# taz.de -- CDU verteidigt Treitschkestraße: Der Antisemitismus der Anderen | |
> Die CDU will eine Straße, die nach einem Antisemiten benannt ist, nicht | |
> umbenennen. Antisemitismus juckt die CDU nur, wenn er von den Richtigen | |
> kommt. | |
Bild: In Steglitz-Zehlendorf sind Straßen noch nach Antisemiten benannt | |
Die CDU ist eine Partei, die sich gern als harter Hund im Kampf gegen den | |
Antisemitismus aufspielt. „Wir bekämpfen Judenhass und Antisemitismus, auch | |
israelbezogenen Antisemitismus, mit aller Entschlossenheit – immer und | |
überall“, heißt es etwa im Grundsatzprogramm der CDU. Und weiter: „Wir | |
stehen an der Seite der Jüdinnen und Juden. Wir lassen uns in Deutschland | |
nicht einschüchtern von antisemitischen Gefährdern. Wir kämpfen gegen | |
Gleichgültigkeit, Geschichtsvergessenheit und Relativismus.“ | |
Nun, das mit dem Relativismus ist offenbar eine Auslegungssache. Zumindest | |
für die CDU in Steglitz-Zehlendorf. Dort stellt sich die Partei verbissen | |
gegen die [1][Umbenennung der Steglitzer Treitschkestraße], benannt nach | |
dem Historiker Heinrich von Treitschke (1834-1896), dem Autor der Schrift | |
„Die Juden sind unser Unglück“, das zum Kanon des nationalsozialistischen | |
Antisemitismus gehörte. | |
Gegen [2][den Vorschlag, die Straße nach Betty Katz zu benennen], die das | |
Jüdische Blindenheim in Steglitz leitete und 1944 in Theresienstadt | |
ermordet wurde, hatte die Berliner CDU-Abgeordnete Claudia Wein zuletzt | |
sogar Posteinwürfe verteilen lassen. Darin wird Treitschke als | |
„einflussreicher Historiker und Publizist“ beschrieben, „auch wenn“ des… | |
„Ansichten und Rolle in der Geschichte umstritten“ seien. Der | |
Antisemitismus von Treitschke wird nicht erwähnt. Dafür wird der | |
Straßenname als „historisches Dokument“ bezeichnet, „das die Entwicklung | |
unserer Stadt widerspiegelt“. | |
Das ist schon auf argumentativer Ebene Unsinn. Straßennamen sind eine | |
Würdigung. Antisemit:innen diese Ehre zu nehmen, ist keine | |
Geschichtsvergessenheit. Im Gegenteil: Die CDU relativiert Antisemitismus, | |
wenn sie dafür kämpft, dass Antisemit:innen weiter als Teil des | |
historischen Kanons gelten dürfen. Und wer sagt denn, dass der Antisemit | |
Treitschke wichtiger für die deutsche Geschichte gewesen ist als eine Betty | |
Katz? | |
## Anti-Antisemitismus, wenn es nicht zu anstrengend ist | |
Nun ließe sich schlussfolgern, bei der CDU in Steglitz-Zehlendorf sitzen | |
heimliche Treitschke-Verehrer:innen und Antisemit:innen. Das wäre | |
vermutlich ebenfalls eine zu einfache Erklärung. Den Konservativen dürfte | |
es nicht wirklich darum gehen, die Würdigung eines glühenden Antisemiten zu | |
verteidigen, sondern vielmehr darum, einigen Bewohner:innen der | |
Treitschkestraße zu gefallen, die sich offenbar vor dem bürokratischen | |
Aufwand fürchten, den eine Straßenumbenennung mit sich bringen kann. | |
Also alles halb so schlimm? Nein. Denn die Causa Treitschkestraße spricht | |
trotzdem Bände darüber, was dieser Anti-Antisemitismus genau ist, den man | |
in der CDU und darüber hinaus so pathetisch vor sich herträgt. Allzu | |
belastbar ist er jedenfalls offensichtlich nicht, wenn schon ein bisschen | |
bürokratischer Aufwand als zu viel verlangt gilt, um die öffentliche | |
Würdigung eines Judenhassers zu beenden. Das allein sagt schon viel über | |
die Natur des Kampfes gegen Antisemitismus aus, den sich die Union auf die | |
Fahnen geschrieben hat. | |
Und dann ist da eben noch dieses andere Argument: das der deutschen | |
Geschichte und Tradition. Die zu erhalten, ist den Konservativen naturgemäß | |
wichtig. Und man mag es eben gar nicht, wenn irgendwelche überkorrekten | |
Gutmenschen ankommen, und die schöne deutsche Geschichte und ihre | |
Traditionen besudeln. Kritisches Reflektieren und Aufarbeiten des deutschen | |
Antisemitismus? Bei der CDU in Steglitz-Zehlendorf jedenfalls Fehlanzeige. | |
Das Problem reicht über Steglitz-Zehlendorf hinaus. Es sei nur an die | |
Reaktionen aus der Union auf die Affäre des Freie-Wähler-Chefs Hubert | |
Aiwanger erinnert, der in seinen Schultagen Flugblätter mit | |
Holocaust-Witzen herumtrug. Nicht schön sei das gewesen, aber doch bloß | |
eine „Jugendsünde“, wie Aiwangers Bruder damals sagte. Die Union forderte | |
erst ein wenig Aufklärung, [3][akzeptierte dann hurtig das Narrativ, es sei | |
der Bruder gewesen] – und die CSU koalierte munter weiter mit den Freien | |
Wählern. Aiwanger musste nicht mal seinen Posten räumen. | |
## Quelle deutschen Nationalstolzes | |
Wie passt das zusammen: die Kampfansage an den Judenhass einerseits, das | |
Feste-alle-Augen-Zudrücken im eigenen Lager andererseits? Sinn ergibt das | |
nur, wenn man die These ernst nimmt, dass der Anti-Antisemitismus der CDU | |
in erster Linie überhaupt nicht auf den Schutz jüdischen Lebens bezogen | |
sein könnte, sondern vor allem ein Identifikationsangebot für die Deutschen | |
selbst ist. Anti-Antisemitismus ist in der CDU-Ideologie schließlich eine | |
Quelle deutschen Nationalstolzes, das Fundament eines neuen deutschen | |
Patriotismus – und damit eben in erster Linie etwas, was die Deutschen von | |
den Anderen abgrenzt. | |
So ist der Satz „Wir lassen uns in Deutschland nicht einschüchtern von | |
antisemitischen Gefährdern“ zu verstehen: Da sind die Antisemiten auf den | |
Straßen und in den Schulen und im Internet, aber das sind keine Deutschen, | |
denn Deutsche stehen gegen Antisemitismus zusammen. Dementsprechend darf es | |
auch keinen deutschen Antisemitismus geben. Und wenn sie doch Deutsche | |
sind, die Antisemiten, dann wird entweder kaschiert (bei „Bio“-Deutschen) | |
oder mit Ausbürgerung gedroht (bei Migrationshintergrund). Antisemitismus, | |
das ist immer der Antisemitismus der Anderen. | |
Es ist eine Logik, die letztlich auf die Wiedergutmachungspolitik der | |
Adenauer-Regierung gegenüber dem neu gegründeten Staat Israel zurückreicht | |
und die sich heute im Mantra der „Staatsräson“ und der bedingungslosen | |
Unterstützung Israels zeigt – beides dient vor allem der nationalen | |
Entlastung vom Holocaust, nicht dem Schutz jüdischen Lebens. In dieser | |
Logik können sogar jüdische Menschen Antisemiten sein, weil sie etwa | |
antizionistische Positionen vertreten – und damit das Konstrukt deutscher | |
Selbstentlastung gefährden. | |
Und so wird Anti-Antisemitismus in der CDU zu einem Instrument autoritärer | |
Politik. Antisemitismus wird auf „die Anderen“ ausgelagert, derzeit | |
insbesondere auf das Kollektiv der Palästinenser:innen und alle, die | |
sich mit ihnen solidarisieren. Effektiv schadet dieser Anti-Antisemitismus | |
damit dem wirklichen Kampf gegen den grassierenden Judenhass, den es sowohl | |
unter deutschen Israel-Unterstützer:innen als auch in der | |
Palästina-Bewegung gibt. Aber wenigstens haben die Bewohner:innen der | |
Treitschkestraße einen Behördengang weniger. | |
Es bleibt zu hoffen, dass die Bezirksverordnetenversammlung in | |
Steglitz-Zehlendorf ihren Beschluss, die Straße umzubenennen, auch gegen | |
den Widerstand der CDU durchsetzt. | |
11 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
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