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# taz.de -- Museumspädagoge über Zwangsarbeit: „Ein Täter wurde getötet �…
> Jan Tönnies macht eine Führung zu sowjetischen Zwangsarbeitern im
> Osnabrücker Steinbruch Piesberg. Das Wissen dazu haben Schüler
> erarbeitet.
Bild: Hier schufteten sowjetische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter: Steinbruc…
taz: Herr Tönnies, Ihre Führung „Sowjetische Kriegsgefangene und
Zwangsarbeit am Piesberg“ versteht sich als „Spurensuche“. Ist das eine
Hommage an das Projekt, mit dem die Thomas-Morus-Schule, das Thema 2004
aufgearbeitet hat?
Jan Tönnies: So ist es. Ich bin bis heute im Austausch mit Felix Trentmann,
dem Lehrer von damals. Unser Wissen um diese Vorgänge geht größtenteils auf
seine Broschüre und Ausstellung zurück. Auf der Website der russischen
Bürgerrechtsorganisation „Memorial“ habe ich einen Link zu einer
Internetseite mit Personalkarten und Fotos von Kriegsgefangenen entdeckt,
die am Piesberg arbeiten mussten. Wenn dich diese Menschen ansehen, läuft
es dir eiskalt den Rücken runter.
taz: Wie viele Gefangene waren am Piesberg eingesetzt?
Tönnies: Insgesamt zwischen 2.000 und 2.500, in einem eigenen Lager, in
drei Gebäuden auf unserem Gelände, geführt von der Wehrmacht. Klöckner,
die Betreiberfirma, hat Aufseher bestimmt.
taz: Einer von ihnen soll gesagt haben: „Wenn an meinem Stock kein
Russenblut klebt, war es ein schlechter Tag.“
Tönnies: Das trat in den Zeitzeugengesprächen zutage, die die Schüler
geführt haben.
taz: Wie waren die Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter?
Tönnies: Sehr hart. Im Steinbruch war es im Sommer extrem heiß, es gab kaum
Schatten und war sehr staubig. Die Unterkünfte waren dürftig, auch die
hygienischen Zustände. Das Essen bestand oft nur aus Wassersuppe; Fett war
selten. Hinzu kam die Drangsalierung.
taz: Es gab auch Tote?
Tönnies: Nahe dem Piesberg gab es den „Russenfriedhof“. Da lagen 57
Kriegsgefangene. Insgesamt ist von rund 70 Menschen die Rede, die gestorben
sind, die getötet wurden, ermordet.
taz: Wurden die Täter zur Rechenschaft gezogen?
Tönnies: Kaum, soweit ich weiß. Gegen eine Person gab es eine Anklage wegen
Misshandlung. Ein anderer Täter wurde von ehemaligen Lagerinsassen am
Piesberg aufgespürt und getötet.
taz: Was zeigt mir Ihre Führung?
Tönnies: Erst geht es nach draußen. Wir sehen dabei die Steinbrecheranlage.
Und wir sehen den Schwarzen Weg, den die [1][Zwangsarbeiter] oft zur Strafe
hochlaufen mussten. Wenn man sich ansieht, wie steil das ist, mag man sich
nicht vorstellen, wie das war. Man wurde angebrüllt dabei, geschlagen.
Drinnen zeige ich dann die wertvollste Quelle, die wir zu dieser Geschichte
haben: Das Buch aus dem Verbandszimmer, das die Verletzten erfasst. Die
russischen Kriegsgefangenen stehen da nicht mit Namen drin, anders als
belgische, französische. Das war eine bewusste Herabwürdigung.
taz: Weil sie als Untermenschen betrachtet wurden?
Tönnies: 1942 gab es den Befehl, [2][sowjetische Kriegsgefangene] eigens zu
kennzeichnen. Durch eine Tätowierung, einen Winkel. Ekelhaft, dieses
Denken.
taz: Dazu passt, dass Ihre Führung im Rahmen der Internationalen Wochen
gegen Rassismus stattfindet. Es geht also nicht nur um die Vergangenheit.
Tönnies: Das ist so. Man muss immer wieder zeigen, dass so etwas nie wieder
geschehen darf. Blind Ideologien hinterherzulaufen, die von oben vorgegeben
werden, führt immer in die Katastrophe.
taz: Wie reagiert das Publikum auf solche Führungen?
Tönnies: Oft sehr betroffen. Viele wissen gar nicht, was damals hier
vorgefallen ist. Das hat unsere Dauerausstellung ja auch nicht gezeigt –
was wir ändern werden, wenn wir diese demnächst überarbeiten.
taz: Einige der Zwangsarbeiter kamen aus der [3][Ukraine, andere aus
Russland]. Rechnen Sie dazu mit Diskussionen?
Tönnies: Eigentlich nicht. Aber wenn sie sich ergeben, würde ich schon
darauf hinweisen, dass die heutige Situation nicht mit der von vor 80
Jahren vergleichbar ist. Unser Ankündigungshinweis zeigt einen Ukrainer.
Das habe ich mir bei der Bildauswahl gar nicht bewusst gemacht, hier hatten
ja alle dasselbe Schicksal. Daran merkt man, wie verrückt die Zeit ist, in
der wir leben.
18 Mar 2025
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## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
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Schwerpunkt Nationalsozialismus
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