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# taz.de -- Politiker:innen in Podcasts: Plaudern in Wohnzimmeratmosphäre
> Im aktuellen Wahlkampf treten Politiker:innen so oft wie nie zuvor
> in Podcasts auf. Warum das Format bei den Parteien jetzt so beliebt ist.
Bild: In Politiker-Podcasts wird manchmal kumpelhaft geschnackt
Gregor Gysi sitzt Anfang Februar in Socken und im Schneidersitz auf einer
Couch bei dem Youtuber und Podcaster Tim Gabel. Gabel stellt Gysi zu
Beginn als „Politiklegende“ vor, als „jemand, den ich persönlich auch
extrem feier, weil er sehr ehrlich über Politik spricht“.
Bekannt geworden ist Gabel 2014 mit Fitness-Tutorials, mittlerweile macht
er auch Podcasts. Neben Influencern:innen, CEOs und Motivationscoaches sind
im Wahlkampf auch Politiker:innen zu Gast. Alle Parteien wurden
eingeladen, Robert Habeck, Sahra Wagenknecht und Christian Lindner waren
bereits da.
Gabel sagt, er wolle „neutral und nicht super kritisch“ mit
Politiker:innen ins Gespräch kommen, eine Bühne bieten, wo sie ihre
Gedanken und Überzeugungen zum Ausdruck bringen können. Gysi freut sich:
„Ich hab mich schon auf sehr kritische Fragen innerlich eingestellt.“ Das
Gespräch wurde allein auf Youtube über 300.000-mal geklickt.
Im Wahlkampf 2021 gab es schon einige Auftritte, mittlerweile sind sie
allgegenwärtig: Politiker:innen in Podcasts. Dort sprechen sie in
entspannter Gesprächsatmosphäre stundenlang über Politik, aber auch über
vieles andere. Es ist nicht verwunderlich, dass Politiker:innen dort
gern zu Gast sind. Podcasts werden seit Jahren beliebter – ein Drittel der
deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren hat sie 2024 gelegentlich gehört. 9
Prozent hören Podcasts [1][laut einer Studie von ARD und ZDF] täglich. Es
sei bei den unter 30-Jährigen eine „zunehmende Habitualisierung“ zu
erkennen, die Nutzungsdauer nimmt zu.
## Aussprechen
Elisabeth Schmidbauer forscht an der LMU München zu Podcasts. „Podcasts
ermöglichen Politikerinnen und Politikern den Zugang zu Zielgruppen, die
über andere Medienkanäle schwerer zu erreichen sind“, sagt sie der taz.
Wenn man Wahlkampf als Hochphase der politischen Inszenierung begreift,
dann gelingt das bei einem ausgiebigen Gespräch in Wohnzimmeratmosphäre am
besten – [2][so sitzt Gregor Gysi bei Tim Gabel auf bunten Sofakissen] im
Podcaststudio. Über Stunden können Politiker:innen ihre Gedanken
ausführen und begründen. Und sie können aussprechen.
Das steht im Kontrast zu einem kurzen „Tagesthemen“-Interview, in dem
Interviewter wie Interviewer oftmals gehetzt wirken. Narrative brauchen
Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Auch können Politiker:innen so
nahbarer wirken, ihre Persönlichkeit abseits der öffentlichen Rolle
präsentieren.
Viel Zeit bietet aber auch die Möglichkeit, viel Unsinn zu erzählen. Der
AfD-Politiker Maximilian Krah bekommt in dem Podcast „ungeskriptet by Ben“
im Januar 4 Stunden und 38 Minuten, um sein rechtes Weltbild auszubreiten.
Darin fordert er auch – weitgehend unwidersprochen – einen gänzlich anderen
Blick auf den Umgang mit Deutschlands Vergangenheit. Über 750.000 Aufrufe
hat der „AfD-Realtalk mit Dr. Maximilian Krah“ innerhalb von drei Wochen
bekommen. Zahlen, die sich auch so einige überregionale Zeitungen wünschen
würden.
## Nebenbei hören
Podcasts sind auch ein Nebenbeimedium. Wer Podcasts selbst hört, der weiß,
dass man dabei oft andere Dinge tut. U-Bahn fahren zum Beispiel, oder das
Bad putzen. Bei mehreren Stunden Gespräch wird einem verziehen, wenn man
mal unaufmerksam ist, die Pizza aus dem Ofen nimmt oder durch Instagram
scrollt. „Diese einfache Integrierbarkeit in den Tagesablauf macht Podcasts
für viele zu einem besonders praktischen und attraktiven Medium“, sagt
Schmidbauer.
Beim regelmäßigen Hören bekommt man zudem das Gefühl, man kenne die Person,
die zu einem spricht. Man baut, in der Fachsprache, eine „parasoziale
Beziehung“ zu dem Podcasthost auf. Es entstehe die Illusion einer direkten,
persönlichen Verbindung, sagt Schmidbauer. Was ursprünglich bekannt war als
einseitige Freundschaft zwischen Fernsehpersönlichkeiten und
Zuschauer:innen, wird bei Podcasts zum „Freund im Ohr“. Denn die werden oft
über Kopfhörer konsumiert – nah an der menschlichen Wahrnehmung. Wenn nun
Politiker:innen bei dem Lieblingspodcaster zu Gast sind, kann das
überzeugen.
Spätestens im US-amerikanischen Wahlkampf wurde sichtbar, [3][wie wirksam
Podcastauftritte sein können]. So war Donald Trump vor seiner erneuten
Wahl zum Präsidenten bei vielen Podcastern und Youtubern zu Gast, die vor
allem bei jüngeren Männern beliebt sind. So etwa bei „Bussin’ With the
Boys“ oder Joe Rogan, einem der erfolgreichsten Podcaster der Welt.
Das Gespräch zwischen Trump und Rogan sahen allein auf Youtube über 55
Millionen Menschen. Eine Analyse des Nachrichtenunternehmens Bloomberg, bei
der über 2000 Videos von neun bekannten Youtubern analysiert wurden, kam
zu dem Schluss, dass dort ein sehr düsteres Bild der USA gezeichnet werde:
Migrant:innen stürmten die Grenzen und ein dritter Weltkrieg stehe
bevor.
## Persönliche Details statt Politik
Am Tag seiner Amtseinführung dankte Trump seinem Sohn Barron, da dieser ihm
die Stimmen der Jugend verschafft habe. Denn der Tipp mit den
Gastauftritten in Podcasts kam von seinem Sohn. Trumps Geheimrezept war
dabei, authentisch und nahbar zu wirken.
Genau dieses Rezept ist im deutschen Wahlkampf wieder zu beobachten. Im
Podcast „Alles gesagt?“ von der Zeit erfährt man etwa in einem
stundenlangen Gespräch einiges über die Biografie von Friedrich Merz, der
offenbar mal ein Problemschüler war. Solche Details aus der Biografie
lassen ihn direkt sympathischer wirken – auch wenn man vielleicht sonst
nichts mit seiner Person anfangen kann.
Die Zuhörer*innen bekommen das Gefühl, die Politiker:innen
kennenzulernen. Hinter diese Fassade zu schauen, das löst eine Faszination
aus. Wie ist denn Olaf Scholz nun wirklich? Viele Wähler*innen
entscheiden auch aus einem Sympathiegefühl heraus, aus Emotionen. Podcasts
sprechen diese Emotionen an.
Schließlich lassen sich die langen Podcasts auch gut zweitverwerten.
Einzelne kurze Clips landen im Anschluss auf Instagram und Tiktok – und
generieren hohen Klickzahlen. Ausschnitte von Gregor Gysi bei Gabel im
Podcast werden kommentiert mit: „Gysi for Bundeskanzler“.
20 Feb 2025
## LINKS
[1] https://www.ard-media.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/pdf/2024/…
[2] https://youtu.be/k_e1Atus0o4?si=qKWiGDXH4QHcv-FV
[3] /Meta-und-Joe-Rogan-verstehen-sich-gut/!6058674
## AUTOREN
David Honold
## TAGS
Podcast
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