# taz.de -- Automuseum PS.Speicher in Einbeck: Ein NS-Industrieboss als Nachkri… | |
> Niedersachsens Kultusminsterium lobt den PS.Speicher als außerschulischen | |
> Lernort. Der verschweigt die NS-Geschichte des Autobauers Ernst Heinkel. | |
Bild: Partner der NS-Luftwaffe: Ernst Heinkel (mit Brille) und der Pilot Ernst … | |
Oh wie schön war der Heinkel-Kabinenroller! In Einbeck ist man nach wie vor | |
hingerissen von dem Kompaktfahrzeug, dessen Prototyp 1955 vorgestellt | |
worden war: Auf Wunsch der Besucher*innen hatte ihn [1][der | |
PS.Speicher] zum Gegenstand des Monats März gekürt. | |
Und just in dem hat das niedersächsische Kultusministerium das Oldtimer- | |
und Erlebnismuseum in die Liste der anerkannten außerschulischen Lernorte | |
aufgenommen. Weil er die Bildung für nachhaltige Enwicklung fördere. | |
Und dabei auch die „politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen | |
für die Tüftler und Erfinder“ beleuchte. Sie hoffe, „dass viele Schulen d… | |
Angebote nutzen“, [2][begrüßte Ministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) den | |
Neueintrag]. | |
Wahr ist: Der Heinkel-Kabinenroller kommt tatsächlich in Sachen Energie- | |
und Platzeffizienz besser weg als heutige Miniautos. Die Heinkel-Kabine ist | |
keine 300 Kilo schwer, wiegt also weniger als halb so viel wie ein Smart. | |
Zwei Erwachsene und anderthalb Kinder passen rein. | |
## Passagiere und Bomben | |
Nie hat es ein deutsches Fahrzeug gegeben, das knuffiger und harmloser | |
aussah. Wer einen Heinkel-Kabinenroller sieht, vergisst, dass es so etwas | |
wie Panzer hat geben können. Und niemand würde ihm zutrauen, dass es abhebt | |
wie „Chitty Chitty Bang Bang“, [3][das Wunderauto von Ian Fleming]. Dabei | |
stammte er, [4][so wie dieser], direkt aus der Schmiede eines deutschen | |
Industriepartners der Luftwaffe. | |
Denn das war ja die eigentliche Profession des Ernst Heinkel gewesen. Seine | |
1922 gegründete Flugzeugfabrik in Rostock hatte sich 1932 bereits zu einem | |
der größten Industrieunternehmen Norddeutschlands gemausert. In den | |
folgenden 13 Jahren avancierte Heinkel dann [5][zum größten | |
Flugzeughersteller Europas]. | |
Seine Maschinen stellten Geschwindigkeitsrekorde auf. Sie brachten | |
Passagiere genauso zuverlässig wie Bomben ans gewünschte Ziel. Viele kleine | |
Werke entstanden – eines davon in Zuffenhausen bei Stuttgart. | |
Dort glückte nach dem Krieg dann dank über die Zeit gerettetem Raubgut | |
[6][und anderem Kapital] – Ernst Heinkel hat im Stuttgarter Raum von der so | |
genannten „Arisierung“, also vom Raub jüdischen Eigentums, besonders | |
profitiert – der ganz und gar friedliche Neuanfang, für den die | |
Knutschkugel mit Front-Ausstieg das beste Sinnbild ist. | |
Wer die Filialen der 1940er durchgeht, wird feststellen: Viele dieser | |
Ortsmarken stehen auch für Kriegsgefangenen- oder Konzentrationslager. Das | |
ist kein Zufall! Heinkel war auch hier ein Pionier: Als Erster im Reich, ab | |
1940, noch vor der erzwungenen Umwandlung in eine AG, [7][setzte er | |
Zwangsarbeiter ein], zum Beispiel, extrem grausam, zum Testen der von ihm | |
erfundenen Schleudersitze. | |
Das Lager in Bad Gandersheim-Brunshausen, [8][keine 25 Kilometer vom | |
außerschulischen Lernort PS.Speicher entfernt], war sogar eigens für die | |
Heinkel AG eingerichtet worden. Häftlinge aus Buchenwald, Sachsenhausen und | |
Dachau wurden dort ab Sommer 1944 zusammengezogen, um an in Polen geraubten | |
Maschinen Flugzeugrümpfe herzustellen. | |
Am 5. April vor 80 Jahren wurde es aufgelöst. In der Hochphase waren dort | |
584 Männer inhaftiert. Höchstens 200 von ihnen haben das Kriegsende erlebt. | |
## Nachhaltiges Vergessen | |
In Heinkels Erfindungen der 1950er-Jahre spielte das Thema Zwangsarbeit | |
keine Rolle mehr, weder beim Kabinenroller, laut PS.Speicher seinem | |
Meisterwerk, noch in seiner gleichzeitig entstandenen Autobiografie, deren | |
Ziel nachhaltiges Vergessen ist. | |
Wie, das lehrt der außerschulische Lernort in Einbeck: „Nach dem Zweiten | |
Weltkrieg“, so erzählt er die Geschichte, „sah die Welt für viele deutsche | |
Industriebetriebe ganz anders aus – so auch für die Ernst Heinkel AG.“ | |
Denn „der berühmte Flugzeughersteller durfte aufgrund der alliierten | |
Auflagen zunächst keine Flugzeuge mehr bauen“. Warum, verschweigt der | |
Museumstext. „Doch Not“, setzt er stattdessen fort, „macht erfinderisch.�… | |
Und nach dem Krieg die Not, die war vielleicht groß! | |
Und also auch Ernst Heinkels „Kreativität, Erfindergeist und Mut“: Noch bis | |
31. März können Besucher*innen und Schulklassen die Heinkel-Kabine im | |
Foyer des PS.Speichers daher „aus nächster Nähe anschauen“ und dabei „t… | |
in die spannende Geschichte dieses Nachkriegshelden eintauchen“. Aber zu | |
tief lieber doch nicht. | |
27 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://tuttle.taz.de/!5960450&s=einbeck+PS+Speicher&SuchRahmen=Pri… | |
[2] https://www.mk.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/ps… | |
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Chitty-Chitty-Bang-Bang | |
[4] http://cartone.easypoint.pl/informacje/c10_Motohistoria/a4_louis-vorow-zbor… | |
[5] https://www.romanfroehlich.de/hallo-3/ | |
[6] https://schwaebischer-heimatbund.de/ausgrenzung-raub-vernichtung-ns-akteure… | |
[7] https://tuttle.taz.de/!1216178&s=zwangsarbeit+heinkel&SuchRahmen=Pr… | |
[8] https://www.aussenlager-buchenwald.de/details.html?camp=5 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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