# taz.de -- Roman in Geschichten von Uszula Honek: Das Hinken des Schreiadlers | |
> Klagelieder aus den Beskiden – Urszula Honek erzählt in ihrem Prosadebüt | |
> klangvolle Geschichten vom Alltag in einem polnischen Dorf. | |
Bild: Zeitlose Landschaft in den polnischen Beskiden | |
Wenn nicht mal der Schlaf kurzzeitig Erlösung bietet, eine Pause von Arbeit | |
und Alltag, dann hat das Elend einen wirklich vollumfänglich verschluckt. | |
„Hoffentlich träumen wir nichts“, ist so ein Satz, der bezeichnend ist für | |
die Figuren, die Urszula Honek mit dunklem Federstrich zeichnet. „Jeder | |
bekommt den Tod, den er verdient“, lässt sie später eine Frau sagen, die es | |
ihrem Retter nie vergeben konnte, dass der sie aus dem Fluss zog, die | |
Taschen voller Steine und bis zum Hals in den Fluten. | |
Es sind nicht alle so verbittert, in dem kleinen Dorf [1][in den polnischen | |
Beskiden], von dem „Die weißen Nächte“ erzählen. Doch da der Tod in jedem | |
Haus schon einmal Gast war, kommt er selten gänzlich unerwartet – oder | |
unverhofft. | |
Ein richtiges, gar ein bestes Alter gibt es in Honeks Roman nicht. All ihre | |
Figuren sind entweder zu alt oder zu jung. Die Gegenwart rückt ihnen | |
gleichermaßen zu Leibe. „Man wird alleingelassen, und keiner fragt, ob man | |
morgens aufgestanden ist, oder was für eine Farbe man mag. Das wirst du | |
noch sehen“, warnt eine Großmutter ihre kleine Enkelin. | |
Es sind jedoch kaum die Erwachsenen, die ihre Kinder erziehen, vielmehr ist | |
es das Dorf selbst – oder die Natur, die Triebe, die in den Pflanzen wie in | |
den Männern wohnen. Eine Mutter, die fürchtet, ihre Tochter könnte ein | |
weiteres uneheliches Kind bekommen, weiß um die Umstände, die auf dem Land | |
zu Schwangerschaften führen. „Er muss dir gar nicht gefallen“, sagt sie. | |
„Es reicht, wenn du ihm nur ein bisschen gefällst.“ | |
## Zeitlose Landschaft | |
Die Landschaft, die sich im Roman vor der Leserin auftut, ist eigentümlich | |
zeitlos. Nur hie und da blühen Erinnerungen, etwa an die [2][NS-Zeit] auf, | |
ansonsten liegt Stillstand wie dichter Nebel über dem Dorf. Das einzige, | |
was sich ändert, ist das Wetter, und das auch immer auf die gleiche Weise. | |
Es sind meist bereits Bekannte, die Männer und Frauen, die in „Die weißen | |
Nächte“ auftauchen, denn es ist tatsächlich ein Roman in Geschichten, wie | |
auf der ersten Seite angekündigt. Sprechen die Schwestern, Nachbarinnen | |
oder Freunde derer aus den vorherigen Kapiteln, scheinen selten | |
Widersprüche auf. Nie wird überschrieben, lediglich ergänzt. Für große | |
Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung scheint weder Zeit noch | |
Raum vor dieser so kargen Dorfkulisse. | |
Urszula Honek, die zuvor statt Prosa nur Gedichtbände veröffentlicht hat, | |
beweist große Kunstfertigkeit, von Menschen, die eigentlich kaum über eine | |
Sprache verfügen, derart wortgewandt zu erzählen. [3][Poesie] steckt im | |
Knirschen des Schnees wie im Hinken des Schreiadlers, und indem Honek genau | |
zuhört, scheint sich ihre Elegie wie von selbst in Hauptsätzen | |
niederzuschreiben. | |
31 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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