# taz.de -- Kinotipp der Woche: Ganz im Hier und Jetzt | |
> Die Soundwatch Bonus Tracks präsentieren im Lichtblick Kino Hiroki Manos | |
> Dokumentarfilm über den Cellisten und Improvisationsmusiker Tristan | |
> Honsinger. | |
Bild: Improvisation am Cello: Tristan Honsinger | |
Der dünne, alte Mann, der seinen verbeulten Cello-Koffer über Berliner | |
Kopfsteinpflasterwege schleppt, um mal wieder in einem kleinen Club einen | |
Gig zu spielen, ist eine Legende. Warum er das ist, wie er diesen Status | |
erlangt hat, das lässt sich in dem Portrait, das Hiroki Mano über den | |
Improvisationsmusiker Tristan Honsinger angefertigt hat, allerdings nur | |
erahnen. | |
Die Regisseurin, die selbst Jahre lang mit dem Cellisten als Performerin | |
zusammengearbeitet hat, bleibt in ihrem Dokumentarfilm „Time and space with | |
Tristan“, der im letzten Jahr fertiggestellt wurde, ganz im Hier und Jetzt | |
und zeigt ausschließlich aktuelle Bilder des Musikers, der im Laufe der | |
Dreharbeiten seinen siebzigsten Geburtstag feiert. | |
Dass Honsinger bekannt wurde durch Zusammenarbeiten mit Größen der | |
Improvisationsmusik wie Derek Bailey und Cecil Taylor, dass er zudem auf | |
frühen Stücken der bahnbrechenden Postpunkband The Pop Group zu hören ist, | |
das alles kommt in dem Film überhaupt nicht zur Sprache. Stattdessen | |
beschränkt sich der Film auf wenige biographische Details aus Honsingers | |
Leben. Der Musiker erzählt während der Zubereitung einer Kürbiscremesuppe, | |
wie es ihn erst von den USA nach Kanada verschlug und Mitte der Siebziger | |
nach Europa. Erst Holland, dann Italien, Ende der nuller Jahre schließlich | |
Berlin. Aber das war es dann auch schon mit den Stationen eines langen | |
Lebens. | |
Der Regisseurin geht es eher darum, einen erfahrenen Kollegen bei der | |
Arbeit und als Mensch im Privaten zu beobachten, um ihm dadurch Respekt vor | |
seiner Lebensleistung zu zeugen. Denn als mit den Dreharbeiten begonnen | |
wurde, war bereits klar, dass Honsinger wegen einer Krankheit nicht mehr | |
lange leben wird. | |
Man sieht also einen Mann, der schon etwas wacklig auf den Beinen, aber | |
immer noch davon getrieben ist, seine Kunst aufzuführen. Vor zwei Jahren, | |
also kurz bevor der Film fertiggestellt wurde, ist Honsinger dann auch | |
gestorben. Die Aufnahmen von Konzerten, die ihn im Berliner Club Sowieso | |
und auf dem Jazzfestival A l´arme zeigen, gehören somit zu seinen letzten. | |
Für Neueinsteiger in das Werk und Schaffen Honsingers ist der Film nicht | |
ganz leicht, weil ziemlich voraussetzungsreich. Wer noch keinen rechten | |
Zugang zu frei improvisierter Musik hat, versteht von dem, was der Mann am | |
Cello und seine Mitstreiter bei ihren Live-Events abziehen, vielleicht nur | |
Bahnhof. Der eine röchelt und gurgelt in sein Saxophon, ein anderer | |
bearbeitet hektisch seinen Kontrabass und Honsinger selbst begnügt sich | |
nicht damit, sein Cello zu befingern, sondern legt zwischendurch | |
dadaistische Spoken-Word-Einlagen hin. | |
Musikalisch ist das das genaue Gegenteil von dem, was so im Frühstücksradio | |
läuft. Aber auch jemandem, der hier für sich musikalisches Neuland betritt, | |
erschließt sich wahrscheinlich, welche Kraft diese Form von künstlerischem | |
und im kommerziellen Sinne völlig unkorrumpiertem Ausdruck haben kann. | |
Die Improv-Szene, in der sich Honsinger in Berlin bewegte, ist klein und | |
überschaubar, auch wenn sie eine der vitalsten der Welt ist. Es geht | |
familiär zu, niemand spielt den Boss oder ist der Star, auch Honsinger | |
nicht. Und genau so – dieses Gefühl vermittelt er einem in dem Film – | |
möchte er es auch. Das große Miteinander soll zählen und weniger der | |
einzelne. Freie Improvisation ist eben auch eine weltanschauliche und | |
philosophische Sache. | |
Am Ende des Films spricht Honsinger über den Tod, mit langsamen und | |
überlegten Worten, ganz ruhig und bei sich selbst. Und wie jemand, der | |
weiß, dass er von anderen geschätzt wird und ziemlich gelassen dem eigenen | |
Ende entgegen blicken kann. | |
28 Mar 2025 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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