| # taz.de -- Nahost-Konflikt und Feminismus: Göttinnen des Gemetzels | |
| > Der Krieg in Gaza entzweit die feministische Bewegung. Es gilt, | |
| > Gemeinsamkeiten hervorzuheben, statt Nahost über den feministischen Kampf | |
| > zu stellen. | |
| Bild: „Flinta stick together“: Ein Aufruf, der in der feministischen Bewegu… | |
| Vor dem Krieg in Gaza war der 8. März ein Tag kämpferischer Solidarität | |
| unter Flinta*. Heute ist er nur noch ein Schauplatz für das unerbittliche | |
| Gemetzel einer ideologisch zerrütteten feministischen Bewegung. | |
| Gegenüber stehen sich zwei unversöhnliche Lager: Ein liberaler, westlicher, | |
| oftmals weißer Feminismus, der in seiner vermeintlich emanzipatorischen | |
| Haltung auch exklusiv ist und in seiner Extremform etwa Trans-Identitäten | |
| oder die Vereinbarkeit von feministischen Positionen mit dem Islam infrage | |
| stellt. Auf der anderen Seite eine jüngere queerfeministische Bewegung, die | |
| stark durch dekoloniale Kämpfe geprägt wurde. | |
| Der Nahostkonflikt wirkt wie ein Brennglas für die weltanschaulichen | |
| Gräben, [1][die es in der Bewegung schon immer gegeben hat]. Das eine Lager | |
| beschuldigt das andere, sexualisierte Gewalt durch die Hamas zu | |
| verharmlosen, während das andere eine rassistische Auffassung von | |
| Feminismus kritisiert, die sich nicht gegen jede Form der Unterdrückung | |
| richtet. Beidseitig – da ist man sich einig – lautet der Vorwurf: | |
| Doppelmoral. | |
| Was bleibt? Ein orientierungsloser Scherbenhaufen. Daran lassen die | |
| Demo-Aufrufe für den diesjährigen feministischen Kampftag in Berlin keinen | |
| Zweifel. Unter dem Motto „Until total Liberation“ ruft die „Alliance of | |
| International Feminists“ zur Demonstration auf – gemeinsam mit Gruppen wie | |
| „Palestine at the Forefront“ und „Young Struggle“, die den | |
| Hamas-Terrorangriff auf Israel als „Gefängnisausbruch“ und „Widerstand“ | |
| bezeichneten. Ebenso einseitig palästinasolidarisch positioniert sich die | |
| kämpferische Abenddemo „Fight by Night“. Dem gegenüber steht das 2024 | |
| gegründete israelsolidarische 8.-März-Bündnis „Feminism Unlimited“, das … | |
| einer Demo für „einen antifaschistischen und universellen Feminismus“ | |
| aufruft. | |
| ## Doppelmoral auf beiden Seiten | |
| Nur drei Tage vor der Demo erschien auf indymedia.de ein offener Brief | |
| eines ehemaligen Gründungsmitglieds von „Feminism Unlimited“, das dem | |
| Bündnis Queerfeindlichkeit, Transmisogynie, Feindlichkeit gegenüber | |
| Sexarbeitenden sowie antimuslimischen und antipalästinensischen Rassismus | |
| vorwirft. Das Bündnis sei von „antideutschen TERFs“ (Trans Exclusionary | |
| Radical Feminists) übernommen worden und „alle genderqueeren Personen und | |
| alle queerfeministischen Personen aus dem Bündnis herausgedrängt“ worden. | |
| „Feminism Unlimited“ weist in einer Stellungnahme die Vorwürfe zurück. Sie | |
| würden eine „einseitige und missgünstige Sicht der Dinge darlegen, die zu | |
| großen Teilen auf Falschdarstellungen beruht“. | |
| Im Demo-Aufruf von „Until total Liberation“ heißt es: „Wir stellen uns | |
| bedingungslos auf die Seite der Unterdrückten und der von ihnen gewählten | |
| Wege des Widerstands.“ Eine Formulierung, die die Massenvergewaltigungen, | |
| Geiselnahmen und Ermordung von jüdischen Flinta* durch die Hamas als | |
| legitimen Widerstand rechtfertigt. So weit, so antifeministisch. Und | |
| doppelmoralisch. | |
| Im Aufruf der ebenso stark propalästinensisch positionierten Abenddemo | |
| „Fight by Night“ heißt es, „jegliche Länderflaggen“ seien verboten. M… | |
| wolle keine israelische Flagge sehen, so eine Sprecherin zur taz. Eine | |
| Ausnahme gibt es jedoch: Palästina-Flaggen sind willkommen. Denn – na klar | |
| – diese stünden nicht nur für einen Staat, sondern auch für eine | |
| „revolutionäre antiimperialistische Praxis“. Das gelte auch für Kurdistan- | |
| oder Rojava-Flaggen sowie für alle Flaggen „von unterdrückten Staaten“. U… | |
| welche Staaten als unterdrückt gelten, das entscheidet wer? Was ist mit | |
| Ukraine-Flaggen? Oder irischen? | |
| Das israelsolidarische Bündnis soll laut den Vorwürfen auf indymedia.de | |
| ähnlich willkürlich sein: Die Organisator*innen hätten sich gegen ein | |
| Verbot von Nationalfahnen gestellt, mit der Begründung, dass man jüdischen | |
| Menschen nicht verbieten könne, eine Israel-Fahne zu tragen. | |
| Palästina-Fahnen und Kufiyas hingegen sollten verboten werden, heißt es. | |
| Das Bündnis weist die Vorwürfe zurück und betont, dass ihr Aufruf | |
| ausdrücklich dazu auffordert, sämtliche National- und Parteiflaggen nicht | |
| mitzubringen. | |
| ## Flinta* geraten über den Nahostkonflikt in den Hintergrund | |
| Während die Bewegung über willkürliche Symbolpolitik und unterdrückte | |
| Staaten streitet, geraten diejenigen in den Hintergrund, um die es am 8. | |
| März eigentlich gehen sollte: die unterdrückten Flinta* – auf beiden | |
| Seiten. | |
| Einen intersektionalen Ansatz zu verfolgen, der Antiimperialismus und | |
| Kolonialisierung mitdenkt, ist legitim. Aber Intersektionalität darf nicht | |
| selektiv sein und auf Kosten jüdischer Flinta* gehen. Intersektionalität | |
| bedeutet zudem, keine Hierarchie der Unterdrückung aufzumachen. Doch genau | |
| das passiert: Anstatt gegen jede geschlechtsspezifische Gewalt | |
| zusammenzustehen, wird die sexualisierte Gewalt auf beiden Seiten infrage | |
| gestellt, relativiert und geleugnet und das Leid der Frauen und Mädchen in | |
| Israel und Gaza zu einem Wettbewerb. | |
| Intersektionalität bedeutet schließlich auch die Gleichwertigkeit aller | |
| Kämpfe, nicht die Dominanz eines Themas über den feministischen Kampf. Doch | |
| derzeit wird der Nahostkonflikt zum Gradmesser für Zugehörigkeit oder | |
| Ausschluss innerhalb der feministischen Bewegung. Statt sich über | |
| gemeinsame Ziele zu verbinden und sich zusammen am 8. März die Straße zu | |
| nehmen, [2][arbeitet sich die Bewegung an ideologischer Reinheit ab und | |
| blockiert so jede Form der Zusammenarbeit.] | |
| Indem der Nahostkonflikt die Agenda der 8.-März-Demos beherrscht, wird | |
| letztlich bewusst in Kauf genommen, dass sich weniger Menschen am | |
| feministischen Kampftag beteiligen. Viele, die sich dem Kampf gegen das | |
| Patriarchat anschließen wollen, fühlen sich durch die gewaltverherrlichende | |
| Rhetorik mancher Gruppen, die auf queerfeministischen Demos Sprechchöre wie | |
| [3][„Yallah, Yallah, Flintifada!“ (Flinta* und Intifada)] anstimmen, unwohl | |
| und ziehen es vor, den Demos fernzubleiben. | |
| Die Zerfleischung der Bewegung ist ein Trauerspiel. Die Logik der | |
| Feindschaft, die sich entwickelt hat, ist genauso selbstgerecht wie | |
| destruktiv und stärkt nur eins: das Patriarchat. Denn feministische | |
| Solidarität ist eine Bedrohung für das patriarchale System. Also Flinta*: | |
| Lasst uns zusammenreißen und diese Bedrohung entfalten! | |
| 7 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
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