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# taz.de -- Spannungen im neuen Syrien: Es knallt an der Küste
> An Syriens Küste leben viele Alawit*innen – eine Minderheit, der
> Ex-Diktator al-Assad angehört. Nun gab es dort heftige
> Auseinandersetzungen mit den neuen Machthabern.
Bild: Es ist ein neues Syrien, mit neuen Machtverhältnisse. Da kommt es immer …
Berlin taz | Noch ist unklar, was am Mittwochabend an der Küste Syriens
genau passiert ist: Videos, die online zirkulieren, zeigen Explosionen, die
die Dunkelheit erhellten. Menschen auf den Straßen, die im Chor singen und
rufen. Schüsse, die in der Ferne zu hören sind. Die Szenen sollen sich im
alawitischen Dorf Qardaha in der Provinz von Latakia abspielen.
Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR), eine
Zivilorganisation mit Sitz in Großbritannien, meldete am Mittwochabend
mehrere verletzte Zivilist*innen in Qardaha. Streitkräfte der neuen
Regierung von Hayat Tahrir asch-Scham (HTS) hätten versuchten, das Haus
eines ehemaligen Offiziers des Assad-Regimes zu stürmen. Laut der
Rekonstruktion der Beobachtungsstelle sollen die Streitkräfte dann das
Feuer eröffnet haben. Zuvor waren wohl bereits zehn Männer festgenommen
worden.
In den Gebieten rund um die Küstenstädte Latakia und [1][Tartus] lebt die
religiöse Minderheit der Alawit*innen. Ihr gehört der ehemalige Präsident
Baschar al-Assad an – und viele seiner ehemaligen Anhänger, Mitarbeiter und
Militärs. Nach dem Sturz des Autokraten am 8. Dezember 2024 durch eine
sunnitisch geprägte Rebellenkoalition gab es in den alawitischen Regionen
eine gewisse Unruhe.
Viele Alawit*innen fürchten seit dem Machtwechsel um ihre Sicherheit.
Unter Assad waren sie in Machtpositionen überrepräsentiert, das macht sie
bei der neuen Regierung kaum beliebt. Berichte über Misshandlungen oder gar
Exekutionen häuften sich in den vergangenen Monaten, teilweise wurden sie
durch Berichte von Nichtregierungsorganisationen bestätigt. Die neue
Regierung von Hayat Tahrir asch-Scham beteuert, alle Minderheiten seien im
neuen Syrien sicher – und schiebt die Verantwortung für die Vorfälle auf
Kriminelle oder einzelne Individuen. Diese nutzten das Chaos in der
Übergangsphase, um alte Rechnungen zu begleichen und Selbstjustiz
auszuüben.
## Viele in Syrien fordern ein „friedliches Zusammenleben“
Kürzlich wurde in Damaskus eine [2][Konferenz für Nationalen Dialog]
abgehalten. Sie hat Empfehlungen für die neue syrische Übergangsregierung
herausgearbeitet: Unter anderem soll Syrien vereint bleiben, alle
bewaffneten Gruppen und Milizen ihre Waffen abgeben, Diskriminierung
verhindert werden und Rechte wie die freie Meinungsäußerung gesichert sein.
Ein „friedliches Zusammenleben“ aller religiösen und ethnischen Gruppen
soll die Regierung sicherstellen, nicht zuletzt durch eine Übergangsjustiz,
die [3][Verbrechen von Mitgliedern des ehemaligen Regimes] ahndet.
Dass die Umsetzung all dessen nicht leicht wird, zeigt sich an Vorfällen
wie etwa am Mittwochabend. Auch darüber hinaus gibt es viele Beispiele für
interreligiöse Konflikte: Auch in einem Dorf außerhalb Homs sollen am
Mittwoch Schüsse gefallen sein, als bewaffnete Kämpfer versuchten, einen
Mann festzunehmen.
Auch anders herum gibt es Vorfälle: Ende Januar etwa brachten wohl Anhänger
des ehemaligen Regimes sieben Kämpfer der neuen Machthaber HTS in der Nähe
von Latakia in ihre Gewalt – und drohten, sie zu töten. Sie wurden später
von den neuen syrischen Streitkräften befreit. Und vor vier Tagen wurde ein
Fahrzeug des Verteidigungsministeriums in Latakia angegriffen, ein Mann
starb. Gruppen von verärgerten Männern versammelten sich daraufhin vor der
Polizeistation und drohten Alawit*innen mit Vergeltung.
## „Nicht so schlimm, wie es klingt“
In Tartus sind derzeit außerdem Falschmeldungen über eine bevorstehende
Zwangseinberufung aller alawitischen Männer im Umlauf, wie ein Einwohner
berichtet. Der junge Mann, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben
möchten und hier Ali heißen soll, erzählt: Es habe am Mittwoch mehrere
solcher Fake-News gegeben, die die Gemüter erhitzt hätten. Wer sie in
Umlauf gesetzt hatte, wisse er nicht. Noch gebe es in der Region einige
Anhänger*innen des alten Regimes, die den [4][Sturz des Ex-Präsidenten]
nicht akzeptiert hätten, sagt er. „Die Lage im Küstengebiet ist unruhig.
Aber es ist auch nicht so schlimm, wie es klingt. Außer in einigen Dörfern,
dort gibt es [5][echte Auseinandersetzungen].“
Für Ali ist eine Versöhnung für die Verbrechen der Vergangenheit nötig,
damit sich die Lage beruhige. Dem jungen Mann ist es trotzdem wichtig,
optimistisch in die Zukunft zu blicken: „Ich sehe es als eine nationale
Pflicht. Wenn wir pessimistisch werden, wird dies unseren Fortschritt
hindern“.
27 Feb 2025
## LINKS
[1] /Lage-der-Alawiten-in-Syrien/!6059466
[2] /Nationaler-Dialog-Konferenz-in-Damaskus/!6068602
[3] /Massengraeber-in-Syrien/!6056723
[4] /Sturz-des-Assad-Regimes/!6054210
[5] /Nach-dem-Sturz-von-Assad/!6059730
## AUTOREN
Serena Bilanceri
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
Baschar al-Assad
Alawiten
Syrischer Bürgerkrieg
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