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# taz.de -- Lego für Erwachsene: Sehnsucht, Steinchen für Steinchen
> Die Zeiten sind hart und ungemütlich. Das weiß auch die Spielwarenbranche
> und setzt vermehrt auf Angebote für große Kinder namens „kidults“.
Bild: Fast wie echt: eine Eule aus Lego
Erwachsensein hat seine Vorteile. Niemand sagt uns, wann wir ins Bett gehen
sollen. Und wir können selbst entscheiden, wie viel Geld wir für
[1][Spielzeug] ausgeben wollen. Bei mir führt das dazu, dass ich oft zu
lange aufbleibe und Zeit mit Lego verbringe. Oder besser gesagt: mit
Klemmbausteinen. Denn die dänische Firma ist längst nicht mehr der einzige
Hersteller von Konstruktionsspielzeug mit Noppen und Röhren. Als Kind hatte
ich einen große Wühlkiste mit Legos im Zimmer. Meine Steinesammlung von
heute ist geordnet und die Sets, die mir ins Haus kommen, sorgfältig
kuratiert. Und da spielen heute nicht mehr mein Hauptjob ist, bleibt mir
nur der Feierabend, um buntes Plastik zusammenzustecken.
Wie ich gehen immer mehr Erwachsene auf dem Heimweg in der
Spielwarenabteilung vorbei, um ihr Erwachsenengeld für etwas auszugeben,
das sie ihre Verpflichtungen vergessen lässt. Der Spielwarenbranche ist das
schon länger bewusst. Ihr Wort für uns ist „kidults“, ein Portmanteau aus
„kids“ und „adults“. Es meint Erwachsene, die gerne Dinge tun, die man
sonst eher Kindern gönnt: Sammeln, Spielen, Basteln.
Als ein Auslöser für diesen Trend gelten die unsicheren Zeiten. Permanente
Krisenmeldungen lassen einen das digitale Endgerät beiseite legen und die
Überforderung im Alltag fordert einen Ausgleich. Draußen ist es
ungemütlich. Die Außenwelt liefert Kopfzerbrechen. Abends schafft man sich
dann eine eigene kleine Welt. Und die ist noch in Ordnung?
Das Angebot an Spielwaren für Erwachsene ist vielfältig, und hier wird
Gegenwartsflucht gleich doppelt bedient. Nicht nur durch das Spielen an
sich. Sondern auch durch nostalgische Motive mit dem „Weißt du noch,
damals?“-Effekt. So war das schon bei den Kidults meiner Jugend: Ich
erinnere mich an die viktorianische Puppenstube einer Nachbarin,
Porzellanpuppen in Trachten oder Modelleisenbahnen, bei denen Züge um
kleine Schwarzwaldhäuschen kreisten. Es gab Fachwerk, verschneite
Berggipfel und Kleinstadtidylle: ein Heimatmuseum im Kleinen. Ein
konservatives Deutschlandbild. „Tuut-tut“ macht die Dampflok.
## Schon immer suspekt
Dieses „Früher war alles besser“-Mindset war mir schon immer suspekt, und
da wir als Jugendliche gemeinsam die Augen darüber verdreht haben, dachte
ich lange, das sei Konsens in meiner Generation, eine
Generationen-Verabredung: Millennials tragen die Zukunftsgewandtheit
schließlich im Namen.
Doch ich habe mich geirrt. Das zeigen die ständigen Facebook-Posts „echter
90s-Kids“, die noch wussten, was man mit einer Kassette und einem Bleistift
anfangen kann. Auch bei meinen Altersgenoss*innen hat das Heimweh nach
der Vergangenheit eingesetzt. Nur eben anders. Jede Generation verdient
ihre eigene Nostalgie. Das wissen auch die Hersteller von Klemmbausteinen.
Und deshalb sind die 90er gerade hoch im Kurs.
Auf „[2][Lego Ideas“], der Plattform, auf der Lego-Fans eigene Entwürfe f�…
neue Sets einreichen und darüber abstimmen können, welche davon der Konzern
umsetzt, gibt man uns die Jugend zurück. Das Motto: „Build your Nostalgia –
90s throwback“.
Aktuell läuft die Abstimmung über Sets zu Kultserien und Filmen der 90er.
Im Rennen sind selbstverständlich auch „Akte X“ und „Buffy, the Vampire
Slayer“. Wenn man bedenkt, dass Lego „Friends“ und „Die Simpsons“ ber…
im Sortiment hatte, ist damit der Millennial-Popkultur-Kanon immer
vollständiger. Auch andere Firmen setzen auf 90er-Nostalgie. Hersteller
Pantasy etwa bietet einen „retro PC“ inklusive Minesweeper.
## Wo mich die Nostalgie erwischt
Das alles hat bei mir noch keine Gefühle ausgelöst. Doch vor Kurzem hat
auch mich die Zuwendung zur Vergangenheit befallen. Beim abendlichen Bauen
eines Plattenladens. [3][Funwhole], die beleuchtete Klemmbaustein-Sets auf
den Markt bringen, haben die Serie „Street-Fusion“ im Programm. 90er-Retro
mit Motiven urbaner Street Art und Hip-Hop-Kultur. Der „Record Store“ baut
sich fantastisch. Und selbstverständlich habe ich Spaß daran,
Plattenspieler und Boomboxen zusammenzustecken und ein kleines Tonstudio
einzurichten.
Doch die Details, bei denen mich die Nostalgie erwischt hat, waren die
Graffitis und – das hat mich überrascht – die Unebenheiten, die ich nach
Anleitung in mein Plastikgebäude eingearbeitet habe, sowie die Risse im
Asphalt. So sieht sie also aus: meine „gute alte Zeit“. Diese heile Welt
hat Schmierereien an den Wänden und Kratzer im Vinyl. Das ergibt Sinn.
Meine Sehnsuchtsorte der Vergangenheit sind Großstädte mit Brachen und
Leerstand und dem Wildwuchs, der daraus erwächst. Es sind besetzte Häuser,
Punkrock-Schuppen und Techno-Partys unter Autobahnbrücken.
Nun würde ich gerne sagen, dass Nostalgie mit Subkultur-Bezug objektiv
cooler ist als die Sehnsucht nach Fachwerk mit Geranien davor. Mich
überlegen fühlen, weil es keine konservativeren Zeiten sind, denen ich
nachtrauere, sondern wildere. Aber das ist ein Trugschluss. Denn das
Nachbilden dieser Möglichkeitsräume aus Plastik gibt mir ein Gefühl, das
ich gerade vermisse: Sicherheit. Die Vergangenheit ist ein alter
Vertrauter. In einer Gegenwart, die mich überfordert, sehne wohl auch ich
mich nach einer Zeit, in der die Welt noch einfacher und verständlicher
wirkt. Ich weiß, sie war es nicht. Aber aus der Jetzt-Perspektive fühlt
sich „damals“ gut an. Auch ich neige nun also dazu, die Vergangenheit zu
verklären. Diese Spießigkeit muss ich mir eingestehen. Mein Trigger war nur
ein anderer: Subkultur. Wie schön und aufregend waren doch die Städte, als
nicht alle Fassaden frisch verputzt waren.
Die ganze Serie hat es mir angetan. Das neueste Set ist ein Club in einer
alten Fabrikhalle. Das Millennial-Marketing funktioniert. Ich kann mich
kaum zurückhalten. Dabei ist das Bauen dieser Themenwelt gar nicht mehr so
entspannend, wie es meine Klemmbaustein-Abende eigentlich sein sollten. Der
Bauspaß bleibt. Doch hinzu kommen Gedanken über das Clubsterben, geräumte
Punker-Kneipen und darüber, dass ausgerechnet in Kreuzberg ein Park umzäunt
werden soll. Und so komme ich aus meiner neu entdeckten „Comfort-Zone
Vergangenheit“ ganz schnell wieder zurück ins Jetzt.
10 May 2025
## LINKS
[1] /Familienbetrieb-in-Sachsen/!5900895
[2] https://ideas.lego.com/
[3] https://www.funwhole.com/
## AUTOREN
Simone Dede Ayivi
## TAGS
Spielzeug
Erwachsene
Nostalgie
Social-Auswahl
Generationen
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Das Leben einer Frau
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