# taz.de -- Skandal um „Emilia Perez“: Keine Heldin ohne Fehler | |
> Wegen alter rassistischer Tweets wird „Emilia Perez“-Star Karla Sofía | |
> Gascón heftig kritisiert. Dabei wird die Botschaft des Filmes ignoriert. | |
Bild: Innerhalb weniger Tage vom Thron unter den Bus geworfen: die spanische Sc… | |
Die Giftgrube soziale Medien hat nicht nur Information und Desinformation | |
extrem beschleunigt, sondern auch die Geschwindigkeit des Fallbeils, mit | |
dem wir über Menschen urteilen. Getroffen hat es jetzt die | |
[1][Schauspielerin Karla Sofía Gascón]. Eben noch war sie für ihre Rolle im | |
Musicaldrama „Emilia Perez“ umjubelt worden, in dem sie einen | |
millionenschweren, mexikanischen Kartellboss spielt, der sich einer | |
Geschlechtsumwandlung unterzieht und mit neuer Identität zur prominenten | |
Aktivistin gegen die mordenden Kartelle wird. Als erste Transperson | |
überhaupt wurde Gascón für einen Oscar nominiert und als Heldin gefeiert. | |
Innerhalb weniger Tage aber wurde die Spanierin, den Oscar fast schon | |
sicher, mittels teils zehn Jahre alten Tweets vom Thron und unter den Bus | |
geworfen. Netflix nahm sie aus der PR-Kampagne, geplante Auftritte und | |
Reden wurden abgesagt und selbst ihr Regisseur distanzierte sich von ihr. | |
Was zum Teufel war passiert? Hatte jemand herausgefunden, dass sie auf | |
Twitter mal einen Mord gestanden hatte? Ist sie ein Fake? Ein | |
Vergewaltiger? Mitglied der SS? Nein, nichts dergleichen. Sie hat Bullshit | |
erzählt. | |
[2][George Floyd, dessen gewaltsame Tötung durch US-Polizisten] „Black | |
Lives Matter“ begründet hatte, hatte sie als „drogenabhängigen Betrüger�… | |
bezeichnet, den Islam als „Infektionsquelle für die Menschheit, die | |
dringend geheilt werden muss“, und über die Oscar-Verleihung 2021 gesagt, | |
dass die mit einem „afrokoreanischen Festival, einer | |
Black-Lives-Matter-Demo oder einer Feminismusgala“ zu verwechseln sei. | |
## Ironie als Angriff | |
Die Journalistin Sarah Hagi, die diese und andere Tweets ausgegraben hat, | |
unterstellt Gascón deshalb unter anderem, rassistisch, transphob, | |
impfskeptisch und oscarbeleidigend zu sein. Gascón löschte daraufhin die | |
Tweets und entschuldigte sich mehrfach per Instagram und in TV-Interviews. | |
Sie sei in einer Scheißphase gewesen, erklärte sie. Aber auch, dass ihre | |
Ironie offenbar als Angriff verstanden wurde. | |
Die Meinungen über „Emilia Perez“ reichen von umwerfendes Spektakel bis | |
totaler Trash, und an allem ist was dran. Am Samstag hat der Film zwar noch | |
Spaniens wichtigstem Branchenpreis Goya in der Kategorie bester | |
europäischer Film gewonnen. Dass die [3][13 Oscar-Nominierungen] allerdings | |
auch der Politisierung dieses Preises geschuldet sind, wird kaum jemand | |
bestreiten. | |
Insofern ist Gascón, die ohne diese Politisierung weniger Chancen auf eine | |
Nominierung gehabt haben dürfte, jetzt Opfer genau dieser Politisierung | |
geworden. Sie taugt in den Augen vieler nicht mehr zur Heldin. Denn sie ist | |
nicht frei von Fehlern. | |
Bestimmt gibt es bessere Filme über oder mit Transpersonen, bestimmt gibt | |
es politisch fehlerfreiere Schauspielerinnen als Gascón, die ihre | |
Fingerabdrücke auf Social Media nur unter professioneller Aufsicht | |
hinterlassen. Sicher wäre es auch cooler gewesen, statt die Tweets zu | |
löschen, sie als Zeugnis eigener Verfehlung stehenzulassen, und noch besser | |
wäre gewesen, nicht auch noch von einer Verschwörung der Oscar-Konkurrenz | |
zu sprechen. Aber das ist eben real life. | |
## Der eigenen Vergangenheit entkommen | |
Es ist doch geradezu erfrischend, dass ein Hollywood-Star eben noch nicht | |
die perfekte Rolle im realen Leben spielt. Von perfekten Entschuldigungen | |
für frühere Verfehlungen wird die Welt sowieso nicht besser, wie wir in den | |
letzten Jahren gesehen haben, in denen „Entschuldigung“ öfter gesagt wurde | |
als „Bitte, ein Bier!“. | |
Das Allererstaunlichste aber ist, dass ausgerechnet „Emilia Perez“ von der | |
Unmöglichkeit handelt, der eigenen Vergangenheit zu entkommen: Emilia | |
Perez, ehedem Manitas Del Monte, kann zwar ihr Geschlecht umwandeln und zur | |
Aktivistin gegen die Mafia werden, den Zorn, die Besitzansprüche und | |
Gewaltausbrüche, die sogenannte toxische Männlichkeit holen sie trotzdem | |
immer wieder ein. | |
Dass der Regisseur Jacques Audiard, der sich diesen Plot ja so ausgedacht | |
hat, seiner Hauptdarstellerin nun wegen ein paar dummen Tweets, die sie | |
nicht mal verteidigt, derart in den Rücken fällt – er ließ wissen, dass er | |
nach Aufdeckung der Tweets nicht mit Gascón gesprochen hat und auch nicht | |
mehr mit ihr sprechen will –, ist der größte Skandal in dieser Geschichte. | |
Hat er vergessen, was die Botschaft seines eigenen Films ist? | |
Dass wir unseren Prägungen nur schwer, wenn überhaupt entkommen können, ist | |
inzwischen kein Thema mehr für freudomarxistische Selbsthilfegruppen in | |
schummrigen Kellern. Umso mehr aber diese Erkenntnis zur Standardaussage | |
geworden ist, umso mehr scheint die Bereitschaft, die auch auszuhalten, zu | |
schwinden. | |
Wegen irgendeines Schrotts auf Twitter so zu tun, als sei das kurz vor | |
einem Verbrechen gegen die Menschheit, und ständig zu fordern, sich zu | |
distanzieren, sobald irgendwas nicht ganz okay ist, scheint inzwischen zu | |
einem Bild vom Menschen geführt zu haben, das in „Emilia Perez“ unter | |
anderem anhand der Schönheits-OP-Industrie kritisiert wird: Perfektion. Der | |
Fall Gascón ist ein groteskes und trauriges Beispiel dafür. | |
9 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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