# taz.de -- Geschlechtsstereotype im Kaufhaus: Der Graben durch die Babyabteilu… | |
> Mädchen lieben Rosa, Jungs tragen Blau. Die „Pink Globalization“ der | |
> Konsumindustrie ist auch im Jahr 2025 noch ungebrochen. | |
Bild: Pinkfarbener Messestand von Mattel auf der Spielwarenmesse in Nürnberg, … | |
Montagnachmittag in der Kinderabteilung von H&M: Eine Mutter sucht eine | |
Sporthose für ihr Kind. Die [1][Verkäuferin] führt die beiden in die | |
Mädchenabteilung. „Hier haben wir die Leggins; wenn es eher etwas weiter | |
sein soll, gibt es diese pinke Jogginghose.“ Die etwa 10-Jährige presst die | |
Lippen zusammen. „Du wolltest lieber eine andere Farbe, oder?“, fragt die | |
Mutter vorsichtig. | |
Draußen vor der Tür ist Berlin, wo kaum jemand mit der Wimper zuckt, wenn | |
Menschen ihre Identität abseits von binären Geschlechtervorstellungen frei | |
ausdrücken. Aber hier drinnen müssen Kund*innen sich entscheiden: „IST ES | |
EIN JUNGE ODER EIN MÄDCHEN?“, schreit es einen an, sobald man die | |
Kinderabteilung betritt. Mitten durch die Etage verläuft ein Graben, auf | |
der einen Seite die Rosatöne, Blümchen, Herzchen und Rüschen. Auf der | |
anderen ist es blau und grau, Trecker, Dinos und Raketen zieren die | |
Pullover. Zwischentöne gibt es kaum. | |
## Die „rosa Welle“ ist ungebrochen | |
Während immer mehr Eltern sich darüber Gedanken machen, wie sie ihren | |
Kindern ein Aufwachsen frei von Geschlechterstereotypen ermöglichen können, | |
[2][rollt die „rosa Welle“] weiter ungebrochen durch die Kaufhäuser. Auf | |
ihrem Weg erfasst sie alles, was der Markt für Kinder so zu bieten hat. Die | |
Produktwelten von Barbie oder Lilifee breiten sich ungehindert aus und | |
durchdringen bei Mädchen fast alle Lebensbereiche, von der Zahnbürste zur | |
Bettwäsche, von der Kleidung bis zu Kinderbüchern, Filmen oder | |
Gesellschaftsspielen. | |
[3][„Pink Globalization“] nennt die Anthropologin Christine Reiko Yano das | |
Phänomen, das uns seit den 90ern begleitet. Sie meint, dass diese Form der | |
Globalisierung, statt abzuflauen, immer weiter Fahrt aufnimmt. | |
Bei den Kleidungsstücken, die in den Kinderabteilungen über den | |
Verkaufstresen gehen, unterscheiden sich nicht nur die Farben und Muster, | |
sondern auch die Schnitte. Für die Jungen gibt es Latzhosen, Jacken aus | |
festem Stoff, für die Mädchen niedliche feine Kleidchen aus Tüll, | |
Miniröcke und Skinny Jeans. Wenn es nach H&M geht, wollen Mädchen der Welt | |
schon ihre Beine präsentieren, wenn sie noch gar nicht richtig laufen | |
können. | |
Sind Kinder im Minirock eigentlich in der Lage, zu rutschen, rennen oder | |
klettern? Passt er über den Windelpopo? Hat er Taschen, in denen | |
Zweijährige eine Kastanie, einen besonderen Stein oder ein Bonbon | |
aufbewahren können? Designer*innen von Miniröcken für Kleinkinder | |
orientieren sich an Frauenkleidung, die oft körperbetonter ist, tailliert | |
und knapp, also sexualisiert. Ein [4][Krabbelkind im Minirock] lernt so, | |
dass auch sein Körper zum Anschauen da ist. | |
## Jungen zum Krieg erziehen | |
Die Kritik daran ist alles andere als neu. Es gibt sogar einen | |
Negativpreis, den Goldenen Zaunpfahl, der besonders schlimme Beispiele | |
des Gender-Marketings auszeichnet. Unzählige [5][wissenschaftliche] | |
Studien, Meinungsartikel, Instagram-Posts und Blogbeiträge haben schon | |
lange festgestellt, dass geschlechtsspezifische Klamotten und Spielzeuge | |
Kinder in plumpe Rollenbilder pressen. Dass diese Kategorisierung immer | |
wieder die Annahme reproduziert und zementiert, dass es nur zwei | |
Geschlechter gibt, männlich und weiblich. Dass nicht nur die Farben, | |
sondern auch Formen, Sprüche, Tiere und Symbole Jungen auf Abenteuer, | |
Risiko – und Krieg – vorbereiten und Mädchen aufs Häusliche, aufopfernd | |
Kümmernde. | |
Konsumartikel, die extra für Jungen oder Mädchen sind, haben eine lange | |
Tradition: Schon die Griechen setzten in der Antike Spielzeug ein, um | |
Jungen zum Krieg zu erziehen, sagt Spielzeugforscher [6][Volker Mehringer]. | |
Mit dem Aufkommen des Bürgertums kam die farbliche Geschlechtertrennung | |
dazu. [7][Männer trugen Anzüge in gedeckten Farben, Frauen und Kinder als | |
Wohlstandnachweis prächtige bunte Kleidung]. | |
In den 1930er Jahren entdeckte die US-Bekleidungsindustrie Kinder als | |
Konsument*innen, sagt der Soziologe und Kindheitsforscher [8][Daniel | |
Thomas Cook]. In Kaufhäusern entstanden Kinderabteilungen, in denen | |
Konsumgüter für Jungen und Mädchen erstmals räumlich getrennt wurden. In | |
der Wirtschaftskrise nutzte die Kinderbekleidungsindustrie die | |
Differenzierung dann als Marketingstrategie: immer neue Must-haves für | |
jedes Alter, neue Kindergrößen, die sich heute noch in den | |
Kinderabteilungen finden. So wie bei H&M. | |
## Zur Orientierung der 4-Jährigen | |
Der schwedische Modekonzern selbst erklärt, die getrennten Abteilungen für | |
Mädchen und Jungen diene in erster Linie zur Orientierung der Kund*innen. | |
Diese würden es bevorzugen, so einzukaufen. Die Nachfrage bestimmt das | |
Angebot, erklären auch andere Marken. Die Multi-Milliarden-Konzerne zeigen | |
also auf 4-Jährige und ihre Eltern und sagen: Die da wollen das so! | |
Tatsächlich wünschen sich Kinder oft ihren Geschlechtern zugeordnete | |
Kleidung und Spielzeug. Zwischen 3 und 7 interessierten sie sich meist für | |
die Kategorie Geschlecht, seien auf der Suche nach „Schlüsseln für die | |
Unterschiede“, sagt Entwicklungsforscher Tim Rohrmann. Orientieren würden | |
sie sich an dem, was tatsächlich da ist. Wenn sie also auf eine Konsumwelt | |
treffen, die durch Werbung, Medien und Produkte in zwei Kategorien geteilt | |
ist, ordnen sie sich zu. | |
Sind Kund*innen ohne rosa-blaue Signale im Kleidungsgeschäft also | |
orientierungslos? Wohl kaum. Viel wahrscheinlicher ist, dass Unternehmen | |
ein finanzielles Interesse daran haben, dass Geschwister Kleidung und | |
Spielzeug nicht teilen können. So steigt der Umsatz auf dem deutschen | |
Kinderkleidungsmarkt konstant um etwa 1,2 Prozent pro Jahr. Etwa 8,24 | |
Milliarden Euro werden dort 2025 umgesetzt, schätzt Statista. | |
„Fast Fashion“, also Mode zum Wegwerfen, ist auch hier angekommen. Ungefähr | |
16 Teile Kinderkleidung kaufen die Deutschen jährlich pro Kopf, für jedes | |
in Deutschland lebende Kind müssten das beinahe 100 Bekleidungsstücke sein. | |
## Bei den Erwachsenen geht's weiter | |
Nach dem H&M-Besuch begleiten viele Kinder ihre Eltern noch durch die | |
Konsumwelt der Erwachsenen. In Drogerien und Supermärkten setzt sich das | |
gegenderte Marketing nahtlos fort. Es gibt rosa Rasierer, Shampoo für | |
Frauenhaare und Männerkopfhaut, Hautcreme für echte Kerle, Schokolade aus | |
Blechdosen, die an Werkzeugkästen erinnern. | |
Sogar in der Apotheke liegen krampflösende Tabletten, die gegen | |
Menstruationsschmerzen noch mal in einer pinken Verpackung angeboten | |
werden – mit dem gleichen Wirkstoff, der auch gegen männliche Magenkrämpfe | |
hilft. Studien zeigen, dass Produkte, die für Frauen vermarktet werden, | |
[9][oft teurer verkauft werden]. | |
Doch nicht nur Mädchen verlieren durch die Trennung – vor allem für Jungen | |
ist der Konformitätsdruck stark. Mädchen dürfen auch Blau tragen, können | |
mit Werkzeug spielen und bekommen Lob, wenn sie beide Rollen erfüllen, also | |
im Prinzessinnenkleid auf den Baum klettern. Jungen, die Röcke tragen, | |
Nagellack mögen oder mit Puppen spielen wollen, begegnet dagegen oft Spott | |
und Ausgrenzung, von Erwachsenen und von anderen Kindern, die sich in die | |
Rollenbilder eingefunden haben. | |
7 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Petition-gegen-Bekleidungskonzern/!5747723 | |
[2] /Ausstellung-zu-Fast-Fashion/!5630667 | |
[3] https://www.dukeupress.edu/pink-globalization | |
[4] /Gender-Erwartungen-an-Kinder/!5890388 | |
[5] https://www.jstor.org/stable/jj.20626775.17?seq=3 | |
[6] https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-32251-9_8 | |
[7] https://www.sciencehistory.org/stories/distillations-pod/pink-an-interview-… | |
[8] https://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=D7tmkXKcSBoC&oi=fnd&… | |
[9] /Verbraucherzentrale-zum-Gender-Pricing/!5577373 | |
## AUTOREN | |
Luisa Faust | |
## TAGS | |
Das Leben einer Frau | |
Konsum | |
Geschlechtersterotype | |
Kapitalismus | |
Fast Fashion | |
Social-Auswahl | |
Spielzeug | |
Fast Fashion | |
Fast Fashion | |
Fashion | |
Das Leben einer Frau | |
Das Leben einer Frau | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Lego für Erwachsene: Sehnsucht, Steinchen für Steinchen | |
Die Zeiten sind hart und ungemütlich. Das weiß auch die Spielwarenbranche | |
und setzt vermehrt auf Angebote für große Kinder namens „kidults“. | |
Europas Textilkonsum: Abzocke auf ganzer Linie | |
Der Konsum von Fast Fashion ist besonders bei Topverdiener*innen hoch. | |
Doch Qualität, Arbeiter*innen und Umwelt leiden unter den Billigmarken. | |
Hoher Textilkonsum: Europäer kaufen so viel Kleidung wie noch nie | |
Die Europäische Umweltagentur warnt vor Fast Fashion. Die Billig-App Shein | |
wird am stärksten von Top-Verdienern genutzt. | |
Animal Prints in der Mode: Sanftmuuuuuuht | |
Leopardenlooks sind seit Jahren im Trend. Nun hat vor einigen Wochen ein | |
Modemagazin verkündet: Jetzt kommt die Kuh. Sehr zur Freude unserer | |
Autorin. | |
Alleinerziehende in Armut: Kohlrabi gibt es erst später | |
Bürgergeld, alleinerziehend, zwei Kinder: Unsere Autorin spart, wo sie | |
kann. Doch manchmal müssen Schuhe auch neu sein. Wenigstens für die Kinder. | |
Geschlecht und Identität: „Es ist ein Mädchen“ | |
Die Zuschreibung des Geschlechts prägt wie kaum etwas anderes ein Leben. | |
Für ein Mädchen, geboren 2025, schafft dies mehr Durcheinander als Ordnung. | |
Transgender Kinder und Jugendliche: Eine Welt voller Hürden | |
Eine Transition in jungen Jahren ist schwierig. Denn Medizin, Bürokratie | |
und Gesellschaft erschweren den Prozess – vorgeblich zum Schutz der Kinder. |