljazija heute noch genauso
gefoltert werde wie seinerzeit, auch wenn die letzten verifizierten
Informationen aus dem Gefängnis von 2021 stammten.
Als es zu Beginn des Panels um die Verhandlungen mit Russland geht, platzt
es aus ihm heraus: „Es sind keine Kompromisse mit Russland möglich.“ Die
derzeitigen Verhandlungen könnten nur vorübergehenden Charakter haben, es
gehe Putin ausschließlich um Territoriumserweiterung.
Stanislaw Assejew hat inzwischen den [5][Justice Initiative Fund]
gegründet, um Kriegsverbrechen und Folter durch Russland zu dokumentieren.
Ein „Danach“, einen Tag nach dem Krieg, kann er sich aktuell nicht
vorstellen. Dazu müsse man sich neben dem Ende Putins eine russische
Zivilgesellschaft vorstellen, die Verantwortung übernehme – eine solche
aber sehe er nirgends.
28 Mar 2025
## LINKS
[1] /Autorin-Barbi-Markovic-ueber-Sport/!6047181
[2] /Widerstand-in-Serbien/!6074782
[3] /Preis-fuer-belarussischen-Schriftsteller/!6074424
[4] /Leipziger-Buchpreis-fuer-Kristina-Bilkau/!6078786
[5] https://jif.fund/en
## AUTOREN
Jens Uthoff
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