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# taz.de -- Biologe über Wölfe in Brandenburg: „Panikmache und Populismus“
> Brandenburg hat eine Abschussquote für Wölfe angekündigt. Mit
> Falschmeldungen werde hier eine Agenda durchgedrückt, sagt Thomas Volpers
> vom BUND Brandenburg.
Bild: Wölfe in der Döberitzer Heide
taz: Herr Volpers, der brandenburgische Agrar- und Umwelt-Staatssekretär
Gregor Beyer plant eine Abschussquote für Wölfe. Das klingt wie eine
Kampfansage an Umwelt- und Naturschützer. Was sagt der BUND dazu?
Thomas Volpers: Das ist eine Ansage, die sich nicht im Geringsten auf
Fakten stützt.
taz: Abschussquote insinuiert, dass der Bestand der Wölfe reduziert werden
soll. Wäre das rechtlich denn möglich? Noch ist der Wolf ja streng
geschützt.
Volpers: Ja, aber [1][der Schutzstatus auf EU-Ebene wird gerade
gelockert]. Der Wolf wurde bereits runtergestuft von streng geschützt auf
geschützt. Da sind Kräfte am Wirken, die ein Interesse an einer Bejagung
des Wolfes haben. Der Hintergrund ist, dass der Bestand in Europa bis weit
rüber nach Russland ganz unterschiedlich ausgebildet ist. In manchen
Regionen ist er immer da gewesen, in manchen Gebieten wie bei uns in
Brandenburg ist er erst im Jahr 2000 zurückgekommen. Und es gibt Gebiete,
wo er noch komplett fehlt. Wie gut sein Erhaltungszustand insgesamt ist,
lässt sich deshalb nur schwer abschätzen.
taz: Umwelt-Staatssekretär Beyer hat gegenüber der Presse astronomische
Zahlen genannt. „Ich gehe davon aus, dass wir (in Brandenburg) deutlich
über 2.000 Wölfe haben“. Die in Beyers Haus zuständige Abteilung für
Wolfsmonitoring spricht von 58 Rudeln. Zahlen über Individuen hat diese
Abteilung nie veröffentlicht, weil sich die Populationsgröße von Wölfen nur
schwer erheben lasse. Wie kommt Beyer zu seinen Zahlen?
Volpers: Das ist eine völlig unseriöse Aussage. Wenn wir von 58 Rudeln
ausgehen, heißt das im Durchschnitt vier Tiere: Vater, Mutter und zwei
Kinder. Wenn die bis in den Winter überlebt haben, sind das vielleicht 240
Tiere. Dann gibt es vielleicht noch eine ganze Reihe Streuner aus den
Vorjahren – vielleicht noch mal 120, dann sind wir bei 360. Wenn man sagen
würde: 500, wäre das auch schon sehr hoch gegriffen und eine sehr mutige
Schätzung, die man nicht belegen kann. Aber 2.000? Das ist ja das Vierfache
davon. Das ist völlig aus der Luft gegriffen.
taz: Wie seriös sind die Angaben des Wolfmonitorings, das von 58 Rudeln
spricht?
Volpers: Das sind seriöse Erhebungen. Als die ersten Wölfe in Deutschland
wieder aufgetaucht sind, hat man die Chance genutzt und alle möglichen
Hebel in Bewegung gesetzt. Genetische Untersuchungen von Kotproben wurden
gemacht und Radio-Tracking. Das wurde auch in der Erwartung getan, dass es
irgendwann zu Problemen kommen könnte. Wenn es ein Tier in Deutschland
gibt, über das es ziemlich genaue Bestandsschätzungen gibt, ist es der
Wolf.
taz: Was treibt Umwelt-Staatssekretär Beyer an?
Volpers: Er will die Wölfe in das Jagdrecht bringen. Die ganze Debatte um
den Wolf wird weiter emotionalisiert, anstatt sie auf die sachliche Ebene
zu führen. Angenommen, wir hätten tatsächlich 500 Wölfe – was ich wie
gesagt für unrealistisch halte –, wäre die Statistik der Wolfsrisse doch
die gleiche.
taz: 2024 wurden in Brandenburg fast 300 Wolfsangriffe auf Nutztiere mit
mehr als 1.000 toten Tieren gemeldet.
Volpers: Daran lässt sich ablesen, dass der große Anteil der Wölfe
überhaupt keine Probleme macht. Wir haben in Deutschland auf die gleiche
Fläche bezogen viel mehr Wölfe als zum Beispiel in Schweden, wo die Wölfe
regelmäßig gejagt werden, weil sie hier beim Wild genug Futter finden.
taz: Geht das genauer?
Volpers: Wir haben Rehe und Damhirsche in seit der Eiszeit nie da gewesenen
Beständen. Und wir haben das Problem, dass die Rehe und Damhirsche im Wald
massiven Schaden anrichten. Wir können eigentlich nur froh sein, dass der
Wolf da ein bisschen ausdünnt. Dass die Rehe und Hirsche ein bisschen
vorsichtiger sind und sich nicht tagelang am selben Platz aufhalten.
taz: Beyers Ziel ist, ab 2026 Wölfe in Brandenburg bejagen zu können.
Volpers: Viel besser wäre, wenn wir 2025 einen Plan machen, wie man
sogenannter Problemwölfe besser habhaft wird.
taz: Also einzelne Tiere, die wiederholt 1,20 Meter hohe Weidezäune
überspringen und Schafe reißen. Wie könnte das gehen?
Volpers: Wir müssen bürokratische Hürden abbauen und eine professionelle
Jägergruppe bilden, die man tagesaktuell in ganz Brandenburg einsetzen
kann, um diese Wölfe auszuschalten, unmittelbar nachdem Risse passiert
sind. Zusammen mit Veterinären und Naturschützern müsste man eine Taktik
entwickeln, wie man einen Wolf, der tatsächlich Schaden macht, wirkungsvoll
verfolgen kann. In der Regel passieren Nutztierrisse ja nur bei Herden, die
nicht ausreichend geschützt sind. Dann würde man vielleicht 10 oder 15
Wölfe erlegen. Ich glaube, die Naturschützer wären nicht böse drum, wenn
das passiert, aber das ist eine Problembehandlung und keine Quote!
taz: Was würde eine Abschussquote bedeuten?
Volpers: Es ist zu befürchten, dass die ausgebildete komplizierte
Sozialstruktur in den Rudeln dadurch komplett gestört würde. Der Herr
Kucznik …
taz: … ein Schäfer im Süden Brandenburgs …
Volpers: … hat seit Jahrzehnten mit Wölfen zu tun. Er sagt: Leute, lasst
mir meine Wolfsrudel in Ruhe. Der Grund ist, dass er den Wölfen mit
Schutzmaßnahmen beigebracht hat, seine Schafe nicht zu fressen. Das
funktioniert.
taz: Was passiert, wenn durch Abschuss aus den Rudeln einzelne Tiere
rausgerissen werden?
Volpers: Wenn es die Leitwölfe sind oder die erfahrenen Wölfe, kann es dazu
führen, dass die Jungwölfe keine Regeln mehr lernen. Dass sie eine andere
Jagdstrategie entwickeln, als Wölfe normalerweise haben. Dass sie, wenn sie
hungrig sind, das jagen, was sie am leichtesten kriegen. Das sind dann
möglicherweise Schafe oder Kälber.
taz: Auf einem [2][Wolfshearing in Prenzlau] hat Gregor Beyer kürzlich noch
von 1.000 Wölfen geredet. Klingt so, als verbreitet da ein politisch
Verantwortlicher je nach Gusto und Tagesform Zahlen.
Volpers: Mir kommt das ein bisschen so vor wie die Migrationsdebatte, die
im Moment so hochkocht. Es wird ein Mord begangen von einem Asylbewerber,
der vielleicht schon längst hätte abgeschoben werden müssen, oder auch
nicht. Die Folge ist, wir lassen überhaupt keinen mehr ins Land. Das ist
völlig überzogen und gänzlich ohne Grundlage. So ähnlich ist es, wenn man
sagt: 2.000 Wölfe. Das Hearing in Prenzlau ist noch keine vier Wochen her,
und auf einmal sollen doppelt so viele Wölfe im Land sein. Das ist keine
Politik, das ist Panikmache und Populismus.
taz: Brandenburg wird seit Neustem von SPD und BSW regiert. Grüne und Linke
sind nicht mehr im Landtag vertreten. Wer könnte Beyer stoppen?
Volpers: Auch in anderen Parteien gibt es zum Glück noch vernünftige
Menschen. Das sind ja nicht alles nur Leute, die jagen und schießen wollen.
taz: Beyer ist selbst Jäger. Wie empfinden Sie den Wechsel von einem
Grünen-Umweltminister zu einer [3][SPD-Ministerin, die wegen ihrer
Vorgeschichte als Inhaberin von Hühnerfarmen] einen zweifelhaften Ruf hat?
Und ihrem Staatssekretär, der kürzlich noch FDP-Mitglied war und 2014 mit
der Parole Wahlkampf gemacht hat: „Biber abschießen“?
Volpers: Bei der Vorgängerregierung hatte ich – gerade bei der Diskussion
um das Jagdgesetz – das Gefühl, die Polemik kam von außen. Der grüne
Umweltminister Vogel hat versucht, mit fachlichen Argumenten und fachlicher
Unterstützung ein bisschen was im Jagdgesetz zu drehen, zugunsten des
Waldes. Jetzt sieht es so aus, dass offensichtlich im Ministerium Polemik
und Falschmeldungen gestreut werden, um eine politische Agenda
durchzudrücken.
5 Feb 2025
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## AUTOREN
Plutonia Plarre
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