# taz.de -- Regelung für „Dublin-Fälle“: Bundesregierung nimmt Verelendun… | |
> Ein Gesetz streicht Geflüchteten alle Leistungen, wenn Deutschland nicht | |
> für ihren Asylantrag zuständig ist. Dass ihnen Obdachlosigkeit droht? | |
> Egal. | |
Bild: Drohende Obdachlosigkeit? Kein Härtefall, findet die Bundesregierung | |
Berlin taz | Um Geflüchtete loszuwerden, für deren Asylantrag andere | |
Staaten zuständig sind, nimmt die Bundesregierung auch deren | |
Obdachlosigkeit in Kauf. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine | |
kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Clara Bünger zur Umsetzung [1][des | |
sogenannten Sicherheitspakets]. Bünger sagt: „Diese Regelung ist nicht nur | |
menschenverachtend, sie zeigt auch die eiskalte Ignoranz gegenüber den | |
Folgen der eigenen Politik.“ | |
Hintergrund des Sicherheitspakets war der Anschlag von Solingen im Herbst | |
2024, bei drei Personen starben und weitere verletzt wurden. Mutmaßlicher | |
Täter ist der Asylbewerber Issa Al H. Für dessen Asylantrag wäre nach | |
[2][dem Dublin-System] eigentlich Bulgarien zuständig. Es folgte eine | |
öffentliche Debatte über verstärkte Abschiebungen dieser sogenannten | |
Dublin-Fälle. | |
Die Ampelkoalition [3][beschloss schließlich eine Regelung], nach der | |
solchen Geflüchteten die staatlichen Leistungen gestrichen werden können, | |
sofern sie auch tatsächlich die Möglichkeit zur Ausreise haben. Sie | |
erhalten noch zwei Wochen verminderte „Überbrückungsleistungen“, danach g… | |
nichts mehr. Auch eine Unterkunft bekommen sie nicht mehr gestellt. | |
Bünger wollte mit ihrer Anfrage herausfinden, wie weit die Bundesregierung | |
dabei geht. Sie erkundigte sich, in welchen Fällen eine im Gesetz | |
vorgesehene Härtefall-Regelung gilt. Das Ergebnis: Als besondere Härte | |
gelte nur, was „nicht für alle vom Leistungsausschluss betroffenen Personen | |
typisch ist“. Das sind nur solche Fälle, bei denen „individuelle | |
Besonderheiten hinzutreten, die über die mit dem reduzierten | |
Leistungsumfang typischerweise verbundenen Härten hinausgehen“. Drohende | |
Obdachlosigkeit ist somit kein Grund, von einem Härtefall auszugehen und | |
die Leistungen fortzuzahlen, weil dies ja alle gleichermaßen betreffen | |
kann. Bünger nennt diese Argumentation „besonders zynisch“. | |
## Bundesregierung erkennt kein Problem | |
Auch wenn die Betroffenen Kinder haben oder sogar selbst minderjährig sind, | |
ist der komplette Leistungsausschluss offenbar möglich. Auch hier greifen | |
laut der Bundesregierung die Sonderregeln erst dann, wenn sie „im | |
Einzelfall aufgrund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen | |
Härte erforderlich sind“. Bünger dazu: „Wer Schutzsuchende, darunter auch | |
Kinder und Familien, bewusst ins Elend stürzt, handelt weder human noch | |
rechtsstaatlich.“ | |
Die Bundesregierung erkennt dagegen keine Probleme. Man gehe davon aus, | |
„dass Betroffene nicht ohne Leistungen in Deutschland verweilen, sondern – | |
gemäß ihrer rechtlichen Verpflichtung – in den für die Durchführung ihres | |
Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat zurückkehren“. Dort würden sie | |
dann die „ihnen entsprechend der Aufnahme-Richtlinie zustehenden Leistungen | |
erhalten“. | |
Es ist dieser Mechanismus, auf den die Bundesregierung setzt, um die | |
Geflüchteten zum Gehen zu bewegen. Bünger glaubt nicht, dass das | |
funktioniert. „Das Gegenteil ist der Fall: Menschen, die vor Krieg und | |
Verfolgung geflohen sind, werden nun durch das Gesetz in die | |
Obdachlosigkeit gedrängt und in völlige Perspektivlosigkeit geschickt.“ | |
Tatsächlich scheinen auch einzelne Landesregierungen Zweifel an der | |
Rechtmäßigkeit der Regelung zu haben. Im Dezember verschickte das in | |
Rheinland-Pfalz zuständige Landesministerium für Familie, Frauen, Kultur | |
und Integration ein Rundschreiben, dass wegen verfassungs- und | |
unionsrechtlicher Bedenken bis zur Ausreise der Betroffenen zumindest immer | |
Überbrückungsleistungen zu gewähren seien. | |
Die Antwort der Bundesregierung auf Büngers Frage zeigt allerdings auch, | |
dass es in Deutschland derzeit nur sehr wenige Geflüchtete gibt, die von | |
dieser Regelung betroffen sein könnten. Von insgesamt lediglich rund 25.000 | |
Dublin-Fällen in ganz Deutschland sind wiederum nur etwa 6.000 | |
ausreisepflichtig. Bei wie vielen davon die für Dublin-Fälle geltende | |
Überstellfrist schon abgelaufen ist, weiß die Bundesregierung nicht. Danach | |
geht die Zuständigkeit für den Asylantrag automatisch auf Deutschland über. | |
19 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Frederik Eikmanns | |
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