# taz.de -- Vertrauen in die Politik: Kontrolle ist besser | |
> Wer darauf vertraut, dass die Politik das viele Geld schon richtig | |
> verwendet, läuft Gefahr, enttäuscht zu werden. Dann ist auch das | |
> Vertrauen dahin. | |
Bild: Protestaktion von Friedensinitiativen gegen das neue Sondervermögen. Auc… | |
Der Weg für 500 Milliarden Euro Schulden für Infrastruktur und anderes | |
werde freigemacht, „um verlorenes Vertrauen in den Staat und die Demokratie | |
zurückzugewinnen“, schreibt der Spiegel über die aktuellen Verhandlungen | |
über Schuldenbremse und Sondervermögen. Die Frankfurter Rundschau fragt: | |
„Merz’ Plan mit dem Sondervermögen: Wie lange währt das Vertrauen der | |
Deutschen?“ Dieser Tage ist viel von „Vertrauen“ in die Politik die Rede. | |
Ein interessantes Konzept. | |
Ich schenke dir mein Vertrauen. Du musst dich aber so verhalten, wie ich es | |
mir vorstelle, andernfalls entziehe ich dir mein Vertrauen. In persönlichen | |
Beziehungen birgt dieses Konzept schon sehr viel Drama-Potenzial. Ein | |
einziger Fehler, und das Vertrauen kann „entzogen“ werden. Im politischen | |
Kontext funktioniert das erst recht nicht. Das zeigt sich beispielsweise in | |
den aktuellen Debatten. Sollte man darauf „vertrauen“, dass die neue | |
Regierung das schon alles richtig macht mit den Hunderten Milliarden an | |
Schulden? | |
Sollte man darauf „vertrauen“, dass das Geld zum Wohle der Bevölkerung | |
eingesetzt wird? Nein. Denn dann ist der „Vertrauensverlust“ inhärent: Ein | |
Fehler – und es hängt immer davon ab, was Menschen als Fehler wahrnehmen – | |
und das Vertrauen wird „entzogen“. In der Politik macht „Vertrauen“ nur | |
dann Sinn, wenn es mit Kontrolle verbunden wird. Demokratie kann nur | |
funktionieren, wenn Politik kontrolliert wird. Das ist der Hintergrund von | |
Gewaltenteilung. | |
Das ist der Grund, warum Medien, Justiz, Parlament und Zivilgesellschaft in | |
einer Demokratie derart zentrale Rollen spielen. Das ist auch der Grund, | |
aus dem [1][Donald Trump seit Wochen alle Institutionen, Personen und | |
Posten abräumt], die dazu da sind, Regierungshandeln zu kontrollieren. An | |
einem Freitagabend vor einigen Wochen feuerte Trump in einem Zuge mehr als | |
ein Dutzend „Inspector Generals“ – sie sitzen als unabhängige | |
Beamt:innen in verschiedenen Ministerien und Institutionen, gelten als | |
unparteiisch und sollen Missbrauch, Verschwendung von Steuergeldern und | |
Korruption aufdecken oder verhindern. Trump findet allem Anschein nach, man | |
solle ihm einfach „vertrauen“. | |
## Einkommen beeinflusst politische Meinungen | |
Macht und Missbrauch stehen sich nahe. Zumindest, wenn die Strukturen es | |
erlauben. Egal, wie ehrlich die beteiligten Akteur:innen sind. Allein | |
die Lobbystruktur in Deutschland, beispielsweise die hohe finanzielle | |
Ausstattung der Finanzlobby, stellt eine Struktur des Machtmissbrauchs dar. | |
Spitzenpolitiker:innen stehen einer Übermacht an Lobbygruppen wie | |
der Finanz-, Pharmawirtschaft und anderen Akteuren wie der Stiftung | |
Familienunternehmen gegenüber. | |
Die Universität Osnabrück stellte dementsprechend in einer im Jahre 2016 | |
veröffentlichten Langzeitstudie fest, „dass [2][das Einkommen politische | |
Meinungen beeinflusst]“. Politische Entscheidungen, so die | |
Forscher:innen, würden „mit höherer Wahrscheinlichkeit mit den | |
Einstellungen höherer Einkommensgruppen übereinstimmen“. Es bestehe | |
außerdem „eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten | |
der Armen“. | |
Sollte man also vertrauen, dass Politik grundsätzlich zum Wohle aller | |
Menschen handelt? Nein, offensichtlich nicht. Und zwar nicht, weil | |
Politiker:innen „böse“ seien oder gar korrupt. Sondern weil das | |
politische System so beschaffen ist, dass es nicht automatisch Ergebnisse | |
produziert, die der Mehrheit der Bevölkerung dienen. Das Sondierungspapier | |
von Union und SPD ist ein Beispiel dafür: Darin sollten Gastronom:innen | |
Steuergeschenke gemacht werden, deren Zweck für die Allgemeinheit zumindest | |
fragwürdig waren. | |
Sowohl die künftige Opposition als auch viele Medien stellten das in Frage: | |
Das ist Kontrolle. Mit den Hunderten Milliarden an Schulden und zukünftigen | |
Schulden, die in dieser Woche in Bundestag und Bundesrat beschlossen werden | |
sollen, sieht es da schon etwas schwieriger aus. Wie eine solche | |
Schuldenaufnahme möglich ist, wird politisch und medial viel zu wenig | |
erklärt. Nicht der Grund dafür, der ist eindeutig: Die schwerwiegende | |
Bedrohung durch Russland und das autoritäre Verhalten Trumps, der schon im | |
Präsidentschaftswahlkampf angedroht hatte, Europa Russland zum Fraß | |
vorzuwerfen. | |
Die europäischen Staaten müssen ihre Bevölkerung gegen jeden potenziellen | |
russischen Angriff, ob im Cyberspace oder militärisch, schützen können. | |
Dass das heute nicht der Fall ist, scheint weitgehend Konsens zu sein. | |
Gleichzeitig gilt: Wer erklärt den Menschen, dass im vergangenen Jahr eine | |
[3][Kindergrundsicherung] scheiterte, die mit rund 12 Milliarden Euro | |
angesetzt war, weil sie zu teuer war – aber nun innerhalb von drei Wochen | |
eine [4][Verschuldung von 1 Billion Euro] oder mehr ermöglicht werden soll? | |
Medial und politisch wird der Öffentlichkeit erklärt, warum die Schulden | |
notwendig sind und wofür sie eingesetzt werden. Aber wie kann das sein? | |
Warum das eine ja, das andere nicht? Hat es mit Prioritäten zu tun? | |
Politisch braucht es Ehrlichkeit, medial braucht es Zweifel – damit | |
Menschen das Gefühl haben, dass dieser Prozess kontrolliert abläuft. Das | |
Fundament einer Demokratie ist nicht Vertrauen. | |
Ein gesundes demokratisches Fundament ist wertschätzendes Misstrauen. Nicht | |
weil man „der“ Politik misstraut oder gar Politiker:innen – Menschen, | |
die politische Ämter bekleiden, ob ehrenamtlich, kommunal oder an der | |
Spitze, um das Leben von Menschen zu verbessern und in der übergroßen | |
Mehrheit nach bestem Wissen und Gewissen handeln –, sondern weil man an | |
resiliente, feste demokratische Strukturen glaubt, die Macht kontrollieren | |
und kritisieren. | |
Sollen Menschen in diesen Krisenzeiten nicht das „Vertrauen“ in die | |
Demokratie verlieren, ist es wichtig, kein Ungleichgewicht zwischen Staat | |
und Bevölkerung zuzulassen. Das ist Aufgabe der Parteien, der Justiz und | |
vor allem der Medien. Das beste Mittel gegen „Vertrauensverlust“ ist | |
Machtkritik. | |
19 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Donald-Trumps-staendige-Rechtsbrueche/!6073083 | |
[2] https://www.lobbycontrol.de/reichtum-und-einfluss/armuts-und-reichtumsberic… | |
[3] /Lisa-Paus-Kindergrundsicherung/!6026503 | |
[4] /Wendemanoever-durch-Merz/!6073854 | |
## AUTOREN | |
Gilda Sahebi | |
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