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# taz.de -- Sprache und Feindseligkeit: Wie fremd darf ich sein?
> Unsere Autorin ist Slawistik-Professorin und lebt in Thüringen. Was sie
> heute in Deutschland erlebt, erinnert sie an ihre Kindheit in Kroatien.
Bild: Weitblick geht anders: deutsches Haus in Gera
Seit fünfzehn Jahren wohne ich an ein und demselben Ort in Thüringen, was
in meinem bisherigen Leben den Rekord im Nichtumziehen darstellt.
Mein stiefmuttersprachliches Deutsch verrät zwar manches über meine
Herkunft, doch das scheint niemanden zu stören. Oder doch? Wer hat
überhaupt das Recht zu bleiben, wer darf darüber entscheiden, wer das Land
verlassen muss, diese wahnsinnigen, wannseeigen Überlegungen fangen in
letzter Zeit an, in mir zu wirken.
Manchmal fühle ich mich komisch gemustert, wenn ich [1][meine Sprache mit
meinen Kindern spreche]. Das kann sehr wohl an meiner panischen
Überinterpretation des grantigen Gesichtsausdrucks so mancher
Passant:innen liegen und am Konsumieren von Medien, die dieses
Bundesland [2][als eine Hochburg der Fremdenfeindlichkeit] verdächtigen.
Dennoch merke ich seit einer Weile, dass auch ich diesem Verdacht langsam
verfalle und leicht irritiert bin, wenn eine Schulfreundin meine Tochter zu
der komischen Sprache befragt, die sie mit ihrer Mama spricht. Dass Kinder
– inklusive meiner eigenen – in der Begegnung mit etwas Neuem mit großen
Fragezeichen reagieren, weiß ich ja, dennoch ist mir dabei unwohl zumute.
Beginne ich jetzt, paranoid zu werden? Ich wehre mich innerlich dagegen,
doch das Kind in mir fängt an, sich zu erinnern.
## Ustascha und Tschetnik
Es ist das Jahr 1991, unmittelbar nach dem Beginn des Krieges in Kroatien.
Mein Wortschatz wird um zwei neue Wörter bereichert, wenn man es überhaupt
Bereicherung nennen kann. Im Nahverkehr von Split belausche ich die
Gespräche anderer Fahrgäste, um wie ein Schwamm neue Begriffe auf dem
langen Weg des Erwachsenwerdens aufzusaugen. Dabei heben sich zwei Wörter
gegenüber dem vertrauten Wortschatz ab: Ustascha und Tschetnik,
faschistische Kroaten die einen, nationalistische Serben die anderen. Die
beiden Worte klingen wie Trommeln in meinen Ohren, ihre Aussprache fällt
mir schwer und es klingt bedrohlich.
Ich frage meine Mutter nicht, was sie bedeuten, denn sie klingen wie etwas,
was ein fünfjähriges Kind nicht wissen soll. Ich behalte sie im Kopf als
Beweis meiner geheimen Initiation in die ersehnte Welt der Erwachsenen. Sie
scheinen zwei Gruppen mit besonderen Kräften zu bezeichnen, irgendwelche
Superhelden. Sie wirken wie ein Haufen schwerer Konsonanten, die
gegeneinander kämpfen, Tschetnik und Ustascha, und in der Tat sind sie das
ja: eine Kriegsbeschwörung. Ich fragte mich damals nur, wer von den beiden
stärker ist, und versuchte es anhand ihres Klangs zu erraten.
Für meine Familie fing dieser Krieg in einem Tante-Emma-Laden an. Meine
Mutter wurde von der ihr wohlvertrauten Verkäuferin darauf angesprochen,
wie sie denn mit einem Tschetnik schlafen könne – dass mein Vater aus einer
kommunistisch geprägten und national eher indifferenten Arbeiterfamilie
stammte, spielte keine Rolle, nur der Name zählte noch, denn der
Kommunismus war nicht mehr in Mode.
Noch selbstbewusst antwortete ihr meine Mutter: „Genauso gut wie du mit
deinem Ustascha!“ Als einige Wochen danach ein Nachbar mit seinen Kindern
demonstrativ den Spielplatz unserer Plattenbausiedlung verließ, nachdem
meine Mutter ihn mit meinem Bruder und mir betreten hatte, wurde es schon
etwas unangenehmer.
## Kleine „Mischlinge“!
Ich fühlte mich unwohl, wusste aber nicht, was ich denn falsch gemacht
hatte. Ich schaukelte nie zu lange, wenn andere Kinder auch schaukeln
wollten, oder wartete geduldig, bis die anderen fertig waren, diese Art der
Rücksichtnahme hatte mir meine Mutter konsequent beigebracht. Daran also
konnte es nicht gelegen haben. Außerdem schaute mich meine Mutter nicht
streng an, sondern wirkte eher beunruhigt. Als uns eines Tages im Fahrstuhl
der Nachbar aus dem Stockwerk über uns beschimpfte und dabei zur Seite
spuckte, brach meine Mutter in Tränen aus. Sie erzählte das gleich meinem
Vater, der zu dem Nachbarn rannte und ihn wütend zur Rede stellte.
Da war dem Nachbarn plötzlich gar nicht mehr klar, was er uns mit seiner
Aufführung während der gemeinsamen Fahrt im Fahrstuhl hatte sagen wollen,
und er entschuldigte sich sogar. An einer Frau und ihren zwei kleinen
Kindern kann man sein [3][nationales Mütchen] eben viel besser kühlen.
Außerdem wird er sich gedacht haben, dass meine Mutter eine „Verräterin“
sei und nur Verachtung verdiene, genauso wie ihre kleinen „Mischlinge“.
Der Krieg wütete inzwischen in Kroatien und verwandelte langsam auch unsere
Nachbarschaft in dem Neubauviertel Pujanke. Meinem Vater reichte es, wir
packten unsere Koffer und zogen in seine Heimatregion im dalmatinischen
Hinterland um. Dort hatten Angehörige der serbischen Bevölkerungsmehrheit
die Autonomie ausgerufen, während die einheimische kroatische Bevölkerung
gänzlich vertrieben, teilweise getötet worden war. Geduldet wurden nurmehr
treue Frauen, wie meine Mutter.
Als Flüchtlinge erhielten wir in regelmäßigen Abständen Mehl und
Milchpulver, verteilt von lokalen Funktionärinnen. Es war immer eine
Freude, wenn meine Mutter mit uns zweien zur Verteilungsstelle ging, denn
dorthin schob sie uns in der Schubkarre, die sie für den Transport auf dem
Rückweg brauchte. Ärgerlich war nur, dass sie jedes Mal bis zum Ende warten
musste. Die Funktionärin war da unbeugsam, denn auch sie wusste: Am besten
setzt man nationale Prinzipien gegenüber einer Frau mit kleinen Kindern
durch.
## Ein Totschlagargument
Als ich mich mit einer Schulkameradin beim Spielen auf der Straße zankte,
nannte sie mich „kleine Ustascha“, was als Totschlagargument gemeint war.
Mir diente es als ein Beweis meines tatsächlichen rhetorischen Sieges
(sonst hätte sie mich ja nicht so nennen müssen), während ihren Eltern
erkennbar peinlich war, dass wir so vom Inhalt ihrer Gespräche hinter
verschlossenen Türen erfuhren.
Meine Mutter schien das gut einordnen zu können. Schwerer fiel ihr das, als
mein vierjähriger Bruder weinend nach Hause kam, nachdem ihm jemand gesagt
hatte, seine Mutter sei wohl keine Serbin, sondern Kroatin. Er flehte sie
an, ihm zu bestätigen, dass das nicht stimme. Auch manche Telefonanrufe
wirkten beunruhigend, vor allem wenn mein Vater nicht da und sie mit uns
alleine zu Hause war. Ich träumte davon, dass wir nach Australien
auswandern würden.
Viele Jahre später bekam ich ein DAAD-Stipendium und fand unter dem
Deckmantel des Studiums mein verspätetes Exil in Deutschland, überzeugt,
die alltäglichen DNA-Analysen hinter mir gelassen zu haben. Doch, seit
einer Weile, wenn ich mit meinen Kindern unterwegs bin, scanne ich die
Umgebung ab, ob es jemanden gibt, der zu wissen scheint, dass man sein
nationales Mütchen am besten an einer Frau mit kleinen Kindern kühlen kann.
2 Feb 2025
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## AUTOREN
Željana Tunić
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