Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Experte zu Wirtschaftspolitik à la Merz: „Die Union präsentiert…
> Die öffentliche Infrastruktur ist in Deutschland auf dem Stand des späten
> 20. Jahrhunderts, sagt Ökonom Sebastian Dullien. Es brauche
> Investitionen.
Bild: Sorgt für wirtschaftspolitisches Déjà-vu: Friedrich Merz, hier bei sei…
taz: Die Bundesregierung hat jüngst ihre Prognose gesenkt. Sie geht davon
aus, dass die Wirtschaftsleistung dieses Jahr nur um 0,3 Prozent wachsen
wird, nachdem sie zwei Jahre in Folge geschrumpft ist. Wie ernst ist die
Lage?
Sebastian Dullien: Die Bundesregierung ist mit ihrer Prognose noch recht
optimistisch. Meine Mitarbeitenden und ich gehen für dieses Jahr derzeit
nur von 0,1 Prozent aus. Gleichzeitig gibt es neben strukturellen Problemen
wie hohe Energiepreise viele konjunkturelle Risiken, die selbst dieses
Mini-Wachstum gefährden.
taz: Welche wären das?
Dullien: Wir haben eine zunehmende Systemkonkurrenz zwischen den USA und
China, während [1][Donald Trump] der EU mit neuen Zöllen droht. Auch
herrscht Unklarheit über den Ausgang der Bundestagswahl und welche
Regierung danach gebildet wird. Das alles verunsichert die Unternehmen. Sie
verschieben Investitionen, weil sie nicht wissen, wie die Bedingungen in
einem halben Jahr sind.
taz: CDU-Chef Friedrich Merz hat Ende Januar mit den Stimmen von AfD und
BSW einen Antrag für härtere Migrationsregeln im Bundestag durchgesetzt.
Später scheiterte er bei dem entsprechenden Gesetzesentwurf. Hat sein Flirt
mit Rechtsaußen auch zur Verunsicherung beigetragen?
Dullien: Davon ist nicht auszugehen. Die große Mehrheit glaubt nicht, dass
es nach den Wahlen zu einer Koalition mit der AfD kommen wird. Das könnte
Friedrich Merz auch nicht in der Union durchsetzen. Das wahrscheinlichste
ist, dass es zwischen der Union, SPD oder den Grünen zu einer
Regierungsbildung kommt.
taz: CDU-Chef Friedrich Merz verspricht, im Falle eines Wahlsieges die
Wirtschaft mit einem Sofortprogramm wieder in Gang zu bringen. Was halten
Sie davon?
Dullien: Wenn ich [2][Friedrich Merz] über Wirtschaft reden höre, denke
ich, ich habe ein Deja Vu. Die Union diskutiert die selben Sachen wie vor
20 Jahren. Wie sie die eigentlichen Probleme der deutschen Wirtschaft lösen
will, sagt die Partei nicht. Sie gibt keine industriepolitische Antwort auf
die zunehmende Konkurrenz aus China oder den sich verschärfenden
Handelskonflikt mit den USA. Stattdessen präsentiert die Union uns nur
Scheinlösungen.
taz: Kanzler Olaf Scholz und Friedrich Merz haben sich am Sonntag ein
TV-Duell geliefert. Überzeugten ihre Antworten auf die Wirtschaftskrise?
Dullien: Nein. Keiner der beiden Kandidaten hat wirklich die Erkenntnis
gezeigt, dass Deutschland aufgrund der rapide veränderten geopolitischen
Situation vor ganz neuen Herausforderungen steht und es deshalb ganz
bestimmt nicht mit ein paar Steuersenkungen hier getan ist oder gar
Verschärfungen beim Bürgergeld. Von einer neuen Industriepolitik zum
Beispiel als Antwort auf die aggressive chinesische Förderung von
Schlüsselbranchen und Donald Trumps aggressiver Handelspolitik habe ich
nichts gehört.
taz: „Fleiß muss sich wieder lohnen“, fordert die CDU auf ihren
Wahlplakaten und verspricht unter anderem die Steuerbefreiung von
Überstunden, um das Thema Fachkräftemangel anzugehen. Schafft das kein
Wachstum?
Dullien: Das zeugt vor allem von einem veralteten Familienbild, in dem der
Vater arbeiten geht, Überstunden macht und die Frau zu Hause bleibt und
sich um den Haushalt kümmert. Will die Politik das Problem Fachkräftemangel
angehen, muss sie die Erwerbsbeteiligung von Frauen erhöhen. Dafür braucht
es Anreize, nicht für Überstunden.
taz: Teil des Union-Sofortprogramms ist das sogenannte
Zustrombegrenzungsgesetz, das Friedrich Merz mit den Stimmen der AfD
durchsetzen wollte. Würde das nicht sogar der Wirtschaft schaden
Dullien: Es besteht in der Tat die Gefahr, dass die Union damit Deutschland
auch für Fachkräfte als Einwanderungsland unattraktiver macht. Das kann für
die Wirtschaft ein Problem werden, weil das Land eine schrumpfende
Erwerbsbevölkerung hat. Es braucht deshalb eine Zuwanderung von
Arbeitskräften.
taz: Während die deutsche Wirtschaft vergangenes Jahr geschrumpft ist,
wuchs die spanische um 3,2 Prozent. Was macht Madrid besser als Berlin?
Dullien: Das Land hat nicht nur weniger Probleme mit der Transformation, es
hat auch besser auf die Herausforderungen durch die Energiepreiskrise im
Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine reagiert. Spanien hat
wesentlich stärker in die Energiepreise eingegriffen als Deutschland.
Dadurch war der Schock auf Unternehmen und private Haushalte deutlich
geringer. Außerdem hat Spanien nicht angefangen, in einer Schwächephase zu
sparen. Genau das hat die Bundesregierung nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse gemacht. Und das hat die Krise
in Deutschland weiter verschärft.
taz: Was müsste die nächste Regierung unternehmen, um die Krise zu
überwinden?
Dullien: Zunächst ist ein großes Investitionsprogramm nötig. Die
öffentliche Infrastruktur ist in Deutschland auf dem Stand des späten 20.
Jahrhunderts, während wir das erste Viertel des 21. Jahrhunderts bereits
hinter uns haben. Zusammen mit dem Institut der deutschen Wirtschaft haben
meine Mitarbeitenden und ich den zusätzlichen Finanzbedarf für
Investitionen in die öffentliche Infrastruktur auf 600 Milliarden Euro in
den nächsten zehn Jahren geschätzt. Diese Investitionen würden sich doppelt
auszahlen.
taz: Inwiefern?
Dullien: Insbesondere die sich derzeit in einer Krise befindende Baubranche
würde von öffentlichen Aufträgen profitieren. Das würde die Konjunktur
direkt ankurbeln. Auch für die übrige Wirtschaft würde sich durch eine
modernisierte Infrastruktur die Wettbewerbsfähigkeit verbessern.
Schließlich geht mittlerweile viel Produktivität verloren, weil Ingenieure
im Stau stecken oder Schwerlasttransporte drei statt einer Nacht brauchen,
wenn mal wieder eine marode Brücke gesperrt ist.
taz: Aber eine Antwort auf die zunehmende Konkurrenz aus China ist das noch
nicht.
Dullien: Dafür ist eine gemeinsame europäische Industriepolitik notwendig.
In diesem Rahmen müssen Zukunftstechnologien in Schlüsselindustrien
zielgerichtet gefördert werden, etwa die Elektromobilität im Rahmen eines
Social Leasings wie in Frankreich. Dabei sollte es nicht nur um Wachstum,
sondern wie bei der Halbleitertechnologie auch um eine strategische
Autonomie Europas in Zeiten wachsender geopolitischer Spannungen gehen.
Dass alles sollte mit einem Brückenstrompreis kombiniert werden, der die
Strompreise während der Energiewende verlässlicher macht.
taz: Dafür müsste der Staat viel Geld in die Hand nehmen. Allein Ihr
Investitionsprogramm würde jährliche Mehrausgaben in Höhe von 60 Milliarden
Euro bedeuten. Dies ginge nicht ohne eine Reform der [3][Schuldenbremse].
Halten Sie diese für realistisch?
Dullien: Wir leben in Zeiten großer Herausforderungen. Deutschland kann
sich den Luxus einer ökonomisch schlecht begründeten, rein ideologisch
motivierten Schuldenbremse nicht mehr leisten. Das weiß letztlich auch
Friedrich Merz.
taz: Im Wahlprogramm der Union steht, dass sie an der „an der
grundgesetzlichen Schuldenbremse festhalten“ will.
Dullien: Auch Friedrich Merz kann rechnen, auch wenn sein Wahlprogramm das
Gegenteil vermuten lässt. Selbst innerhalb der Union gibt es Befürworter
einer Reform der Schuldenbremse. Zumal mittlerweile auch in der Bevölkerung
eine Mehrheit besteht, der Zukunftsinvestitionen wichtiger sind als die
Schuldenregeln in ihrer jetzigen Form.
10 Feb 2025
## LINKS
[1] /US-Wirtschaftspolitik/!6065165
[2] /Nach-Merz-Migrationsantrag/!6065026
[3] /Wirtschaft-im-Wahlkampf/!6065555
## AUTOREN
Simon Poelchau
## TAGS
Friedrich Merz
Infrastruktur
Wirtschaftskrise
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
GNS
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Kolumne Economy, bitch
Friedrich Merz
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
## ARTIKEL ZUM THEMA
Merz und die Frauen in der Union: Zeit für Damenwahl
Die Union unter Friedrich Merz kann bei jungen Wählerinnen kaum punkten.
Die CDU könnte Frauen in ihren Reihen nach vorne schieben. Wo bleiben die?
Was Spanien besser macht: Das spanische Wirtschaftswunder
Während es in Deutschland kriselt, wächst Spaniens Wirtschaft. Grund sind
auch bessere Arbeitsbedingungen und Investitionen in günstige Energie.
Von Rocklängen zu „Recession Brunette“: Was uns Mode über die Wirtschafts…
Fashion kann uns zeigen, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist. Und was
Menschen sich leisten können und was eben nicht.
Sofortprogramm der CDU: Wirtschaftspolitisches gepaart mit vielen Unklarheiten
Die CDU will, dass Bürger:innen schon bald zuversichtlich auf die
Wirtschaft blicken. Dafür soll ein gerade beschlossenes Sofortprogramm
sorgen.
Die CDU und die Brandmauer: Der Schlingerkurs des Friedrich Merz
Mit oder ohne AfD? Der Kanzlerkandidat fordert nach Aschaffenburg
drastische Verschärfungen in der Asylpolitik. Nur: Mit wem will er die
durchsetzen?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.