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# taz.de -- Foltergefängnisse in Syrien: Den Kerker im Kopf
> Der Syrer Muhammad Daud saß 13 Jahre in Haft des gestürzten Regimes von
> Baschar al-Assad – und ist nun ein gebrochener Mann. Wie seine Familie
> ihm helfen soll, weiß sie nicht.
Bild: Kleine Zellen, Dunkelheit, Schmutz: In diesen Verhältnissen war Muhammad…
Damaskus taz | Muhammad Dauds Schwester Nahed zeigt auf ihrem Handy ein
Video des Moments, als ihr Bruder zum ersten Mal seit 13 Jahren wieder sein
Zuhause betritt: Er sieht erschöpft aus, starrt ungläubig auf seine
Familie, die Freunde und die Nachbarn, die ihn freudig in seinem Zuhause am
Rande der Altstadt von Damaskus empfangen. Er scheint niemanden zu
erkennen. Und wirkt, als stünde er neben sich, als sehe er einen Film an,
an dem er selbst nicht beteiligt ist. Seine Mutter weint. Jemand hebt den
grauen Pullover des Mannes an: „Er ist es, er hat ein Muttermal an der
gleichen Stelle.“
Es sind Muhammad Dauds erste Schritte in Freiheit. Eigentlich ein
Freudentag – hätte Muhammad im Kerker des nun gestürzten Diktators Baschar
al-Assad nicht buchstäblich seinen Verstand verloren. Dreizehn Jahre hat er
in Syriens [1][berüchtigtster Haftanstalt Sednaya] verbracht, im Volksmund
auch bekannt als „der Schlachthof“.
Nahed Daud, seine Schwester, sagt: Muhammad hätten sie erst nach
stundenlanger Suche in den riesigen Trakten des Gefängnisses entdeckt. „Wir
haben ihn erst nicht gefunden. Dann sagte uns jemand, da gebe es noch eine
Küche. Dort gab es drei Räume: Einer war voller Leichen, der andere voller
Knochen und im letzten fanden wir vier Männer. Einer davon war mein
Bruder“, erzählt sie. Die Türen waren offen, aber die Männer und ihr Bruder
trauten sich nicht nach draußen. „Als wir ihn fanden, fragten wir ihn: Wie
heißt du? Er sagte: Ich bin eine Nummer, wenn ich meinen Namen nenne,
bringen sie mich um.“
Nachdem Muhammad ein paar Tage zu Hause verbracht hatte, erzählt sie,
brachte die Familie ihn in ein Krankenhaus in Damaskus. Wann er wieder nach
Hause kommt, kann keiner sagen. „Es ging einfach nicht mehr“, erzählt sein
Vater Usama Daud. „Der Kopf meines Sohnes ist bei dem alten Regime, im
Gefängnis [2][und in der Folter] stecken geblieben. Möge Gott ihn heilen.“
Sein Sohn habe niemanden mehr erkannt, nur unzusammenhängende Dinge
geredet. Er glaubte, er sei immer noch im Gefängnis, erklärt der Vater.
## Seine Mitgefangenen habe er zur Exekution bringen müssen
Sednaya war kein normales Gefängnis. Nahed Daud hat aus den
unzusammenhängenden Erzählungen rekonstruiert, was ihrem Bruder dort wohl
zugestoßen ist – und warum er so traumatisiert ist. Er habe vor allem tiefe
Schuldgefühle und wolle jeden vor den Gefängniswärtern retten, schildert
sie. Er habe seine Mitgefangenen zu den Exekutionen bringen und
anschließend ihren Puls checken müssen. Wenn sie tot waren, habe er sie zu
einer großen Presse, in der sie zusammengequetscht wurden, bringen müssen.
Die Knochen habe er dann in Plastiktüten einsammeln und in einen
gesonderten Raum bringen müssen. Alternativ habe er die Toten zu einer
Grube bringen müssen, in der die Leichen mit Säure übergossen wurden,
erklärt sie.
Die Geheimdienste des alten Regimes hatten es auf die Familie Daud wohl
ganz besonders abgesehen: Sechzehn Familienmitglieder landeten während des
Aufstands gegen Assad im Jahr 2011 im Gefängnis. Sie hatten bei einem der
Cousins einen Laptop gefunden, mit Fotos von Verhaftungen und Checkpoints,
die er mit der Opposition geteilt hat. Der Luftwaffengeheimdienst hatte die
Internetverbindung bis in ihr Haus verfolgt.
„Unser Haus war voll mit Menschen. Denn der Teil unserer Familie, die in
der ländlichen Umgebung von Damaskus lebte, war damals vor den Kämpfen
zwischen den Rebellen und den Regimetruppen in unser Haus in die Innenstadt
geflohen“, blickt Nahed Daud zurück. Das Regime habe damals praktisch alle
jungen Männer mitgenommen. Der Besitzer des Laptops wurde im Gefängis
getötet. Die meisten wurden später wieder freigelassen – außer Muhammad und
ein Cousin, den die Familie immer noch sucht. Wahrscheinlich wurde er
ebenfalls in einem der Gefängnisse des Assad-Regimes ermordet.
Nahed Daud holt Muhammads Personalausweis hervor. Das Foto darauf zeigt ihn
als jungen Mann, 23 Jahre alt. Dann zeigt sie Bilder, wie er heute – 13
Jahre später – aussieht. Körperlich ist er älter geworden, auch an Gewicht
hat er verloren.
## „Du bist nicht mehr im Gefängnis“, sagt der Bruder
Muhammad liegt im Al-Muwaseh-Krankenhaus am anderen Ende der Stadt.
Muhammads Bruder Maher Daud ist gerade zu Besuch, er saß selbst drei Jahre
in Assads Kerker. Muhammad liegt in einem Einzelzimmer im Bett. Die Ärzte
haben ihm eine Beruhigungsspritze gegeben. Er ist immer noch in einem
Zustand der totalen Verwirrung.
„Er erkennt weder mich noch seinen Bruder“, sagt seine Mutter, die neben
ihm am Bett steht und sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund hält.
Muhammad glaube immer noch, er sei im Kerker. „Habe keine Angst, wir sind
keine Mitgefangenen oder Wärter. Du bist nicht mehr im Gefängnis“, erklärt
Maher Daud und streicht seinem Bruder liebevoll übers Gesicht.
„Schließt die Türe“, fordert Muhammad vehement. „Immer wenn die Türe
aufgeht, greift er nach uns und sagt: Passt auf, sie werden auf euch
schießen. Und dann tastet er unsere Rücken ab, um sicherzugehen, das wir
nicht erschossen worden sind“, berichtet seine Schwester. „Überall sind
Kameras“, warnt Muhammad in seinem Krankenzimmer.
Er nennt die Kameras „Gott“. „Zu Hause hatte er auf den Heizstrahler
geblickt und gefragt, ob Gott mit ihm zufrieden sei“, erzählt seine
Schwester. Die Familie habe ihn dann gefragt, wer Gott sei. Er habe ihnen
erklärt: „Gott beobachtet dich mit seinen Computern, und wenn er einen
Knopf drückt, öffnet sich die Zellentür.“
## Traumatisiert in Assads Folterknästen
Muhammad greift an die Arme der Menschen um ihn herum. Er fühlt ihren Puls.
„Gut, du lebst noch“, sagt er. Dann fährt er mit der Hand den Arm entlang
und sagt: „Du bist nicht von der Säure verbrannt, das ist auch gut.“ „Was
sie hier medizinisch für ihn tun können, ist begrenzt. Er braucht dringend
eine echte Behandlung“, sagt sein Bruder Maher.
Muhammad Daud ist kein Einzelfall. Einige der befreiten Gefangenen aus den
Kerkern Assads wurden [3][dort zutiefst traumatisiert]. Bisher sind sie und
ihre Familien mit diesem Problem vollkommen alleingelassen. Und ob die
Täter jemals zur Rechenschaft gezogen werden, ist wieder eine andere Frage.
Assads Regime ist Geschichte. In den Köpfen der Menschen wird es aber wohl
noch lange weiterleben.
17 Dec 2024
## LINKS
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[3] /Posttraumatische-Belastungsstoerung/!5788053
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
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