| # taz.de -- Behandlung von Geflüchteten: Das letzte Hemd | |
| > Ab März werden Flüchtlinge in einem „Dublin-Zentrum“ in Eisenhüttensta… | |
| > interniert. Die Verantwortung für alle Probleme wird bei ihnen abgeladen. | |
| Bild: Nicht mehr als „Bett und Brot“ (Symbolbild: Flüchtlingsunterkunft in… | |
| Jetzt ist es also soweit: Die Verschärfungen, die die Ampel voriges Jahr | |
| [1][als angebliches „Sicherheitspaket“ beschlossen] hat, werden in die Tat | |
| umgesetzt. Flüchtlinge, die in einem anderen EU-Land registriert wurden, | |
| bevor sie hier Asyl beantragten, bekommen in Brandenburg ab dem 1. März | |
| keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mehr, sondern nur | |
| noch „Bett und Brot“ für zwei Wochen. [2][So lange werden sie in einem | |
| „Dublin-Zentrum“ in Eisenhüttenstadt interniert], bis sie zurückgeschoben | |
| werden können – oder „freiwillig“ nach Polen zurückgehen. | |
| Was die Politik damit erreichen will, ist klar: Die Flüchtlinge sollen weg, | |
| so schnell es geht. Warum sie hier sind, ist völlig egal, ebenso, ob man | |
| sie würdig behandelt, wie es Menschen gegenüber Menschen tun sollten. | |
| Hauptsache weg. Weil hierzulande der politische Diskurs seit dem Anschlag | |
| von Solingen wieder einmal völlig durchgeknallt ist – wie es seit über 30 | |
| Jahren murmeltiertagmäßig immer wieder geschieht. Wieder einmal sind „die“ | |
| Flüchtlinge die Schuldigen, eine Gefahr für „uns“, die man einfach nur | |
| schnell loswerden will. | |
| Vergessen wird dabei, dass es die EU selbst war, die mit ihrem kranken | |
| Dublin-System den ganzen Schlamassel selbst herbeigeführt hat. Wobei | |
| Deutschland eine herausragende Rolle gespielt hat: Es fing damit an, dass | |
| Anfang der 90er Jahre unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) das im | |
| Grundgesetz garantierte Recht auf Asyl faktisch abgeschafft wurde – in | |
| Reaktion auf die wildgewordenen Mobs, vor allem in Ostdeutschland (Rostock, | |
| Hoyerswerda), die seinerzeit mit Pogromen und Morden ihre Meinung zur | |
| Migrationsgesellschaft kundgetan hatten. | |
| Es waren die geistigen Väter jener, die 30 Jahre später als „besorgte | |
| Bürger“ der AfD zuströmen und damit die „bürgerlichen“ Parteien zu imm… | |
| neuen rassistischen Höhenflügen anspornen. Jedenfalls lautet die | |
| Einschränkung des Grundsatzes „Politisch Verfolgte genießen Asyl“ (Art. | |
| 16a, Absatz 1) seither so: „Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus | |
| einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen | |
| Drittstaat einreist …“ | |
| Die Deutschen verschoben also das Problem des Asyls seinerzeit auf ihre | |
| europäischen Nachbarn – und es war der angeblich so europäisch denkende | |
| Birnen-Kanzler, der im sich entwickelnden Dublin-System sodann darauf | |
| drängte, dass die EU-Außenländer für die Aufnahme von Flüchtlingen | |
| zuständig wurden. Was für ein schöner Traum: Deutschland, umgeben von | |
| europäischen Freunden und „sicheren“ Drittstaaten wie der Schweiz, würde | |
| dank „Dublin“ bald gar keine Flüchtlinge mehr aufnehmen müssen! | |
| ## Über den Tisch gezogen | |
| Warum EU-Außenländer wie Italien und Griechenland damals dieser Grundregel | |
| zustimmten, ist heute vergessen – vermutlich hat Deutschland ihnen Geld | |
| geboten oder sie anderweitig mit „Hilfszusagen“ erpresst. Seither dürften | |
| sich die Regierungsschefs dieser Länder wiederholt an den Kopf gegriffen | |
| haben, dass sie sich so über den Tisch hatten ziehen lassen. Und hier liegt | |
| seither das Grundproblem der EU: Was sollen die EU-Außenstaaten bitteschön | |
| machen mit den vielen Flüchtlingen, für die sie nun allein und ganz | |
| offiziell zuständig sind? | |
| Natürlich haben sie Wege entwickelt, mit dem Problem fertig zu werden: | |
| Italien, das ist bekannt, winkt Flüchtlinge, die mit Booten kommen, immer | |
| wieder durch bis an die Grenze zu Österreich. Man hat auch schon gehört, | |
| dass Afrikaner in italienischen Flüchtlingszentren „Fahrtgeld“ bekommen, um | |
| nach Deutschland reisen zu können. | |
| Eine andere Strategie, die in Polen, Bulgarien und Griechenland gefahren | |
| wird: Man macht den Flüchtlingen das Leben so schlecht wie möglich, lässt | |
| sie ohne Geld und Unterstützung, inhaftiert sie, nimmt ihnen alles weg. Das | |
| ist zweifelsohne bösartig und unmenschlich – ein bisschen aber auch | |
| verständlich. Denn warum sollen sich ausgerechnet die Länder am Rand der | |
| EU, die alle nicht die wohlhabendsten sind, um alle Flüchtlinge kümmern, | |
| der reiche EU-Norden dagegen nicht? | |
| Zumal die Flüchtlinge ohnehin lieber in den Norden wollen, wo es Arbeit | |
| gibt – und damit Geld und eine Zukunft. Und wer hat in Afghanistan wohl | |
| schon von Tschechien oder Bulgarien gehört? Natürlich kennt man dort vor | |
| allem „Made in Germany“. | |
| So funktioniert das Dublin-System also auf allen Ebenen nicht: Die | |
| EU-Außenländer wollen es nicht, sondern nur die EU-Länder, die wie | |
| Deutschland davon profitieren würden, wenn es funkionierte. Die Flüchtlinge | |
| wollen es nicht. Und es entspricht auch nicht der wirtschaftlichen Kraft | |
| der EU-Länder. | |
| ## Die Flüchtlinge sind mal wieder schuld | |
| Aber wer soll laut hiesiger Politik nun daran schuld sein, dass „Dublin“ | |
| nicht funktionert? Die Flüchtlinge natürlich, die sich „irregulär“ oder … | |
| „illegal“ nach Deutschland aufmachen, obwohl wir hier doch gar nicht für | |
| sie zuständig sind. Was macht man da? Man behandelt sie auch hier so | |
| schlecht wie möglich, sperrt sie in „Zentren“, gibt ihnen nur ein | |
| Butterbrot und bald nicht mal mehr das. | |
| Warum machen Politiker so etwas? Warum meinen SPD-Politikerinnen wie Nancy | |
| Faeser und Brandenburgs Innenministerin Katrin Lange, dass dies eine gute | |
| Idee ist? Natürlich weil sie glauben, dass ihnen das Wahlvolk die „klare | |
| Kante“ gegenüber Flüchtlingen honorieren wird. | |
| Zu befürchten ist, dass sie sich verrechnen, wie schon so oft, und die | |
| Leute doch lieber dem „Original“ AfD ihre Stimme geben, wenn sie „harte“ | |
| Flüchtlingspolitik wollen. Wobei, letztens Endes ist es wohl egal, wenn die | |
| SPD – oder wie in der Ampel die Grünen – sich nicht zu schade dafür ist, | |
| Flüchtlingen buchstäblich das letzte Hemd zu nehmen. | |
| 22 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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