# taz.de -- Landwirtschaft gegen Naturschutz: Und nebenan der Wolf | |
> Milchbauer Steffen Hinrichs schützt seine Kälber mit speziellen Zäunen. | |
> Aber er findet auch gut, dass die EU den Abschuss von Wölfen erleichtern | |
> will. | |
Bild: Milchbauer Steffen Hinrichs neben dem Zaun, der seine Kühe vor den Wölf… | |
Hesel/Ostfriesland taz | Eine von Steffen Hinrichs’ Kühen hat vor vier | |
Stunden ein Kalb zur Welt gebracht. Sie leckt das braun-weiße Fell des | |
Neugeborenen auf einer Weide im ostfriesischen Dorf Hesel trocken. Sehr | |
friedlich wirkt das. Aber: Immer wieder streifen Wölfe durch die Gegend, | |
die auch Kälber fressen könnten. Deshalb hat Landwirt Hinrichs einen Zaun | |
mit fünf Elektrodrähten um seine Weide gebaut. Die Pfähle ragen 1,2 Meter | |
aus dem Boden. So, wie es Experten empfehlen, um Vieh vor Wölfen zu | |
schützen. Normale Zäune haben oft nur einen Draht und sind niedriger. | |
30 Kilometer entfernt lebt ein Wolfsrudel. In Hinrichs' Landkreis Leer | |
haben die Beutegreifer seit 2017 nach offiziellen Angaben [1][120 Nutztiere | |
getötet]. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich auch hier in Hesel, | |
wo der Milchbauer wohnt, ein Rudel ansiedelt. „Ich bereite mich schon | |
darauf vor, deshalb habe ich den Zaun gebaut“, sagt der 54-jährige | |
Landwirtschaftsmeister. Seine Haut ist gebräunt von vielen Stunden Arbeit | |
im Freien, die Haare trägt er kurz und akkurat gekämmt. | |
Mit dem Zaun folgt er einer Empfehlung von Naturschützern, die sich für | |
eine ungehinderte Ausbreitung der Raubtiere einsetzen. Doch Hinrichs sagt | |
auch: „Ich finde es gut, dass die EU es erleichtern will, Problemwölfe zu | |
schießen.“ | |
Darüber soll der Rat der EU-Staaten voraussichtlich am 5. Juni entscheiden. | |
Wenn die nötige Mehrheit der Regierungen wie allgemein erwartet zustimmt, | |
gilt die Tierart nicht mehr als „streng geschützt“, sondern nur noch als | |
„geschützt“. Das EU-Parlament hat bereits grünes Licht gegeben. Auch dann | |
werde der Wolf „nicht pauschal zum Abschuss freigegeben“, schreibt das | |
Bundesumweltministerium. „Künftig könnten problematische Wölfe aber | |
[2][einfacher abgeschossen] werden“, wenn Deutschland seine Gesetze | |
entsprechend lockert. | |
## Rückschlag für den Naturschutz | |
Bauernverbände hoffen, dass davon die vergleichsweise tier- und | |
umweltfreundliche Haltung vor allem von Schafen und Rindern im Freien | |
profitiert. Schließlich nimmt der Wolfsbestand immer mehr zu, derzeit sind | |
es schätzungsweise 2.000 Tiere. Im Jahr 2023 erreichte die Zahl der von | |
Wölfen getöteten oder verletzten Nutztiere mit [3][5.727] einen neuen | |
Rekord, wie die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema | |
Wolf berichtet. | |
Kritiker sehen in der Herabstufung einen Rückschlag für den Naturschutz. | |
Sie empfehlen, das Vieh auf der Weide zum Beispiel durch Zäune zu schützen, | |
statt Wölfe zu töten. | |
Hinrichs will aber beides: Drei Weiden hat er schon komplett mit | |
Anti-Wolfs-Zäunen gesichert. Und er fordert, dass wirklich alle Wölfe | |
geschossen werden, die sich nicht von Schwarzwild, sondern von Weidetieren | |
ernähren. „Wenn die Wölfe das ihren Nachkommen lehren, ihrem Rudel, dann | |
machen die das ja auch“, befürchtet er. Er zeigt auf einen mit Gras und | |
Bäumen bewachsenen Wall direkt vorm Zaun. Die Wallhecke ist rund einen | |
Meter hoch. „Die könnte der Wolf als Sprungschanze nutzen, um über den Zaun | |
zu springen“, vermutet der Milchbauer. Die Wallhecke kann und will Hinrichs | |
nicht beseitigen. „Sie ist wichtig für den Naturschutz, ist mit Bäumen | |
bewachsen, sie ist ein schönes Landschaftselement.“ Er kann den Zaun auch | |
nicht weiter entfernt aufstellen, weil er sonst zu viel kostbare Fläche | |
verlieren würde. „Ob der Zaun jetzt wolfssicher ist? Ich bezweifle das“, | |
sagt Hinrichs. Deshalb müssten bei Bedarf auch Jäger seine Herde schützen. | |
Nicht auf allen deutschen Weiden gibt es Wallhecken. Aber auf allen wächst | |
Gras, und das ist ein Problem für den Schutz vor Wölfen. Auch bei Hinrichs’ | |
Zaun: Viele Grashalme sind schon so lang, dass sie den untersten | |
Elektrodraht berühren. Dann aber fällt die Spannung, sodass der Wolf nur | |
noch einen schwächeren Schlag bekommt. Deshalb sagt Hinrichs: „Bei so einem | |
Draht muss ich in der Weidesaison alle ein bis zwei Monate mit der | |
Motorsense ran.“ Bisher hat er nur einen Kilometer Wolfszaun. Da gehe das | |
noch, erzählt er. Aber wenn er seine gesamten 45 Hektar Weideland so | |
eingezäunt hätte, würde er es nicht mehr schaffen. | |
## Der Staat zahlt nur das Zaun-Material | |
„Wir sind ja ein Familienbetrieb“, sagt der Landwirt. Seine älteste Tochter | |
sei gerade auf der Meisterschule und habe ein Kleinkind. „Meine Frau, meine | |
Tochter und ich, wir haben ja genug andere Sachen zu tun“, rechnet Hinrichs | |
vor. Jeden Tag treiben sie um 6 und 17 Uhr die Kühe von der Weide zum | |
Melken in den Stall und wieder zurück. Sie müssen Mais säen, pflegen und | |
ernten. Sie müssen Wiesen mähen, damit die Kühe genügend zu fressen haben, | |
wenn sie im Winter im Stall leben. | |
Er könne es sich auch nicht leisten, Mitarbeiter für das Mähen zu bezahlen. | |
„Das finanziert der Staat ja nicht, du kriegst nur den Zaun selbst | |
finanziert.“ Und selbst wenn die Behörden dafür zahlen würden, glaubt | |
Hinrichs nicht, dass er hier im dünn besiedelten Landkreis Leer überhaupt | |
jemanden für diese Arbeit finden würde. | |
Allein um einen Kilometer Zaun zu bauen, musste Hinrichs nach eigenen | |
Angaben drei Arbeiter einer Fremdfirma bezahlen. „Das hat mich 1.500 Euro | |
gekostet.“ Er und eine Tochter hätten den ganzen Tag mitgearbeitet, für | |
lau. Auch den Arbeitsaufwand für den Bau des Zauns subventioniert der Staat | |
nicht. | |
Immerhin hat das Land Niedersachsen damals, 2022, das Material komplett | |
bezahlt. Inzwischen übernimmt es nur noch 80 Prozent. Pro Jahr und | |
Empfänger erlaubt die Wolfsrichtlinie des Agrarministeriums in Hannover | |
höchstens 30.000 Euro Zuschuss. Würde Hinrichs alle seine sehr kleinen | |
Weiden einzäunen, würde allein das Material zehnmal so viel kosten, | |
kalkuliert er. | |
## Kuhfladen als „Oasen der Artenvielfalt“ | |
„Ich bin ja bereit zum Herdenschutz, aber Sie sehen ja selber, wie viel | |
Arbeit und Unkosten mir das machen würde“, meint er. „Viele meiner | |
Berufskollegen sagen: Wenn ich das machen soll, dann bleiben die Tiere im | |
Stall.“ Dann fährt Hinrichs zu einer Weide mit Jungvieh. Rechts und links | |
wachsen Bäume, Vögel zwitschern, sieben Rinder liegen entspannt in der | |
Sonne, die anderen trotten auf uns zu. „Diese Bilder, das ist das, wofür | |
ich lebe, wofür ich meinen Beruf mache. Diese Tiere auf der Weide zu sehen, | |
in dieser Landschaft, das ist ja das Herrliche“, sagt der Landwirt. | |
Er deutet mit dem Finger auf etwas dunklere Stellen im Gras: „Da haben die | |
Rinder geschissen.“ Die Kuhfladen seien Nistplätze für Insekten, von denen | |
sich Schwalben ernähren. „Oasen der Artenvielfalt“ nennt Greenpeace | |
Kuhfladen deshalb. | |
„Und für unsere Tiere ist es ja auch schöner, wenn sie auf die Weide | |
kommen“, sagt Hinrichs. Dort können sie sich viel freier bewegen. Darum | |
fordert zum Beispiel der Deutsche Tierschutzbund [4][Weidegang für alle | |
Rinder] während der Vegetationszeit, also im Sommerhalbjahr. Er kritisiert, | |
dass nur noch etwa 38 Prozent der Rinder auf eine Weide können. „Die | |
übrigen 62 Prozent stehen ganzjährig im Stall, teilweise haben sie | |
zumindest einen Außenauslauf“, so die Tierschützer. | |
Das liegt vor allem daran, dass Weidehaltung teurer ist. Die Belastung | |
durch den Wolf macht sie für die Bauern noch unattraktiver. „Wenn das mit | |
den Wölfen schlimmer wird, kommen die Kühe nur noch tagsüber nach draußen, | |
und die anderen Rinder bleiben im Stall. Weil tagsüber hast du ja nicht so | |
viele Übergriffe“, sagt Hinrichs. Auch bei ihm kämen dann also viele Tiere | |
nie mehr an die frische Luft. | |
## Strenge Abschussrichtlinien | |
Das würde Marie Neuwald bedauern. Sie ist Referentin für Wölfe, aber auch | |
für Beweidung beim Naturschutzbund (Nabu). Sie zeigt viel Verständnis für | |
Bauern wie Hinrichs. „Ich habe selbst mal eine ganze Weile den Elektrozaun | |
eines Nabu-Beweidungspojekts in Sachsen-Anhalt freigehalten“, erzählt die | |
Umweltschützerin. „Wir standen jeden Morgen um 7 auf der Weide. Es war ein | |
Jahr mit sehr wüchsiger Vegetation. Irgendwie hatte man das Gefühl, man | |
hat’s gemäht und eine Woche später könnte man es schon wieder machen.“ Es | |
gebe noch keine ideale Lösung, um die Zäune frei von Gras zu halten – „nur | |
aussichtsreiche Projekte“. | |
Neuwald fordert seit Langem, dass die Länder auch die Arbeitskosten für das | |
Mähen und die Investitionskosten für die Zäune komplett übernehmen. Aber | |
was den Arbeitskräftemangel angeht, ist auch sie eher ratlos. Sicher ist | |
sich Neuwald aber, dass die Senkung des Schutzstatus des Wolfs unnötig sei. | |
„Es wurden ja schon Problemwölfe entnommen, die Herdenschutzzäune | |
überwunden haben“, argumentiert Neuwald. Dass Gerichte mehrere | |
Abschussgenehmigungen kippten, liege vor allem „an juristisch schlechten | |
Begründungen“, nicht an den Gesetzen. | |
Allerdings sind die Bedingungen derzeit streng: So streng, dass in den | |
zwölf Monaten bis Ende Mai nur drei Wölfe wegen Übergriffen auf Nutztiere | |
„entnommen“ wurden, wie das Bundesamt für Naturschutz der taz schreibt. Die | |
EU-Entscheidung könnte dazu führen, die Anforderungen zu senken und die | |
Zahl der Abschüsse zu steigern. | |
31 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.wolfsmonitoring.com/nutztierrisse | |
[2] https://www.bmuv.de/themen/artenschutz/nationaler-artenschutz/der-wolf-in-d… | |
[3] https://www.dbb-wolf.de/wolfsmanagement/herdenschutz/schadensstatistik | |
[4] https://www.tierschutzbund.de/tiere-themen/tiere-in-der-landwirtschaft/rind… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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