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# taz.de -- Die Wahrheit: Gesundes Schwenkfutter
> Per Glotze fit und virenfrei: Heilen von ansteckenden Krankheiten durch
> bloßes Weggucken des verschnupften und verhusteten Programms.
Bild: Perfekter Hauptdarsteller im eigenen Virendrama
„Und Action!“, hallt es durch die Rhinomed Studios in Hürth bei Köln. Auf
Jean Kolkmeyers Geheiß lässt seine Regieassistentin die Filmklappe
zuschnappen. Der in einen Bademantel gehüllte Darsteller gibt bereits beim
ersten Take alles. Kaum hat er von seinem Inhaliergerät aufgeblickt und
fanfarenartig in ein Papiertaschentuch geschnäuzt, schleudert er im Zuge
eines Hustenkrampfs schon die nächste Salve an hochinfektiösen Tröpfchen
Richtung Kamera. Dass der aschfahle Jungspund so schnell auf
Betriebstemperatur kommen konnte, ist laut Kolkmeyer keine Überraschung.
„Schließlich leidet der Mann ja tatsächlich an einer faustdicken
Erkältung“, gibt uns der Spielleiter gut gelaunt zu verstehen. Für den
44-Jährigen, der uns zu einer Rundtour durch das rheinische Hollywood
eingeladen hat, ist Authentizität alles. „Seitdem Forscher herausgefunden
haben, dass das bloße Ansehen von Menschen mit Grippesymptomen die
Immunabwehr des Körpers stärker macht, sind unsere Videos der
Verkaufsschlager im Internet“, schwärmt unser Gastgeber.
Gedreht werde meistens in der Grippesaison von Anfang Oktober bis Ende
März. Ein normaler Heu- oder Sommerschnupfen würde den hohen Ansprüchen von
Kolkmeyers Kunden ohnehin nicht gerecht. „Damit sich ein medizinisch
messbarer Erfolg einstellt, muss alles möglichst echt wirken. Bei unseren
Castings überlassen wir deswegen nichts dem Zufall. Kommen Sie!“
## Hochstapler enttarnt
Wenig später dürfen wir dem strengen Kolkmeyer bei der Auswahl seiner Stars
über die Schulter sehen. Dass die fünfzehn Bewerberinnen und Bewerber zum
Nachweis ihrer Eignung erst mal nur gegen eine zentimeterdicke
Plexiglasscheibe röcheln müssen, ist für uns eine Beruhigung. Derweil
entlarvt Kolkmeyer unter den Akteuren einen Hochstapler mit leichtem
Raucherhusten. Der gänzlich unansteckende Dauerquarzer wird nach Hause
geschickt. Für die übrigen Kandidaten gibt es in der akuten Phase ihrer
Erkrankung viel zu tun.
Nach einem Abstecher ins riesige Nasencreme-Lager begeben wir uns mit
Kolkmeyer mitten in die aufwendigen Kulissen. „Hier verbinden wir die
heilsame Wirkung unserer Werke mit echter Prime-Time-Unterhaltung. Ob
Krimi, Komödie oder Drama – für den gesundheitsbewussten Filmfan bieten wir
großes Kino mit herrlich verrotzten Schauspielern. Da drüben wird übrigens
gerade an unserer James-Bond-Adaption mit dem Titel ‚Man niest nur einmal‘
gefeilt.“
Vor dem Greenscreen können wir einen Anzugträger erkennen, der sich mit
tiefrotem Riechkolben am bunten Drahtgeflecht eines Nuklearzünders zu
schaffen macht. Wie der Filmdirektor uns erzählt, sei es eine echte
Herausforderung, die Schauspieler beim Dreh konstant verschnupft zu halten.
„Bei der Neuansteckung mit frischen Keimen setzen wir auf Vernunft und
Eigenverantwortung. Deshalb haben unsere Mimen sich auch vertraglich dazu
verpflichtet, den überwiegenden Teil ihrer freien Tage in rappelvollen
Arztpraxen zu verbringen. Gesundheit!“
Es ist früher Abend, und Kolkmeyer möchte uns das Studio seines
Talk-Show-Formats „Krank, aber fair“ zeigen. Wer aus dem Berliner
Politbetrieb eingeladen ist, findet der Filmschaffende nicht so wichtig.
„Hauptsache, die Nebenhöhlen sind verstopft und unsere Gäste hat es so
richtig erwischt. Weil er ungefragt mit Präventionstipps um sich werfen
darf, übernimmt Karl Lauterbach die Moderation übrigens kostenlos in seiner
Freizeit.“
## Finale Abhärtung
Wir staunen nicht schlecht. Der Noch-Gesundheitsminister ist bereits zwei
Stunden vor Aufnahmebeginn am Set und hat vorsorglich schon mal den
Luftbefeuchter angeworfen. Sein Angebot, uns bei der Gelegenheit mal eben
etwas Blut abzunehmen, lehnen wir aber dankend ab. Lieber folgen wir
Kolkmeyer in die benachbarte Multifunktionshalle. „Die ist für ein mutiges
Live-Publikum reserviert, das die erste Phase seiner Grundimmunisierung
bereits abgeschlossen hat. In ein paar Stunden findet hier zur finalen
Abhärtung ein Fieberwahn-Improvisationsfestival statt. Sie sind natürlich
herzlich eingeladen!“
Nachdem wir Rhinomed-Chef Kolkmeyer stundenlang durch seine
Bazillen-Bruthöhle gefolgt sind, fühlen wir uns mit einem Mal selbst krank
und abgeschlagen. Für den Profi ist unser beginnendes Halskratzen ein
Geschenk des Himmels. „Aus der ‚Love Island‘-Besetzung haben sich gerade
zwei Darsteller gesund gemeldet“, hält uns der begeisterte Kolkmeyer je ein
Feigenblatt vor die Nase. „Wenn Sie sich jetzt umziehen, sind Sie in fünf
Minuten dabei!“
Wir nehmen die Adamskostüme zwar entgegen, schleichen uns aber statt in die
eiskalte Umkleide lieber zurück zu Karl Lauterbach. Hoffentlich ist es für
eine schamanische Intensivbehandlung beim Wunderdoktor der untergegangenen
Ampel noch nicht zu spät. Hatschi!
26 Feb 2025
## AUTOREN
Patric Hemgesberg
## TAGS
Grippe
Krankheit
Fernsehen
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Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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