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# taz.de -- Chemiker über Lithiumabbau: „Eigentlich ist Europa mit Lithium g…
> Die Umweltprobleme des Rohstoffabbaus zu exportieren, sei unethisch, sagt
> der Chemiker Martin Bertau. Gegen Abhängigkeiten helfe mehr
> Eigenproduktion.
Bild: Rohstofftag am 25. März in Altenberg: der ehemalige sächsische Wirtscha…
taz: Herr Bertau, rund 60 Prozent der bekannten Lithiumvorkommen lagern im
Dreiländereck zwischen Chile, Bolivien und Argentinien, gelöst in flüssiger
Sole. Diese lässt man in riesigen Becken verdunsten, bis man
Lithiumcarbonat daraus gewinnen kann. Was ist das Problem bei dieser
Methode?
Martin Bertau: Das Problem ist der hohe Chemikalieneinsatz, also die
Reagenzien, die in die Lithiumsole gemischt werden. Das sind erst mal keine
schlimmen Chemikalien, da ist zum Beispiel Löschkalk mit dabei. Oder auch
Substanzen, die man aus dem Haushalt kennt, etwa Soda, das ist auch in
Backpulver drin. Aber es wird eben sehr viel davon verwendet. Pro Tonne
Lithiumcarbonat werden bis zu 40 Tonnen Chemikalien eingesetzt und es
fallen dann bis zu 120 Tonnen Abfall an.
taz: Das ist extrem viel. Was passiert mit dem Abfall?
Bertau: Der muss irgendwohin. So eine Wüste ist für viele erst einmal ein
Raum, in dem man machen kann, was man will. Die Regierungen müssen darauf
achten, dass dort eine Ordnung herrscht. Die chilenische Regierung achtet
mittlerweile sehr darauf.
taz: Argentiniens Regierung [1][will Umweltauflagen aber eher kippen]. Im
Norden des Landes gibt es Proteste gegen den Lithiumabbau, weil die lokale
Bevölkerung fürchtet, dass ihr das Wasser abgegraben wird.
Bertau: Die lithiumhaltigen Salzseen sind in Wüsten entstanden, in denen
mehr Wasser verdunstet, als durch Frischwasser nachfließt. Wasser ist dort
ein besonders kostbares Gut. Es ist aber etwas anderes, einen Teil der Sole
aus einem Salzsee abzupumpen, als ins Grundwassersystem einzugreifen. Denn
das kann unmittelbare Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Menschen
vor Ort haben.
taz: Neben der Verdunstung gibt es ja auch das noch ziemlich neue Verfahren
der direkten Lithiumextraktion (DLE) aus dem Boden. Einige
Lithiumunternehmen argumentieren, dass es einen geringeren Eingriff
darstellt, da bei dieser Methode die Flüssigkeit nach der Lithiumgewinnung
sofort wieder in den Boden gepumpt wird.
Bertau: Ein Ansatz ist, dass man mit einer Elektrode in die Lithiumsole
hineingeht, die Lithiumteilchen anzieht. Wenn man die Elektrode wieder
herauszieht, kann man das Lithium quasi elektrisch davon lösen. Damit hat
man keinen weiteren Eingriff in das Wasser vorgenommen. Wenn das so
funktioniert, ist das sicher einen Blick wert. Aber sobald Chemikalien
eingesetzt werden, bin ich eher zurückhaltend, weil die DLE dann ins
Grundwassersystem eingreift. Deshalb sollte man sich zuerst Systeme
aussuchen, wo man die Technologie gefahrlos testen kann. Ob man in
Argentinien bei den ganzen Salzseen überhaupt ins Grundwasser gehen sollte,
ist fraglich.
taz: Ist der Abbau im Lithiumdreieck trotz der Risiken gerechtfertigt? Die
EU will schließlich unabhängiger werden vom Systemrivalen China.
Bertau: Wir sind nicht von China abhängig, wenn es um Lithium als Rohstoff
geht, sondern wenn es um die Lithiumbatterie-Technologie geht. Das ist ein
selbstgemachtes Problem. Wie viele Batteriefabriken stehen in Deutschland?
Wie viele Firmen haben wir in Deutschland, die Rohstoffe verarbeiten
können? Es gibt jetzt eine kleine Anlage in Bitterfeld, die können
brasilianische Lithiumrohstoffe verarbeiten, im Pilotmaßstab. Da können wir
nicht von einer verantwortungsvollen Versorgungspolitik sprechen.
Sich jetzt auf China einzuschießen und zu sagen: Die sind böse, ich hole
mir das Lithium jetzt aus Argentinien, das ist peinlich. Und es löst das
eigentliche Problem nicht.
taz: Was ist das eigentliche Problem?
Bertau: Der CO2-Abdruck von E-Autos. Um das mal zu illustrieren: Das Soda,
das man braucht, um Lithiumcarbonat aus der Sole zu lösen, kommt aus
Bernburg in Deutschland. Das wird über die Straße zum Hamburger Hafen
transportiert. Dann schippert es übers Meer nach Lateinamerika. Dort dann
wieder Straßentransport in die Wüste, dann wieder zurück zum Hafen, von
dort dann nach China. Dort finden die ersten Schritte der Verarbeitung zur
Lithiumbatterie statt. Dann geht es weiter nach Südkorea, von dort aus
kommen die Batterien schlussendlich zu uns. Sprich: Das Lithium schleppt
einen gewaltigen CO2-Rucksack mit sich.
Deswegen bezweifelt die schwedische Umweltbehörde schlichtweg, dass ein
Elektroauto so ohne Weiteres klimafreundlicher als der klassische
Verbrennungsmotor ist. Insbesondere, wenn man mit CO2-neutralen,
synthetischen Kraftstoffen fährt.
taz: Diese Kraftstoffe werden aber auch in Zukunft nicht in ausreichendem
Maße verfügbar sein, um den Pkw-Verkehr damit klimaneutral zu gestalten.
Dies hat jüngst eine [2][Studie des Forums Ökologisch-Soziale
Marktwirtschaft] gezeigt. Synthetische Kraftstoffe sollten deshalb für die
Luft- und Schifffahrt aufgehoben werden, wo eine Elektrifizierung nicht
immer möglich ist, fordern die Autor:innen.
Bertau: Ich möchte den Unternehmer sehen, der ausschließlich synthetische
Kraftstoffe für den Schiffsverkehr herstellt und sich das Geschäft mit dem
Autoverkehr entgehen lässt. Wenn wir etwas für das Klima tun wollen, dann
brauchen wir auch in Europa dringend mehr Technologieoffenheit.
taz: Die EU setzt aber erst mal weiter vor allem auf Elektromobilität und
braucht dafür Lithium. Gibt es Alternativen zum Abbau im weit entfernten
Lateinamerika?
Bertau: Da gibt es zum Beispiel Spodumen. Das ist ein
Lithium-Aluminium-Silikat. Das findet sich auch in Europa, zum Beispiel in
Finnland, Tschechien, Österreich, Spanien, Portugal und Frankreich. Das
Spodumen, das hier herumliegt, reicht dicke aus, um uns in Europa mit
Lithium zu versorgen. Eigentlich haben wir einen Kontinent, der mit Lithium
gesegnet ist. Deshalb mein Appell: Wir können nicht immer Rohstoffe
importieren, weil wir keine Bergwerke bei uns zu Hause haben möchten. So
exportieren wir die Umweltprobleme. Das ist unethisch.
taz: Zusammengefasst: Für Sie müssten E-Autos in Europa Hand in Hand mit
europäischem Bergbau gehen?
Bertau: Die Leute kaufen sich bewusst ein Auto, das viel teurer als ein
Verbrenner ist. Denn die Bürger haben erkannt, dass auch sie einen Beitrag
zum Klimaschutz leisten müssen. Dazu gehört dann aber, dass man die
politischen Rahmenbedingungen schafft, [3][dass E-Autos auch wirklich das
Klima schützen]. Gebt den Leuten die Autos mit den Lithiumbatterien, aber
ohne den CO2-Rucksack und die Umweltzerstörung.
taz: Müsste die Industrie nicht auch beim Recycling besser werden, anstatt
immer nur neues Lithium abzubauen?
Bertau: Die Krux ist, dass wir einen großen Mischmasch an verschiedenen
Lithium-Batterietypen haben. Dazu kommt, dass die Batterien unterschiedlich
alt sind. Materialien mit unterschiedlichem Reifegrad verhalten sich
chemisch unterschiedlich. Ein Lithium-Akku von 2016 verhält sich beim
Recycling unter Umständen komplett anders als einer von 2023. Das macht es
für die Industrie sehr schwer, beim Recycling die eierlegende Wollmilchsau
zu finden.
taz: Hat der Mangel an Recycling nicht auch wirtschaftliche Gründe?
Bertau: Bisher wurden die meisten Recyclingtechnologien auf Kobalt und
Nickel ausgerichtet, da diese teurer sind als Lithium. Es liegt so viel
Lithium herum auf der Welt, da lohnt sich das Recycling
betriebswirtschaftlich nicht.
taz: Man kann den Eindruck gewinnen, dass es keine wirklich unabhängige
Forschung zu Rohstofffragen gibt. Sie zum Beispiel arbeiten ja auch mit
Unternehmen zusammen.
Bertau: Wenn eine Firma zu mir kommt und sagt, sie möchte etwas bewertet
haben von uns, dann kriegt sie eine ehrliche Meinung. Die mag der Firma
gefallen oder nicht, die Rechnung muss sie trotzdem bezahlen. Ich würde
meinen Ruf als Wissenschaftler ramponieren, wenn ich mich beeinflussen
ließe. Wir sind zum Glück unabhängig in Deutschland. Man kann bei den
Instituten, zum Beispiel dem Öko-Institut oder dem Fraunhofer-Institut,
Studien in Auftrag geben. Diese Studien haben einen sehr hohen Wert, da
kann man sich drauf verlassen. Da gibt es andere Länder, die haben dieses
Glück nicht.
29 Mar 2025
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## AUTOREN
Stefan Hunglinger
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