# taz.de -- Hieronymus Bosch auf der Bühne: Triefender Granatapfel und Katzenm… | |
> Die saftigen Visionen des Malers von Sünde und deren Bestrafung werden in | |
> Osnabrück zu einem apart designten Musik-Tanz-Film-Theaterabend. | |
Bild: Da kommt keine „immersive Animation“ mit: Bosch-Figuren auf der Bühn… | |
Osnabrück taz | Hinein ins begehbare Panoptikum der fantastischen | |
Schreckenswelt des „Hieronymus B.“, und ja: „B.“ wie Bosch. Eingeladen … | |
dieser Choreografie hat Nanine Linning, nach 13 Jahren gestaltet sie | |
erstmals wieder in Osnabrück einen Musik-Tanz-Film-Abend mit Bezug zur | |
Bildenden Kunst. | |
Das Orchester spielt Barockmusik, die eine Auftragskomposition von Michiel | |
Jansen in die Moderne fortschreibt. Das Publikum wandert erstmal in drei | |
Gruppen durchs [1][Theater am Domhof] und wogt auf der Bühne hin und her – | |
zwischen belebten Installationen, deren Bildsprache Boschs | |
Weltgerichtsgemälde, vor allem aber seinem „Garten der Lüste“ entstammen, | |
genauer der rechten Seite dieses Triptychons, die purgatorische Peinigung | |
für sündige Menschen illustriert. | |
Aus dem Schlaf der Vernunft geborene Unterweltsvisionen sind es und hatten | |
in Boschs 15./16. Jahrhundert den klaren moralischen Anspruch des | |
erstarkenden Bürgertums, doch bitte gottgefälliger zu leben. | |
In der tänzerischen Verlebendigung sind Boschs verführerische und | |
bedrohliche Monsterwesen, Fabeltiere, allegorische Chimären und all die | |
weiteren Seltsamkeiten viel eindrücklicher, als sie es in | |
3-D-Animations-Ausstellungen je waren. | |
## Alle wirken schmerzgepeinigt | |
Wie von ihm gemalt ist in Osnabrück eine Frau in Harfensaiten wie in einem | |
Foltergerät verstrickt; durch einen Schlüsselring schlängelt ein Akrobat, | |
ein anderer entwindet sich einem Metallgefängnis; zum Würfelspiel animiert | |
ein Kröterich; aus einem messerdurchbohrten Ohr wird eine Frau geboren. | |
Zwischen den Zuschauer:innen tanzen in hautfarbenen Trikots entblößte | |
Menschen mit aufgenähten Gummibrüsten. Alle wirken schmerzgepeinigt, von | |
Qual gekrümmt und von Begehren getrieben. Der räkelige Verlockungsreigen | |
mündet in einen zärtlichen Pas de deux – was wiederum ein aggressives | |
schweinsköpfiges Wesen stört. | |
Personal und Themen des Pandämoniums sind so mit dem Willen zum immersiven | |
Spektakel vorgestellt. Um sich näher darauf einzulassen, bekommt das | |
Publikum auf der Vorderbühne surreale Videospielereien mit den angetippten | |
Motiven serviert: Ein Typ zermatscht einen safttriefenden Granatapfel, | |
saugt und leckt an dem alten Fruchtbarkeitssymbol herum. | |
Narren haben sich Schiffsrümpfe um die Hüften gebunden und ergehen sich in | |
wilden Hüftstößen. Einem Tänzer steckt ein Pfeil im Anus. Mit erigierter | |
Zunge nähert sich eine Echse einer Frau, die auf ihr davonreitet. Tja, um | |
welches Laster mag es der Choreografin wohl vor allem gehen? | |
Dass Linning die Antriebsenergie hinter all den aus allzu menschlichen | |
Instinkten, Begierden, Gefühlen als immer noch gültig verdeutlichen will, | |
erklärt sie auf einer weiteren Station der Wanderproduktion mit einem | |
verlesenen Text. Wie in einer klassischen Stückeinführung erläutert sie | |
ihren Zugang zu Bosch und das Inszenierungskonzept. | |
Wozu ein fischiger Ritter mit Todessichel und ein beelzebübisch roter | |
Katzenmensch mit Fledermausflügeln drei Menschendarsteller in die Flucht | |
schlagen. Von einer zeitgemäßen Visualisierung und Ausdeutung der von Bosch | |
gemalten sieben Todsünden kann aber nicht berichtet werden. | |
Final sitzt das Publikum dann im Saal und bekommt Linning-Kunst in aller | |
Opulenz und Dynamik: Aus dem Wurzelwerk eines knorrigen Baums, dem Thron | |
des Katzenteufels, entwindet sich die verworfene Menscheitsbrut, krabbelt, | |
tobt, kämpft wohl gegen eine drohende Hölle, strebt mit Armen und Beinen | |
aber auch nach Höherem. Himmelsleitern werden herabgelassen, aber die | |
gemarterten Seelen sind zu schlapp für den Aufstieg. | |
Das jenseitige Licht aus Boschs „Der Aufstieg der Gesegneten“ wird | |
eingeblendet, ein formidabler Erzengel weist den Weg, Chormusik erklingt, | |
so dass die Grenze zum sakralen Kitsch nicht nur gestreift, sondern wohl | |
extra für das katholische Osnabrück auch überschritten wird. Schließlich | |
hocken Adam und Eva in hingebungsvoller Nähe auf einem riesigen | |
Granatapfel und lieben sich. Ach, das [2][Paradies] ist schon auf Erden zu | |
finden. | |
[3][Bei Bosch wirkt die Konfrontation mit den Abgründen] menschlicher | |
Ängste und Sehnsüchte im Detail eher erschreckend schmerzhaft. Bei Nanning | |
ist im christlichen Kosmos aus Schuld, Strafe und Sühne al les gleich apart | |
designt. Wie die kraftvoll athletische Choreografie die Tanzkörper nach | |
ihrer triebhaften Ursprünglichkeit suchen lässt, kommt mit bezaubernder | |
Sinnlichkeit daher. Zu schön, um wahr zu sein – jubelnde Zustimmung erntet | |
dieser wundersame Abend. | |
30 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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