# taz.de -- Ausstellung im Kunsthaus Hamburg: … und hätten wir der Liebe nic… | |
> Zwischen Utopie und Realität: Eine Ausstellung im Kunsthaus Hamburg | |
> hinterfragt das Konzept der „Politics of Love“. | |
Bild: Eine Frage der Perspektive: Blick übers Meer auf fernes Land | |
Hamburg taz | Die Brücken sind eingestürzt. Doch nicht die Carola-Brücke | |
über die Elbe in Dresden, nicht die Autobahnbrücke in Genua oder | |
geschädigte Brücken über den Rhein zeichnet Soyon Jung. Ihre Brückenruinen | |
haben etwas Romantisches, sind erkennbar römisch, gotisch oder aus barocker | |
Zeit – und in Europa wohlbekannt: Es sind die idealisierten Brücken auf den | |
Euro-Scheinen. | |
Doch die Verbindungen sind gestört, wie in der Realität bröckeln die | |
transnationalen Visionen. Es ist durchaus leichter, das Scheitern zu | |
illustrieren, als positive Motive für das große Thema der aktuellen | |
Ausstellung im Hamburger Kunsthaus zu finden: „Politics of Love“. | |
Dass Liebe überhaupt mit gesellschaftspolitischen Aktivitäten in Verbindung | |
gebracht werden soll, ist schon in der Bibel postuliert, aktualisiert wurde | |
es als revolutionäres Format vom [1][US-amerikanischen | |
Literaturwissenschaftler und Aktivisten Michael Hardt 2012] anlässlich der | |
documenta 13. | |
Sein Motto der politischen Liebe steht über der aktuellen, durch ein Tor | |
von küssenden Profilen zu betretenden Hamburger Ausstellung. Die Liebe im | |
Sozialen ist ein langjähriges Lieblingsthema der Kuratorin Belinda Grace | |
Gardner, die zusammen mit Kunsthaus-Chefin Anna Novakdie Schau kuratiert | |
hat. | |
## Visionen von Frieden | |
Als weitere Referenz dient die „Biennale des Friedens“, die vor 40 Jahren | |
im alten Kunsthaus von Robert Filliou und René Block mit Studenten der | |
Hochschule für bildende Künste und wichtiger internationaler Beteiligung | |
realisiert wurde. Damals sollte die [2][anarchistische Energie der | |
Fluxus-Bewegung] zum Bau einer friedlicheren Welt genutzt werden. | |
In der jetzt präsentierten Video-Dokumentation des Eröffnungskonzerts mit | |
Nam June Paik und Henning Christiansen taucht der vom todkranken Joseph | |
Beuys herbeitelefonierte Satz auf: „Bei einem wesensgemäßen Beschreiben des | |
Geschehens zur Befreiung der von der Fähigkeit getragenen Arbeit ist es | |
doch logisch, dass das Tragende zuerst befreit werden muss.“ | |
Diese etwas mystische Sentenz kann so interpretiert werden, dass die | |
kreativen Kräfte erst einmal selbst zu befreien sind, um dann den | |
Freiheitsgedanken weiterzutragen. Dazu sollte – nach Hardt – die liebevolle | |
Toleranz aus der Zweierbeziehung auf die diverse Vielheit der Gesellschaft | |
ausgedehnt werden. Die [3][„Politics of Love“] nehmen das Liebesversprechen | |
intensiver Hinwendung, Neugier und Zuneigung und erweitern es auf | |
kollektiven Zusammenhalt und Gemeinschaftlichkeit. Eine allerdings durchaus | |
schwierige Utopie. | |
Und so geht es in dieser Ausstellung – abgesehen von den durch Mounira Al | |
Solh in Stickerei konkretisierten, höchst unterschiedlichen Liebesbegriffen | |
der arabischen Sprache – immer wieder um persönliche und staatliche | |
Grenzen, ihre Überwindung durch Empathie und Anarchie, Letzteres besonders | |
im großen, weißen „Leaderless“-Banner. | |
Auf zwei Bildschirmen nebeneinander zeigt Francis Alÿs einen Blick über das | |
Meer auf fernes Land: ein Blick, der bei aller Ähnlichkeit mit sehr | |
unterschiedlichen Sehnsüchten besetzt ist, je nachdem, ob man vom | |
marokkanischen Tanger oder vom spanischen Tarifa aus auf die Straße von | |
Gibraltar schaut. Waren zur Zeit von Al Andaluz beide Seiten | |
islamisch-arabisch, so waren seit Karl V. beide Seiten spanisch-europäisch. | |
Heute ist das Meer eine tödliche Grenze. | |
## Der Einzelne ist gefragt | |
Ein skulpturales Zeichen für produktiven Dissens setzt mit einfachen | |
Mitteln Dan Peterman, Künstler, Professor und ökologischer Aktivist aus | |
Chicago. Auf einem Podium stehen zwei Rednerpulte in entgegengesetzter | |
Richtung: Von der gleich hohen Ebene ausgehend, ist sowohl eine Ansprache | |
an ein groß gruppiertes Publikum aus allen Richtungen denkbar als auch die | |
gleichzeitige und gleichwertige Verkündung totaler Gegensätze. | |
Das Doppelpodium wäre dazu so etwas wie eine dialektische Synthese. Es | |
kommt ganz darauf an, wie dieses Kunstobjekt bespielt wird. | |
Es ist der Einzelne, der sich liebevoll einer besseren Gemeinschaft | |
zuwenden muss. Für solche transformativen Momente sorgen ein die | |
Ausstellung rahmendes Mail-Art-Projekt und einige Programmpunkte, wie eine | |
Kochaktion mit Hiwa K. und der neuen Stadtkuratorin Joanna Warsza. | |
Eher von katastrophalen Umständen erzwungen ist der Versuch, die wenigen | |
noch erreichbaren Ressourcen in eine Gemeinschaftsverpflegung zu bündeln: | |
Amna Elhassan weist mit einer Geschirr-Assemblage und Gemälden auf die nur | |
noch solidarisch-kollektiv zu bewältigende Notsituation im Sudan hin. | |
## Liebe als politisches Instrument | |
Leicht kann Liebe, gerade im emotionalisiert Politischen, zu | |
Machtmissbrauch pervertieren. Die Tausende von Augen im raumumarmenden | |
Ornament der Iranerin Parastou Forouhar machen eine aus fehlgeleitetem | |
Schutzversprechen generierte allgegenwärtige Kontrolle deutlich, wie sie | |
aus toxischen Beziehungen in repressive Staatsmacht auswuchert. In | |
Deutschland sei diesbezüglich an den erstaunlichen Satz von DDR-Stasi-Chef | |
[4][Erich Mielke] erinnert: „Ich liebe doch alle Menschen!“ | |
Insgesamt ist „Politics of Love“ in dieser Form eine etwas seltsame | |
Veranstaltung: Die ausgewählte Kunst wird kaum vom groß gemeinten Titel | |
getragen noch trägt sie ihrerseits das Konzept. Sie widerspricht ihm | |
geradezu. Da helfen auch die herbeizitierten Angela Davis, Che Guevara und | |
Picasso nicht. | |
Das zu erkennen, ist vielleicht sogar ein Schritt zum ersehnten Ziel: der | |
utopischen Hoffnung, das mit der Liebe im Sozialen könnte vielleicht doch | |
funktionieren, sind die aufgezeigten Widrigkeiten erst überwunden. | |
Allerdings – das mit der großherzigen Kunst für den Frieden hat bei allem | |
Wohlwollen schon vor 40 Jahren nicht geklappt. | |
19 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Nachruf-auf-Toni-Negri/!5980569 | |
[2] /Fluxuskuenstlerin-Alison-Knowles/!6037945 | |
[3] https://kunsthaushamburg.de/en/politics-of-love/ | |
[4] /Berliner-Ausstellung-von-Andrea-Pichl/!6048732 | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
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