# taz.de -- Sachsenwald bei Hamburg: Im Reich des Bismarck-Clans | |
> Der in Privatbesitz befindliche Sachsenwald wurde als adelige Steueroase | |
> geoutet. Doch das zu ändern, ist gar nicht so leicht. | |
Bild: Bei der Adresse dieser Jagdhütte im Sachsenwald waren viele Firmen gemel… | |
Es ist ein Relikt aus den Zeiten der Adelsherrschaft: Der Sachsenwald in | |
Schleswig-Holstein östlich von Hamburg gelegen, gehört der Familie | |
Bismarck. Deren Oberhaupt darf sogar Steuern einziehen – und nutzt diese | |
Chance, um Einnahmen zu erzielen, [1][wie Recherchen des Portals | |
Frag-den-Staat und von Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“ ergaben]: In | |
einem reetgedeckten Häuschen im tiefen Tann arbeiteten angeblich fast zwei | |
Dutzend Firmen. | |
Nun stellte sich heraus, dass das Land Schleswig-Holstein dem als | |
„gemeindefreies Gebiet“ geführten Privatgelände Mittel aus dem kommunalen | |
Finanzausgleich zukommen ließ. Die Peinlichkeit ist groß, die Opposition | |
fordert Aufklärung und die schwarz-grüne Landesregierung setzt alles daran, | |
den Sonderstatus zu beenden und den Wald einer Gemeinde zuzuschlagen. Doch | |
das ist gar nicht so einfach. Warum eigentlich? | |
## Geschenk des Kaisers | |
Der Sachsenwald ist mit 70 Quadratkilometern Schleswig-Holsteins größter | |
Forst, überwiegend Laubwald, der sich auf einer hügeligen | |
Endmoränenlandschaft erstreckt, durchkreuzt von zwei Flüsschen, die | |
Schwarze Au und die Bille. Das Bille-Tal steht unter Naturschutz. Früher | |
ging Kaiser Wilhelm I. in diesem Revier jagen, 1871 verschenkte er den Wald | |
an den [2][Reichskanzler Otto von Bismarck]. Bis heute gehören weite Teile | |
dessen Nachkommen. | |
Das allein ist nicht ungewöhnlich: Laut des Statistischen Bundesamts sind | |
4,4 Millionen Hektar und damit 43 Prozent des deutschen Waldes im Besitz | |
von 760.000 privaten Eigentümer:innen. Aber der Sachsenwald ist eben nicht | |
nur ein Privatwald, sondern eine Fläche, die keiner Gemeinde angehört und | |
selbst wie eine Art Gemeinde agiert – etwa, indem sie Firmen ansiedeln und | |
Steuern einnehmen kann. Der Steuersatz, das ergaben die Recherchen von | |
Frag-den-Staat und „ZDF Magazin Royale“, ist seit 1958 nicht mehr geändert | |
worden und liegt deutlich niedriger als etwa im nahen Hamburg. | |
Der Status als gemeindefreies Gebiet sei von den Bismarcks zur „Einrichtung | |
einer Steueroase missbraucht“ worden, sagt David Stoop, | |
haushaltspolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Hamburgischen | |
Bürgerschaft. Er hat im vergangenen Oktober, nachdem die Recherchen um die | |
Bismarck’sche Waldhütte bekannt wurden, Anzeige erstattet, es geht um den | |
Verdacht der Steuerhinterziehung. | |
„Es ist legal, einen Standort mit niedriger Gewerbesteuer als Geschäftssitz | |
zu wählen“, sagt Stoop. Doch wenn dort gar keine Geschäftstätigkeit | |
stattfindet, „wäre ein solches Vorgehen strafbar“. Besonders aufmerksam | |
schaut der Linken-Politiker auf die Luxcara Energy GmbH: Sie bildet mit den | |
Hamburger Energiewerken ein Konsortium. | |
## Der Sachsenwald im Landtag | |
Auch der Schleswig-Holsteinische Landtag befasste sich mit dem Sachsenwald. | |
Auf Anfragen der Opposition dröselte das Finanzministerium die | |
Steuereinnahmen der vergangenen Jahre auf. Demnach kassierte die Familie | |
von Bismarck von 2017 bis 2019 zusammen rund 4.000 Euro Gewerbesteuer. Dann | |
wuchsen die Summen: 2020 allein betrug die Brutto-Einnahme rund 670.000 | |
Euro, in den Folgejahre jeweils 400.000 Euro und 2023 sogar über eine | |
Million. Betriebsprüfungen habe es nicht gegeben – da sei das | |
Steuergeheimnis vor, heißt es in der Antwort der Landesregierung. | |
Das Geld sei für Erhalt und Pflege des Waldes verwendet worden, teilte | |
Gregor von Bismarck dem Rechercheteam von Frag-den-Staat mit. Doch der | |
Linken-Abgeordnete Stoop findet weitere Prüfungen notwendig: „Die Besitzer | |
legen keine Rechenschaft über die Verwendung der Gelder ab. So weiß | |
niemand, ob sie damit nicht vielleicht auch auf Flächen aufforsten, die sie | |
später kommerziell nutzen.“ | |
In Schleswig-Holstein fordern Politiker:innen aus Regierung und | |
Opposition ein Ende des Sonderstatus. Nach einer Sitzung des | |
Finanzausschusses im vergangenen Herbst sagte Finanzministerin Silke | |
Schneider (Grüne), die heutige Lage stelle niemand zufrieden. Es würden | |
Möglichkeiten gesucht, um eine steuerliche Gleichbehandlung herzustellen. | |
## Geld vom Staat | |
Neuen Auftrieb bekommt die Frage durch die Panne, die im Januar ans Licht | |
kam: Mehrfach zahlte das CDU-geführte Innenministerium Mittel aus dem | |
kommunalen Finanzausgleich an den Sachsenwald – Geld, das nur Gemeinden | |
zusteht. Es geht um rund 130.000 Euro. Annabell Krämer (FDP) fordert, die | |
Summe müsse zurückgezahlt werden. Das sei nicht so einfach, bedauert ein | |
Sprecher des Ministeriums: „Da der Fehler im Innenministerium gemacht | |
wurde, hat die Festsetzung weiterhin Bestandskraft.“ | |
Dumm gelaufen also – und ein Ansporn für die schwarz-grüne Landesregierung, | |
den gemeindefreien Zustand zu beenden. Im Kreis Herzogtum Lauenburg, in dem | |
der Sachsenwald liegt, fand bereits ein „kommunaler Gipfel“ statt, bei dem | |
Landrat Christoph Mager (CDU) mit den Nachbargemeinden des Sachsenwaldes | |
beriet, wem die 70 Quadratkilometer Wald zugeschlagen werden könnten. | |
Interesse hatte niemand. Niemand reiße sich um Kosten und Verantwortung, | |
sagte Norbert Lütjens (parteilos), Bürgermeister von Schwarzenbek, dem NDR. | |
Josef Schmidt von der Wählergruppe Aktive Bürger Kuddewörde und | |
Bürgermeister des gleichnamigen Örtchens sah ebenfalls Kosten auf die | |
Gemeinde zukommen, etwa für „geländegängige Fahrzeuge“. | |
Klingt einleuchtend, stimmt nur nicht. Denn auch wenn der Wald dem Gebiet | |
einer oder mehrerer Gemeinden zugeschlagen würde, bliebe er im Privatbesitz | |
der Familie Bismarck, mit allen Rechten und Pflichten, darunter auch die | |
Pflicht, Wege zu pflegen und instand zu halten. | |
Das bestätigt Tobias Frohnert, Sprecher des Landkreises: „Aktuell wären | |
keine Kosten für die Gemeinden zu erwarten, da alle Wege, abgesehen von | |
Kreis-, Landes- oder Bundesstraßen, im Privateigentum stehen.“ Höchstens | |
wenn sich der Status ändere, könnte die Gemeinde belastet werden – dazu | |
müsste die Familie Bismarck ihren Wald aber abtreten. | |
## Einladung zur Jagd | |
Wenn es also nicht die Sorge um Geld ist, was könnte es dann sein? Ein | |
Kreispolitiker vermutet, dass die Bürgermeister:innen der kleinen | |
Gemeinden keinen Ärger mit dem Adelshaus wollen: „Es gibt vielfältige | |
Verflechtungen, vor allem über die Jägerschaft und die Feuerwehr.“ Man | |
wolle [3][Privilegien wie Einladungen zur Jagd] nicht aufs Spiel setzen. | |
Zurzeit fänden keine „aktiven Verhandlungen“ statt, sagt Kreissprecher | |
Frohnert. Allerdings beraten die kommunalen Gremien über mögliche Lösungen. | |
Wenn nicht eine Gemeinde den Sachsenwald aufnehmen wolle, könnte er auf | |
mehrere verteilt werden. Denkbar wäre auch eine eigene Gemeinde | |
„Sachsenwald“, die aber Einwohner:innen bräuchte. Dafür müssten andere | |
Gemeinden Orte abtreten. | |
Oder: Alles bleibt, wie es ist – aber künftig ziehen der Kreis oder das | |
Land die Steuern ein, nicht der von den Bismarcks eingesetzt Gutsverwalter. | |
„Sofern regional keine Lösung gefunden wird, entscheidet das Land“, sagt | |
Kreissprecher Frohnert. Bei einem möglichen Rechtsstreit mit der Familie | |
Bismark stünde dann auch das Land, nicht eine Gemeinde, gegen das | |
Adelshaus. So oder so soll die Frage der künftigen Struktur in diesem Jahr | |
geklärt werden, teilt das Innenministerium mit. | |
Marc-André Bornkessel, Kreissprecher der Linken in Herzogtum Lauenburg, hat | |
derweil Fragen an die Verwaltung: „Wurde für die Hütte eigentlich eine | |
Nutzungsänderung als Gewerberaum beantragt und wer genehmigte die | |
Bauanträge?“ Er hofft auf eine baldige Aufklärung. | |
10 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /ZDF-Recherche-zu-Steuerparadies-im-Wald/!6039981 | |
[2] /Angehoerige-von-Politikerinnen/!5862352 | |
[3] /Jagdtrieb/!5245733 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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