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# taz.de -- Sozioökonomische Gesundheitsfaktoren: In der Medizin sind nicht al…
> Nicht nur körperliche Faktoren entscheiden in Deutschland, wie gesund die
> Bürgerinnen und Bürger sind. Es gibt aber Bestrebungen, das zu ändern.
Bild: Gesundheit hat auch mit Bildung zu tun
Das gesetzliche Gesundheitssystem in Deutschland soll mehr Gleichheit
zwischen den Menschen schaffen und unabhängig vom Geldbeutel dafür sorgen,
dass jede Person ein gesundes Leben führen kann. In der Realität ist es
dennoch so, dass Menschen mit weniger Geld eher krank werden. Das zeigt
sich deutlich in den Gesundheitsdaten: [1][Krebs, kardiovaskuläre
Erkrankungen und Diabetes] kommen bei Menschen mit wenig Geld häufiger vor
als bei Wohlhabenden, ebenso psychische Störungen.
Selbst bei der [2][Lebenserwartung] ist die Ungleichheit sichtbar: Frauen
mit niedrigem Einkommen leben im Schnitt 4,4 Jahre kürzer als solche mit
hohem Einkommen. Bei Männern sind es sogar 8,6 Jahre. „Wir sehen große
soziale Unterschiede bei vielen chronischen Erkrankungen, wie
beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, starkem Übergewicht, Diabetes
und verschiedenen Krebserkrankungen“, sagt die Medizinsoziologin Stefanie
Sperlich von der Medizinischen Hochschule Hannover.
In Ländern wie den USA, in denen die gesundheitliche Versorgung über die
Marktwirtschaft geregelt ist, stehen viele Kranke allerdings vor deutlich
größeren Problemen. „Bei uns geht es dagegen nach dem Solidarprinzip, bei
dem es einen an das Einkommen gebundenen Versicherungsbeitrag gibt – aber
alle Menschen das gleiche Leistungsspektrum bekommen.“
Weshalb aber existiert trotz der gesetzlichen Krankenkassen eine soziale
Ungleichheit? Entscheidend ist dabei nicht nur das Einkommen, betont
Sperlich: „Zusätzlich muss man auch die berufliche Situation und die
Bildungsbenachteiligung im Blick haben.“ So birgt etwa Schichtarbeit in
einer Produktion andere gesundheitliche Risiken als ein Bürojob, und eine
Person aus der Chefetage kann sich möglicherweise größere Freiheiten nehmen
als die Angestellten. Hinzu kommt die Bildung: Wer mehr über Medizin und
Gesundheit weiß, kann sich besser um sich selbst kümmern, beispielsweise
auf eine gute Ernährung achten und aktiv Stress reduzieren. Ein Beispiel
dafür ist [3][Diabetes im Erwachsenenalter (Typ 2)], Risikofaktoren dafür
sind unter anderem Übergewicht, zu wenig Bewegung und chronische
Stressbelastung.
## Ungünstige Umstände
„Überhaupt ist es nicht selbstverständlich, sich über die Gesundheit
Gedanken zu machen“, sagt Sperlich. „Wer sich ständig Sorgen um die
Miethöhe macht, hat weniger Kapazitäten, auch noch an die
Gesundheitsvorsorge zu denken.“ Das zeige sich vor allem bei der
Früherkennung. Viele Erkrankungen können besser behandelt oder gar geheilt
werden, wenn sie möglichst früh entdeckt werden. Deshalb gibt es
verschiedene Screening-Angebote: [4][Frauen zwischen 50 und 70 Jahren] etwa
können alle zwei Jahre eine Mammografie zur Brustkrebserkennung durchführen
lassen. Eine Untersuchung für Hautkrebs wird bei [5][Männern und Frauen ab
35 Jahren] ebenfalls im Zwei-Jahres-Rhythmus vorgeschlagen und Männer
können ab 45 Jahren jährlich zur Prostata-Vorsorge.
Wer solche Termine wahrnimmt, hängt allerdings stark mit sozioökonomischen
Faktoren zusammen, sagt Martin Scherer, Präsident der Deutschen
Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (Degam): „Inzwischen
ist wissenschaftlich gut belegt, dass Früherkennungsmaßnahmen vor allem
diejenigen erreichen, die sozial privilegiert sind und geringere
gesundheitliche Risiken haben.“
Dazu kommt, dass Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen oft in
ungünstigeren Umgebungen leben: etwa in Wohnungen ohne Klimatisierung, die
im Sommer viel zu heiß und durch schlechte Dämmung im Winter ungemütlich
kalt werden. Oder die an viel befahrenen Straßen liegen und somit die
Gesundheit mit einer schlechteren Luftqualität und [6][ständigem Lärm]
belasten. All das kann die Entstehung oft chronischer Erkrankungen
begünstigen.
Die Aufzählung [7][möglicher Ursachen] von sozialen Unterschieden im
Erkrankungsrisiko ist damit keinesfalls komplett – von der Mobilität und
der Stigmatisierung über Schwierigkeiten mit der Sprache bis zur
konsequenten Medikamenteneinnahme könnten noch viele weitere Aspekte eine
Rolle spielen.
Immerhin gibt es Überlegungen dazu, wie die Lücke zumindest verkleinert
werden kann. So betont die Degam den [8][Wert der „sprechenden Medizin“]:
Hausärztinnen und Hausärzte sollten sich mehr Zeit für Menschen nehmen, die
etwa von Sprachbarrieren oder finanziellen Schwierigkeiten betroffen sind –
und das auch adäquat vergütet bekommen. Dazu gehört eine gute
Zusammenarbeit von Praxen und sozialen Beratungsstellen.
## Hilfreiche Digitalisierung?
Die Medizinsoziologin Sperlich stellt auch die Bedeutung der Hausarztpraxis
für eine gute Vernetzung zwischen hausärztlicher und fachärztlicher
Versorgung heraus. „Für manche Menschen ist es eine große Herausforderung,
die nötigen Termine bei mehreren Ärzten zu koordinieren – das setzt Aufwand
und Kompetenz voraus.“ Die Übernahme dieser Lotsenfunktion ist häufig keine
leichte Aufgabe in Hinblick auf den Fachkräftemangel auch in Arztpraxen und
auf die ausgelasteten Wartezimmer. Gerade in diesem Aspekt geht es derzeit
aber eher bergab: Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) verzeichnet
in einer Untersuchung seit 2007 [9][einen beständigen Rückgang von Einzel-
und Gemeinschaftspraxen] – wobei hier auch Facharztpraxen eingerechnet
sind. Das sei einer der Gründe, warum für die Behandlung der einzelnen
Patienten und Patientinnen immer weniger Zeit sei, so die KBV. Und das
Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung schätzt, dass bis zum
Jahr 2040 etwa 30.000 bis 50.000 Ärztinnen und Ärzte fehlen könnten. Keine
guten Voraussetzungen für die Förderung der „sprechenden Medizin“.
Andere Ansatzpunkte wären beispielsweise, die Stigmatisierung verschiedener
Erkrankungen [10][durch Bildungsangebote zu verringern und das medizinische
Wissen in der Bevölkerung zu stärken] – mit Fokus auf finanziell
benachteiligte Menschen. Dabei können auch Präventionsangebote im
Mittelpunkt stehen, damit manche Krankheiten gar nicht erst auftreten.
Hilfreich und schwierig zugleich könnte sich die [11][Digitalisierung im
Gesundheitswesen] gestalten. Einerseits bemängelt der Hausärztinnen- und
Hausärzteverband, dass [12][moderne Technologien in Deutschland in der
medizinischen Versorgung] bisher kaum zum Einsatz kämen – im Gegenteil zu
anderen europäischen Ländern.
Andererseits ist man sich einig, dass die Digitalisierung zunehmen wird,
etwa mit der [13][elektronischen Patientenakte]. Das bietet die
Möglichkeit, Daten zu bündeln, und ermöglicht es den Ärzt:innen,
effizienter zu arbeiten. Aber dann gilt es, auch in diesem Bereich soziale
Ungleichheiten zu vermeiden: Nicht alle Menschen haben Zugang zu digitalen
Geräten oder kommen mit Apps, Chatfunktionen und Zwei-Wege-Authentifikation
klar. Dafür zu sorgen, dass auch diese Menschen einen guten Zugang zum
Gesundheitswesen haben, muss als Aspekt der Digitalisierung mitgedacht
werden.
24 Mar 2025
## LINKS
[1] https://www.wsi.de/de/wsi-mitteilungen-soziooekonomischer-status-und-gesund…
[2] https://www.degam.de/pressemitteilung-detail/armut-macht-krank-soziale-gesu…
[3] https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-015-2277-4
[4] https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-kr…
[5] https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-kr…
[6] /Laute-Autos-in-Berlin/!6006041
[7] https://link.springer.com/article/10.1007/s00115-019-00820-z
[8] https://www.degam.de/pressemitteilung-detail/armut-macht-krank-soziale-gesu…
[9] https://www.kbv.de/html/themen_38343.php
[10] https://www.aerzteblatt.de/news/besserstellung-der-sprechenden-medizin-kom…
[11] https://equityhealthj.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12939-023-02055-6
[12] https://www.haev.de/themen/digitalisierung
[13] /Digitale-Patientenakte/!6034671
## AUTOREN
Stefanie Uhrig
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