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# taz.de -- Trumps Position zur Nato: Eine Armee unter europäischer Flagge
> Europa braucht eigene Waffensysteme und ein zentrales Oberkommando, um
> sich von Trump abzunabeln. Die nukleare Abschreckung ist die wirksamste.
Bild: In Sachen Geopolitik sollte Europa sich vorbereiten
Noch vor geraumer Zeit war der Schlachtruf „Raus aus der Nato!“ der
extremen europäischen Linken vorbehalten. Er klang nach den
„Ho-Ho-Ho-Chi-Min“-Rufen der Vietnamkriegsgegner und sollte die
amerikanische Außenpolitik als bösartigen Imperialismus brandmarken. Heute
dagegen scheint ein Nachdenken über die Schattenseiten eines Verbleibs der
europäischen Staaten im transatlantischen Verteidigungsbündnis auch
aufseiten gemäßigter liberaler Demokraten notwendig zu sein.
Alles dominierend ist gegenwärtig jedoch die große Befürchtung des
Alleingelassenwerdens, dass sich die USA nämlich aus der Nato zurückziehen
und der über Europa gespannte atomare amerikanische Schutzschirm entzogen
werden könnte. Die Betrachtung der Nachteile, die sich für europäische
Nato-Staaten durch die Bündnisverpflichtungen gegenüber einem Trump’schen
Amerika ergeben können, geht bislang in der fast schon panisch zu nennenden
Verängstigung unter.
Schaut man sich hingegen die ersten Wochen der neuen amerikanischen
[1][Regierung unter Donald Trump] an, so muss man leider noch ganz andere
Entwicklungen befürchten: Trump 1.0 hat zwar während seiner ersten
Präsidentschaft keinen Krieg begonnen. Allerdings sollte man sich keiner
Illusion hingeben, dass Trump 2.0 wieder so agiert. War die Kennzeichnung
„angeberischer, aber schwacher und dilettantischer Präsident“ für ihn
damals noch gerechtfertigt, so hat sich das Aufgeblasene seiner Person
nicht nur erhalten, sondern sogar gesteigert.
Und von Schwäche kann jetzt nicht mehr die Rede sein. Trump ist von einem
Präsidenten, der autoritär sein wollte, ohne zu wissen, wie er das konkret
anstellen soll, zu einem unberechenbaren und disruptiven Berserker
geworden, der von Rachegelüsten und Allmachtsfantasien getrieben nun
tatsächlich innen- wie außenpolitisch [2][die „Köpfe rollen“] lässt. Die
Wahrscheinlichkeit, dass er in seiner zweiten Präsidentschaft irgendwann
auch nach innen wie nach außen zu militärischen Mitteln greift, um seine
Ziele zu erreichen, ist daher als nicht gering einzuschätzen.
## Pflicht zum Beistand im Bündnisfall
Sollte es etwa durch die massiv angestiegene [3][Systemrivalität zwischen
China und den USA] zu einem militärisch geführten Konflikt um Taiwan
kommen, würden beide Seiten beschwören, dass sie nur von ihrem Recht auf
legitime Verteidigung Gebrauch machten. Riefen also die USA in einem
solchen Falle nach [4][Artikel 5 des Nato-Vertrags] den Verteidigungs- und
Bündnisfall aus, müssten die anderen Nato-Mitglieder Beistand leisten.
Bei Trump, dem Großmeister faustdicker Lügen, ist bedauerlicherweise auch
nicht ausgeschlossen, dass er sich an frühere amerikanische Regierungen
erinnert, die vorgegaukelte Anlässe nutzten, um militärische Gewalt zu
legitimieren. Vom Tonkin-Zwischenfall 1964 im [5][Vietnamkrieg] über die
„[6][Brutkastenlüge]“ 1990 beim Krieg zur Befreiung Kuwaits bis hin zum vom
damaligen US-Außenminister Colin Powell 2003 erhobenen Vorwurf, Saddam
Husseins Irak besäße Massenvernichtungswaffen, finden sich wahrheitswidrige
Konstruktionen von Kriegsrechtfertigungen.
Fairerweise gilt es anzufügen, dass das keine alleinig amerikanische
Spezialität ist. Zwar konnte ein Gerhard Schröder 2003 beim [7][Krieg gegen
den Irak] sein Nein gegenüber einer „militärischen Option“ noch weitgehend
ohne Nachteile in Bezug auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen
verkünden. Ein Donald Trump dagegen würde das Zögern seiner europäischen
Bündnispartner im von ihm bestimmten „Verteidigungsfall“ heute wohl mit dem
Entzug militärischer Schutzverpflichtung Europa gegenüber bestrafen.
Dass eine solche Vor- und Nachteile abwägende Debatte, was den Verbleib in
der Nato anbetrifft, nicht wirklich geführt wird, liegt zentral an der
militärischen Schwäche Europas. Den Schutz durch den Big Brother aktiv
auszuschlagen, würde bedeuten, dass die Europäer selbst stark genug sein
müssten, um einen potenziellen Angreifer abzuwehren. Sie sehen sich deshalb
momentan gezwungen, mit dem autoritären „Anführer der freien Welt“ in ein…
Boot sitzenzubleiben.
## Kein Verlass auf die USA – mit oder ohne Trump
Das Risiko, unter einem psychopathisch anmutenden Präsidenten als
Bündnisstaaten in eine kriegerische Katastrophe mitgerissen zu werden, wird
gegenwärtig als wesentlich geringer eingeschätzt als das Risiko der
relativen militärischen Schutzlosigkeit im Falle des Wegfalls
amerikanischen Beistands – sofern diese Gefahr überhaupt wahrgenommen wird.
Dazu kommt natürlich die Hoffnung, dass vier Jahre Trump absehbar sind und
sich danach wieder eine transatlantische Normalität mit der alten
Rollenverteilung einstellen könnte.
Davon auszugehen, wäre jedoch zu riskant, wenn nicht sogar unrealistisch.
Trump wird vom Kurs des Abstandnehmens gegenüber westlichen Werten so wenig
ablassen, wie das ein trumpistischer Nachfolger tun würde. J. D. Vance ist
in dieser Hinsicht sogar als noch größerer Scharfmacher einzustufen. Aber
selbst wenn es einen nächsten Präsidenten aus den Reihen der Demokraten
gäbe, wäre eine Rückkehr zum „alten Normal“ einer transatlantischen
Papa-passt-auf-Situation nicht mehr zu erwarten.
Die aktuelle Debatte, ob das vergleichsweise kleine, atomar gerüstete
Frankreich mit seiner [8][Force de frappe] samt britischer Unterstützung
einen nuklearen Schutzschirm als Ersatz für die amerikanischen Atombomben
über Europa ausbreiten könnte, ist daher keineswegs abwegig. Es sieht aus
verschiedenen Gründen jedoch nicht so aus, als ergäben sich daraus
ausreichende Schutzmaßnahmen.
Was also ist jetzt zu tun? Zum Ersten gilt es, sich die Konsequenzen aus
der zunehmenden Entfremdung mit einem eventuell auf Dauer autoritär
geführten illiberalen Amerika deutlich zu machen. Natürlich kann es sein,
dass die amerikanische Regierung aus Eigeninteresse heraus die militärische
Kooperation samt nuklearer Protektion fortsetzt, aber als sicher darf das
nicht mehr vorausgesetzt werden.
## Die liberalen Demokratien wehrhaft machen
Deswegen wäre es klug, bereits jetzt einen Plan B zu entwickeln, wie Europa
sich erfolgreich militärisch schützen kann. Das gilt auch und insbesondere
für den Fall, dass die Europäer zur Erkenntnis kommen, eine weitere
Mitgliedschaft in einer Verteidigungsgemeinschaft – angeführt von einem im
Stil eines Mafiabosses agierenden „Deal-Makers“– wäre ein viel zu
gefährliches Unterfangen.
Die Europäer müssen also nicht nur ihre liberalen Demokratien nach innen
wehrhaft machen und verteidigen, sondern auch das Risiko eines
Militärbündnisses mit einem dauerhaft nicht mehr denselben Werten
verpflichteten Großalliierten aus Selbstschutzgründen realistisch
einschätzen. Spätestens wenn es zu einem Krieg kommen sollte, in dem die
USA Bündnisverpflichtungen einfordern, die nur durch fabrizierte Gründe
gedeckt sind, müssen die europäischen Staaten für ein klares Nein gerüstet
sein.
Der französische Staatschef Emmanuel Macron lag insofern nicht falsch, als
er 2023 davor warnte, dass Europäer als „Mitläufer“ und „Vasallen“ bei
einem militärischen Konflikt zwischen den USA und China zwischen die
Fronten geraten könnten. Zum Zweiten und als Konsequenz aus der ersten
Überlegung muss daher eine europäische Armee geschaffen werden. Und zwar
eine einzige.
Es macht keinerlei Sinn, dass unzählige nationale Klein- und mittelgroße
Armeen sich mit eigenen Kommandostrukturen und Waffensystemen ausstatten
und in einem kollektiven Bündnisfall Dutzende Länder nationale Mitsprache-
oder gar Vetorechte haben können. Die Verteidigungseffizienz leidet
darunter massiv. Ähnlich wie bei der gemeinsamen Währung wäre es bei einer
europäischen Armee unter Befehl eines europäisch zu bestimmenden
politischen Oberkommandos nicht einmal notwendig, vorher die Vereinigten
Staaten von Europa zu gründen.
## Europäische Waffensysteme
Diese europäische Armee müsste mit in Europa produzierten Waffensystemen
ausgestattet sein. Überdies müsste sie einen rein defensiven Charakter
aufweisen und sich alleine dem Ziel verpflichtet sehen, einen Angriff auf
Europa abzuwehren. Offen könnte ein solches europäisches
Verteidigungsbündnis für liberale Demokratien wie etwa Kanada oder Japan
sein.
Zum Dritten muss dabei – so schmerzlich das auszusprechen ist – der
Schwerpunkt auf die nukleare und abgestufte Abschreckung gelegt werden.
Wenn die geopolitischen Ereignisse aus den letzten Jahrzehnten etwas
gelehrt haben, dann dass eine nukleare Abschreckung die wirksamste,
wenngleich gefährlichste ist. Wenn es gelänge, die französischen und
britischen Atomwaffen aus europäischen Mitteln aufzustocken und einem
politisch geführten europäischen Zentralkommando zu unterstellen, ließe
sich hinreichend nuklear abschrecken.
Zudem könnte darüber eventuell ein gerade einsetzender Rüstungswettlauf bei
konventionellen Waffen, wenn nicht verhindert, so doch begrenzt werden.
Eine europäische Sicherheitsarchitektur mit einem nationalen atomaren
Wettrüsten, in der es schlussendlich nicht nur eigene britische,
französische, sondern gar deutsche, italienische oder spanische Atomwaffen
gäbe, wäre jedenfalls ein Albtraum und strikt zu vermeiden.
Das Risiko jedoch, dass Europa insgesamt autokratisch wird und dann über
eine schlagkräftige europäische Armee samt Atomwaffen verfügt, lässt sich
dabei nicht gänzlich ausschließen. Was also ist das Fazit? Die Reißleine
ziehen und raus aus dem Boot? Ein aktiver Ausstieg der Europäer aus der
Nato zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre wohl übereilt, gerade weil immer noch
die Möglichkeit besteht, dass die USA, die ja über Jahrzehnte ein
verlässlicher Bündnispartner waren, das wieder werden könnten.
Europa sollte jedoch angesichts der geopolitischen Fährnisse vorbereitet
sein, sowohl auf ein isolationistisches MAGA-Amerika, das sich aus der Nato
zurückzieht, als auch auf ein aktives Distanznehmen der Europäer von einem
Amerika, sofern es ihnen zum Verhängnis zu werden droht. Oder um es in den
unlängst von [9][Jürgen Habermas] formulierten Worten zu sagen: Wir
Europäer müssten „auf die neue Situation eine rettende Antwort“ finden,
ansonsten bestehe die Gefahr, dass „Europa in den Strudel der absteigenden
Supermacht“ gerät. Europa muss also so oder so erwachsen werden.
30 Mar 2025
## LINKS
[1] /Donald-Trumps-zweite-Amtszeit/!6059582
[2] /Kahlschlag-in-den-USA/!6071228
[3] /Beziehungen-zwischen-USA-und-China/!6033174
[4] https://www.bmvg.de/de/aktuelles/gemeinsam-entscheiden-artikel-4-und-5-des-…
[5] /40-Jahre-nach-Ende-des-Vietnamkriegs/!5010490
[6] https://www.youtube.com/watch?v=Ti7oC2mzX3o
[7] /20-Jahre-nach-Invasion-im-Irak/!5919996
[8] /Atomstreitkraefte-Frankreich-und-UK/!5992445
[9] https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/juergen-habermas-gastbe…
## AUTOREN
Helmut Däuble
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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