# taz.de -- Rückkehr strenger Haushaltspolitik: Das Schreckgespenst des Sparzw… | |
> Staatliches Sparen schien lange out. Nun feiert es in den USA, | |
> Argentinien und selbst Großbritannien eine Wiederauferstehung in neuem | |
> Gewand. | |
Bild: Jetzt ist Sparen mittels Kettensäge angesagt | |
Was haben [1][die britische Labour-Politikerin Rachel Reeves], der | |
Rechts-Libertäre Präsident Javier Milei aus Argentinien und Elon Musk, | |
Trumps Berater für „Regierungseffizienz“, gemeinsam? Sie alle predigen das | |
Evangelium der Sparsamkeit als notwendiges Heilmittel für die Leiden und | |
Probleme ihrer jeweiligen Volkswirtschaften. | |
So hat Reeves, die seit dem Regierungswechsel in Großbritannien vor einem | |
Jahr als Finanzministerin amtiert, die Regeln für Staatsausgaben und | |
staatliche Investitionen noch mal verschärft, obwohl kein Zweifel darüber | |
besteht, dass der Sparkurs der vergangenen 15 Jahre eine der Hauptursachen | |
für die Probleme des Landes ist. | |
In ähnlicher Weise hat Argentiniens Präsident Milei seinen extremen | |
Sparkurs als den Preis dargestellt, den Argentinien für 20 Jahre der | |
angeblichen staatlichen Überdehnung zahlen muss. Er argumentiert, dass | |
Inflationsbekämpfung der einzige Weg zu Wohlstand sei, auch wenn dies die | |
bereits bestehende bittere Armut noch weiter verschärft. | |
Und die Vereinigten Staaten [2][brauchen laut Musk angeblich Austerität], | |
um einen Bankrott abzuwenden. Dieses Argument ist eine Finte: Staaten mit | |
eigener Währung, insbesondere mit der wichtigsten globalen Reservewährung, | |
können nicht bankrottgehen. Musks offensichtliche Motivation, die | |
öffentlichen Haushalte rabiat zu kürzen, besteht darin, Spielraum für | |
Steuersenkungen zu schaffen und öffentlich Bedienstete zu entlassen, die | |
seine Agenda nicht mittragen. | |
Das letzte Mal vernahmen wir die lautstarken Parolen für mehr Austerität | |
während der globalen Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009. In den USA | |
erfolgte die verordnete Abhilfemaßnahme in Form eines recht harmlosen | |
„Sequesters“ (Ausgabenbegrenzung). In Europa ging der Sparkurs jedoch viel | |
weiter, zerstörte das Wachstum eines ganzen Jahrzehnts, schmälerte | |
öffentliche Investitionen und trug zu vielen der Probleme bei, mit denen | |
der Kontinent bis heute zu kämpfen hat. | |
Das Versagen der privaten Finanzbranche wurde von den Regierenden zu einer | |
Krise angeblich ausufernder Staatsausgaben umdeklariert. Bilaterale Kredite | |
an die Staaten der Peripherie der EU waren kaum mehr als verschleierte | |
Rettungsaktionen für die Banken der Kernländer, die mit Haushaltskürzungen | |
„bezahlt“ wurden. | |
Diejenigen, die ausgeklügelte Argumente über die expansive Kraft der | |
Haushaltsstraffung anführten, leugneten das Offensichtliche: Wenn der | |
Privatsektor zu sparen versucht und der öffentliche Sektor es ihm | |
gleichtut, wird die Wirtschaft unweigerlich schrumpfen – und der | |
Schuldenstand, gemessen als Anteil vom Bruttoinlandsprodukt, wächst. | |
Das war der Kern des selbstzerstörerischen europäischen | |
Austeritätsexperiments in den 2010er Jahren. Ungefähr ab dem Jahr 2016 | |
begann dann sogar die Europäische Kommission, eine andere Tonart | |
anzuschlagen. Und als dann die Coronapandemie über uns hereinbrach, | |
schienen die Tage der bizarren Ideologie namens „Wirtschaftswachstum durch | |
Schrumpfung“ gezählt zu sein. Welch ein Irrtum. | |
Wie der australische Ökonom John Quiggin damals argumentierte, handelt es | |
sich bei Austeritätspolitik um eine Zombie-Idee: nicht auszurotten, weil | |
immun gegen empirische Widerlegung. Die Lehre aus der Covid-Krise – als die | |
vernünftige Reaktion darin bestand, angesichts eines weltweiten Stillstands | |
die Wirtschaft zu retten – wurde so zu einer weiteren „außer Kontrolle | |
geratenen Schuldenkrise“ umgedeutet, die den Staat in den Bankrott zu | |
treiben drohe. | |
In den 2010er Jahren sollte die Sparpolitik durch die „Wiederherstellung | |
des Vertrauens“ in den Anleihemarkt die öffentlichen Finanzen in der EU | |
stabilisieren. Doch Ausgabenkürzungen in einer bereits rezessiven | |
Wirtschaft verschärften das Problem nur noch. | |
Die Angst vor Inflation aufgrund „all dieser Ausgaben“ verwandelte sich | |
rasch in Furcht vor Deflation [Preisverfall wegen mangelnder Nachfrage, der | |
dazu führt, dass nicht mehr investiert wird; d. Red.] und schwindendem | |
Vertrauen. In einer Rezession führt Sparpolitik lediglich zu noch mehr | |
Rezession und Arbeitslosigkeit. Das wissen wir seit Heinrich Brünings | |
Kanzlerschaft in der Endzeit der Weimarer Republik. | |
Aber wie sieht es mit Austeritätspolitik unter anderen Bedingungen aus? Die | |
aktuellen Fälle USA und Argentinien präsentieren sich in dieser Hinsicht | |
interessant: Die USA sind jedenfalls weit von einer Rezession entfernt. Die | |
Wirtschaft boomt und steht unter Inflationsdruck. Neben der Schaffung von | |
finanziellem Spielraum für Steuersenkungen gibt es noch eine weitere | |
mögliche Erklärung für die Durchsetzung von Sparmaßnahmen unter derartigen | |
Bedingungen – sie hängt mit Geopolitik und globalen Ungleichgewichten | |
zusammen. | |
Als Joe Biden Anfang 2021 sein Amt antrat, behielt er die meisten von | |
Donald Trump verhängten Zölle bei und schlug einen Kurs der „grünen“ | |
Reindustrialisierung ein. Nun, da Trump wieder an der Macht ist, erhöht er | |
die Zölle weiter, um Exportnationen in die Knie zu zwingen, und ersetzt | |
Bidens grüne Reindustrialisierungsstrategie durch einen auf fossilen | |
Brennstoffen basierenden Ansatz. | |
## Demontage des modernen Staates | |
Aber das ist noch nicht alles. Musk und seine Regierungseffizienzbehörde | |
DOGE verfolgen den lang gehegten republikanischen und libertären Traum | |
einer Demontage des modernen Verwaltungsstaats. Ihnen wäre ein Staat des | |
19. Jahrhunderts viel lieber, als Zölle sowohl zum Schutz einheimischer | |
Industrien als auch für die Staatseinnahmen eingesetzt wurden (damals waren | |
Zölle für die US-Staatseinnahmen elementar, da es noch keine | |
Einkommensteuer gab). | |
In der Folge würden die Tech-Lords aus dem Silicon Valley in die Rolle der | |
Räuberbarone des Gilded Age [wirtschaftliche Aufschwungphase nach dem | |
US-Sezessionskrieg im 19. Jahrhundert; d. Red.] schlüpfen. So entstaubt man | |
Austeritätspolitik und setzt sie für eine ganze Reihe neuer Zwecke ein. | |
Argentinien hingegen ist seit Jahren mit einer hohen Inflation ohne reales, | |
also inflationsbereinigtes BIP-Wachstum konfrontiert. Mehr als ein Dutzend | |
Stabilisierungspläne kamen und gingen, bevor Milei das scheinbar Unmögliche | |
möglich machte: eine breite Wählerkoalition zugunsten einer harten | |
Austeritätspolitik zu schaffen. | |
Milei verdankt seinen – bisherigen – Erfolg unter den Wählern den fatalen | |
Umverteilungseffekten einer Dauer-Inflation. Die linkspopulistischen | |
Peronisten verloren ihre lange währende Unterstützung der Armen und der | |
Arbeiterschicht, weil es sich dabei um Wähler handelt, die den größten Teil | |
ihres Einkommens für Konsumgüter ausgeben und deren Kaufkraft durch die | |
steigenden Preise kontinuierlich geschwächt wurde. Die peronistische | |
Koalition schaffte es, die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter durch | |
eine Indexierung, also eine automatische Anpassung der Löhne, vor der | |
Inflation abzuschirmen. | |
Und die wohlhabenden Schichten sicherten sich durch US-Dollar-Bestände ab. | |
Eine Zeit lang reichte dieses Arrangement für die Peronisten aus, um Wahlen | |
zu gewinnen. Doch wer nicht in den Genuss dieser Absicherungen kam, konnte | |
sich immer weniger leisten, und die Armut nahm von Jahr zu Jahr zu. | |
## Austerität als Schadenfreude-Politik | |
Milei bot einen Ausweg. Er würde harte Sparmaßnahmen ergreifen, die | |
peronistischen Netzwerke zerstören, die Mittelsmänner ausschalten und alles | |
deregulieren. Es würde eine Weile wehtun, aber letztlich die Inflation | |
eindämmen – und die peronistischen Seilschaften könnten ihre Pfründen nicht | |
mehr schützen. Deren Verlust wäre ihr Gewinn. So wird Austerität zu einer | |
Form der Schadenfreude-Politik, ähnlich dem Krieg gegen öffentlich | |
Bedienstete und andere „Eliten“ in den USA. | |
Wird das nun funktionieren? Sollte es in Argentinien darum gehen, die | |
Inflation trotz zunehmender Armut zu besiegen, dann ja. Wahlpolitisch | |
tragfähig wäre es allerdings nur, wenn diese niedrigere Inflation zu mehr | |
Investitionen und steigenden Reallöhnen führen würde. Sollte dieser Plan | |
jedoch zu einer weiteren Verarmung derjenigen führen, die einst dafür | |
gestimmt haben, würde Milei seine Basis verlieren. | |
In den USA wird die Austeritätspolitik funktionieren, wenn das Ziel darin | |
liegt, den Verwaltungsstaat abzubauen. Aber in einem Land, in [3][dem 53 | |
Prozent der – mehrheitlich republikanisch geprägten – Landkreise (Counties) | |
ein Viertel ihrer Einkünfte oder noch mehr durch Transferleistungen der | |
Bundesregierung beziehen], könnte dies nach hinten losgehen. Falls die | |
Republikaner jedoch Steuersenkungen im Wert von 4 Billionen US-Dollar für | |
die obersten 10 Prozent durchsetzen, könnte sich das Vorhaben allerdings | |
durchaus für sie lohnen. | |
Die Austerität ist wieder da. Dieses Mal allerdings nicht nur als schlechte | |
Idee, sondern auch als politische Waffe und gefährliches | |
Umverteilungsinstrument. | |
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier | |
Copyright: Project Syndicate, 2025. Project Syndicate mit Sitz in Prag ist | |
eine Non-Profit-Organisation, die internationalen Medien Essays und | |
Meinungsbeiträge von namhaften PublizistInnen und WissenschaftlerInnen | |
anbietet. | |
14 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Grossbritannien-soll-mit-KI-sparen/!6078537 | |
[2] /US-Regierung/!6080273 | |
[3] https://eig.org/wp-content/uploads/2024/09/Great-Transfermation.pdf | |
## AUTOREN | |
Mark Blyth | |
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