| # taz.de -- Die Wahrheit: Hochzeit auf Ostfriesisch | |
| > Die Schiet-Hochtied-Event GmbH führt verdrussfreudige Vermählungswillige | |
| > in den siebten Himmel der Eheschließungshölle | |
| Bild: Sogar das Brautpaar landet an seinem Ehrentag in der Gosse | |
| Es blitzt und donnert. Nachdem wir der Gewitterzelle den ganzen Morgen | |
| hinterhergefahren sind, scheint sie sich über einem Acker bei Aurich zu | |
| entladen. Weddingplanner Kai-Uwe Petersen tritt am Steuer seines | |
| Reisebusses auf die Bremse und scheucht den Pfarrer, das enthusiastische | |
| Brautpaar und deren empört protestierende Sippe raus in den Hagelsturm. | |
| Während alle bei der Eheschließung im Matsch ein Woodstock-Revival erleben, | |
| macht Petersen es sich im Fahrzeuginnenraum mit Pfeife und Grog gemütlich. | |
| Dreißig Minuten später reißt der Himmel auf. Fiete und Antje Claßen, | |
| geborene Ahrends, sind nun frisch gebackene Eheleute und haben nach | |
| Petersens Diensten bald 10.000 Euro weniger auf dem Konto. Damit die | |
| Gästeschar nach der Schlammschlacht nicht Petersens pieksauberen Bus | |
| verdreckt, hat der Inhaber der Schiet-Hochtied-Event GmbH vorgesorgt. Zum | |
| Abtransport wurden mehrere Ochsengespanne bestellt. Da sich die trägen | |
| Paarhufer im 30 Kilometer entfernten Emden auf den Weg machen, bittet der | |
| gebürtige Dornumer die klitschnasse Hochzeitsgesellschaft um ein wenig | |
| Geduld. | |
| Als von Westen erneut eine massive Sturmfront über Familie Claßen | |
| hereinbricht, sind wir in Petersens Hochzeitsexpress längst südwärts | |
| unterwegs. Dass auch die nächste Sause ein absolutes Desaster wird, kann | |
| Petersen gewährleisten. Der sympathische Ostfriese, den wir einen Tag lang | |
| bei seiner Arbeit begleiten dürfen, bietet Vermählungswilligen Pakete mit | |
| astreiner Katastrophengarantie an. „Schön kann jeder“, lacht Petersen, ein | |
| überzeugter Gegner spießiger wie eigentlich auch aller anderen Hochzeiten. | |
| „Ich verspreche ein Erlebnis, das sich in Chaos und kollektiver Hysterie in | |
| den Lebensfilm aller Beteiligten einbrennt. Gläschen Küstennebel gefällig?“ | |
| ## Kollabierende Monstertorte | |
| Es ist Mittag. Nachdem wir mit Petersen mehrere Autobahnraststätten in | |
| Niedersachsen angefahren sind, um übel riechendes Essen aus der Vorwoche | |
| zum Schnäppchenpreis einzuladen, geht es damit schnurstracks nach | |
| Papenburg. | |
| Dort warten die frisch getrauten Jette und Henning Deters mit einer | |
| Hundertschaft Gäste sehnsüchtig auf ihr Buffet. Das abgetakelte und viel zu | |
| kleine Fußballvereinsheim des FC Germania 95 hat Petersen erst am Vortag | |
| gebucht. Weil der Geigenanfängerkurs der Bambini-Musikschule Bad | |
| Zwischenahn schon vor Stunden angefangen hat, hingebungsvoll zu kratzen, | |
| ist die Stimmung bereits erfreulich gereizt. | |
| „Zeit für die Torte!“, klatscht der blendend gelaunte Petersen in die | |
| Hände. Wir stutzen. Das prompt auf einem Servierwagen hereingerollte | |
| Monstrum sieht aus wie eine Mischung aus Cheopspyramide und dem Hochbunker | |
| auf Sankt Pauli. Zum Glück verliert der potthässliche Kuchen nach dem | |
| Anschneiden sofort seine Konsistenz und kollabiert glibbernd auf den | |
| Fußboden. Da sich in der verfressenen Menge auch gewaltbereite Verwandte | |
| aus Schleswig-Holstein befinden, die Petersen gegen den ausdrücklichen | |
| Willen von Familie Deters eingeladen hat, entsteht beim Kampf um die | |
| Puddingmasse sofort ein Handgemenge. | |
| ## Angriff auf die Partystimmung | |
| Bevor die Situation außer Kontrolle gerät, macht der Chef-Organisator ein | |
| paar halbherzige Schnappschüsse und lässt sich eine unverschämt hohe Summe | |
| quittieren. Als die ersten Stühle aus den Fenstern fliegen, sitzen wir | |
| schon im Bus. Aus dem Augenwinkel können wir erkennen, wie die Stretchlimo | |
| des Ehepaars nach dem Volltreffer eines Molotowcocktails in Flammen | |
| aufgeht. Dass die Deters mit seiner Hilfe gerade in den Genuss einer nahezu | |
| perfekt katastrophalen Hochzeitsfeier kommen, freut Petersen derweil | |
| riesig. | |
| Eine Autobahnstunde Richtung Norden sieht es in Jever nicht ganz so rosig | |
| aus. „In der Heiliggeistkirche hat parallel zur Hochzeit eine Trauerfeier | |
| mit offenem Sarg stattgefunden“, konstatiert Petersen. „Dass im Pfarrheim | |
| trotz des morbiden Angriffs auf die Partystimmung jetzt fröhlich gefeiert | |
| wird, passt mir allerdings gar nicht.“ Der Hochzeitsmanager erwägt, die | |
| Braut von Berufsverbrechern professionell entführen zu lassen. Als er | |
| jedoch mitansehen muss, wie Trauer- und Hochzeitsgäste das Geheul der | |
| Klageweiber mit „Zugabe“-Rufen quittieren, greift er zu härteren Mitteln. | |
| Er beschließt, Til Schweiger und Wolfgang Kubicki als prominente | |
| Partycrasher einfliegen zu lassen. | |
| Auch wenn er dafür am Ende draufzahlt: Geht es darum, seinen Klienten eine | |
| nach allen Regeln der Kunst vermasselte Hochzeit zu ermöglichen, kennt der | |
| ostfriesische Matchmaker keine Gnade. „Alles für das Paar, alles für die | |
| Liebe“, entdeckt Petersen den Romantiker in sich. Wat mutt, dat mutt! | |
| 12 Mar 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Patric Hemgesberg | |
| ## TAGS | |
| Ostfriesland | |
| Hochzeit | |
| Norddeutschland | |
| wochentaz | |
| Humor | |
| Bayern | |
| Grippe | |
| Finanzen | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Tee-Zeremonie in Ostfriesland: Wenn Kluntjes ihre Süße verbreiten | |
| Für die „Teetied“ kehrt unsere Autorin gern in ihre Heimat zurück. Was es | |
| damit auf sich hat, erklärt sie hier mundgerecht für Nichtfriesen. | |
| Die Wahrheit: April April, Scheiß-April! | |
| Unterwegs mit dem offiziell fürs Pranken zuständigen Berliner | |
| Frühjahrs-Kasper K. A. Schwindmeyer von der „Deutschen | |
| Aprilscherz-Gesellschaft e. V.“. | |
| Die Wahrheit: Der mit dem Pferd funkt | |
| Im bayerischen Allgäu führt ein windiger Tiertherapeut telepathische | |
| Gespräche mit Nutzvieh und Journalisten. | |
| Die Wahrheit: Gesundes Schwenkfutter | |
| Per Glotze fit und virenfrei: Heilen von ansteckenden Krankheiten durch | |
| bloßes Weggucken des verschnupften und verhusteten Programms. | |
| Die Wahrheit: Biathlon im Dom | |
| Aus Geldnot erprobt die katholische Kirche in Köln innovative Wege, an mehr | |
| Mammon zu kommen, und entdeckt den Wintersport rund um den Altar. | |
| Die Wahrheit: Verwarnung für Krawallwürste | |
| Friedlich und höflich soll es zugehen im Vorfeld der Bundestagswahlen. | |
| Unterwegs mit dem Wahlkampf-Schiri, der als Tugendrichter alles im Griff | |
| hat. |