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# taz.de -- Spielfilm „The Assessment“ über Zukunft: Der Untergang ist sch…
> Kinderkriegen nur mit staatlicher Erlaubnis: Fleur Fortunés
> Spielfilmdebüt „The Assessment“ über den Alltag in einer nahen Zukunft
> ist bildgewaltig.
Bild: Aber mit Stijl: Virginia (Alicia Vikander) und Mia (Elizabeth Olsen) in �…
Die Frage, ob man in eine im Verfall begriffene Welt noch Kinder setzen
darf, treibt bereits heute einige junge Menschen um. Es geht [1][um
moralische Bedenken, eine individuelle Verantwortung für die nächste
Generation,] die die Auswirkungen der Klimakatastrophe mit voller Härte zu
spüren bekommen könnte.
In „The Assessment“ stellt sich diese Frage nicht mehr. Die Umwelt ist
bereits unwirtlich geworden, die Natur nahezu restlos zerstört und
persönliche ethische Erwägungen sind einem gesetzlichen
Fortpflanzungsverbot gewichen: Um ein Kind zeugen zu dürfen, braucht es nun
eine rechtliche Erlaubnis. Und um die zu erlangen, bedarf es wiederum einer
offiziellen Bestätigung der Eignung zur Elternschaft.
Mia (Elizabeth Olsen) und Aaryan (Himesh Patel) bringen dafür wichtige
Voraussetzungen mit. Als Wissenschaftler werden sie als wertvolle
Mitglieder einer neuen Gesellschaft erachtet, die qua einer speziellen
Droge nicht mehr altert: Während sie in einem High-Tech-Gewächshaus mit
Pflanzen experimentiert, um neue Wege für eine nachhaltige
Nahrungsmittelproduktion zu erschließen, forscht er an der Entwicklung
virtueller Nachbildungen von Tieren.
Weshalb die Arbeit des Ehepaars wichtig ist, aber auch warum Mia und Aaryan
wohl unbedingt ein Kind wollen, veranschaulichen schon die ersten
Aufnahmen: Ihr Haus steht verloren in einer wüstenähnlichen Landschaft,
leblose Stille umgibt sie – unterbrochen wird sie nur von der KI-Stimme
ihres Smart Homes. Anders als mit dem dringenden Wunsch, dieser
eremitischen Existenz zu entkommen, ist ihr Durchhaltevermögen während des
bizarren Prüfungsprozesses jedenfalls kaum zu erklären.
## Proben sämtlicher Körperflüssigkeiten
Virginia (großartig grotesk: Alicia Vikander) trägt dafür die Verantwortung
und zieht über die nächsten sieben Tage bei Mia und Aaryan ein. Was sie
dabei bewerten wird, ist unklar. Danach gefragt werden, darf sie nicht.
Das Fragenstellen obliegt allein ihr: Wie zufrieden sie mit der Beziehung
sind, will sie in einer gesonderten Befragung der beiden Partner wissen,
wie sie einander beschreiben würden, wie oft sie miteinander schlafen und
auch, wie oft sie dabei zum Orgasmus kommen. Später wird sie ihnen beim Sex
zusehen, Proben sämtlicher Körperflüssigkeiten des Paares nehmen und sie
ein komplexes Spielhaus für ein potenzielles Kind aufbauen lassen.
Die Atmosphäre des Spielfilmdebüts der französischen Regisseurin Fleur
Fortuné bleibt über alledem erstaunlich nüchtern, die Stimmung seltsam
abgeklärt. Selbst dann, [2][als der ohnehin kafkaeske Prozess immer
skurrilere Züge] annimmt und Virginia sich von der peniblen Prüferin in die
Rolle eines trotzigen Kleinkindes begibt, mit Essen um sich wirft, bestimmt
Grenzen überschreitet und sich ebenso wie Mia und Aaryan in ernsthafte
Gefahr bringt.
Das liegt vor allem an der ästhetischen Strenge von „The Assessment“: Das
reduzierte Setdesign von Jan Houllevigue und die distanzierte Kamera von
Magnus Nordenhof Jønck verleihen dem Film eine sterile Kälte. Das
unfreiwillige Dreiergespann sitzt mehrmals vor einem Fenster, das an die
puristischen Kompositionen [3][des niederländischen De-Stijl-Malers Piet
Mondrian] erinnert, bewegt sich durch karge Räume, die sich ganz und gar
skandinavischen Einrichtungsidealen verschrieben haben.
[4][Adolf Loos, der heute als zentraler Vordenker der modernen Architektur]
gilt, schrieb in seinem Essay „Ornament und Verbrechen“ (1910), dass die
„Evolution der Kultur gleichbedeutend mit dem Entfernen des Ornaments aus
dem Gebrauchsgegenstande“ sei. Ein Glaube, dem wir – wirft man einen Blick
auf sich hartnäckig haltende Wohntrends oder führt sich neuere Bauwerke im
Straßenbild vor Augen – bis heute aufzusitzen scheinen.
## Design für den Verlust einer gesellschaftlichen Erzählung
In „The Assessment“ wird er ad absurdum geführt, die Schmucklosigkeit von
Mia und Aaryans Zuhause zum zentralen Stilmittel des Films erhoben und
steht endgültig nicht mehr für zeitlose Eleganz, sondern nur noch für den
Verlust einer gesellschaftlichen Erzählung. Der reine Fokus auf
Funktionalität ist hier kein Designfetisch mehr, sondern Ausdruck eines
absoluten Rationalisierungszwangs, von vollendeter Effizienzergebenheit.
Denn auch wenn Mia und Aaryan glauben, zur Speerspitze eines neuen Systems
zu gehören und mit ihrer staatlich reglementierten Familienplanung an einem
Glücksversprechen der alten Welt festhalten wollen, lässt sich der Mangel
an Ressourcen und die Künstlichkeit dieses neuen Lebens letztlich nicht
leugnen. Das unterstreicht auch das Finale, das zwar überhastet erscheint,
aber in seinen Aussagen unerbittlich eindeutig ist.
Nach [5][Joshua Oppenheimers satirischem Untergangsmusical „The End“], das
vergangene Woche in den deutschen Kinos startete, ist „The Assessment“
damit bereits die nächste Dystopie, in der die unheilvolle Präsenz einer
bereits passierten Klimakatastrophe das Geschehen durchzieht. Auffällig
ist, dass beide Werke, anders als das Gros der Endzeitfilme, weder einen
actiongeladenen Überlebenskampf zeigen noch abseitige Sci-Fi-Szenarien
imaginieren.
Stattdessen geht es um den Alltag in einer nahen Zukunft, die glaubwürdig
eng mit den technologischen Gegebenheiten unserer Gegenwart verwoben bleibt
– und gerade das verleiht diesem erzählerischen Ansatz eine ganz eigene
Bedrohlichkeit. Seiner Unaufgeregtheit wohnt etwas Fatalistisches inne:
Nach „The End“ ist auch „The Assessment“ weniger aufgebrachte Mahnung a…
Ausdruck einer bitteren Schicksalsergebenheit, frei nach dem Motto: „Schaut
nur, was wir angerichtet haben.“
Visuell beeindruckend ist das allemal – berührend oder gar bewegend
allerdings nicht. Dafür zeigen sowohl die Figuren als auch die Inszenierung
von Fleur Fortuné, die bisher übrigens vor allem für die Regie stylischer
Musikvideos bekannt ist, schlicht zu wenig der menschlichen Regung.
6 Apr 2025
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[5] /Endzeit-Musical-mit-Tilda-Swinton/!6074957
## AUTOREN
Arabella Wintermayr
## TAGS
Spielfilm
Dystopie
Kinder
Schwerpunkt Klimawandel
Kino
wochentaz
Atombombe
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