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# taz.de -- Afrikanische Flüchtlinge in Tunesien: Sie haben vom Nötigsten zu …
> Zehntausende Flüchtlinge leben um Sfax in Tunesien ohne Schutz oder
> UN-Hilfe, viele aus Sudan. Jetzt droht ihnen die Abschiebung Richtung
> Algerien.
Bild: Sich selbst überlassen und jederzeit von Räumung bedroht: Geflüchtete …
Sfax taz | Werden die seit Sommer auf Olivenhainen rund um die tunesischen
Hafenstadt Sfax hausenden afrikanischen Migranten vor Jahresende alle nach
Algerien deportiert? Schon das Gerücht sorgte in den neun informellen
Flüchtlingslagern für Panik. Tausende packten über die Weihnachtsfeiertage
ihre Holzlatten und Plastikplanen zusammen und versteckten sich.
Nach Schätzungen westafrikanischer Aktivisten [1][leben um Sfax seit einem
Jahr über 15.000 Menschen im Freien], bis zu 70.000 Migranten und
Flüchtlinge warten in ganz Tunesien auf eine [2][Überfahrt nach Lampedusa]
oder Sizilien.
Weil Hilfswerken der Zugang verweigert wird, grassieren in den an
Flüchtlingslager in Kriegsgebieten erinnernden Zeltstädten
Tropenkrankheiten. Jede Woche gibt es Tote durch Unterernährung oder
medizinische Notfälle.
Ibrahima Fofana, ein 24-jähriger Arzt aus Sierra Leone, betreibt eine Art
Feldkrankenhaus und schildert den Notstand: „Ich bin zusammen mit meinen
vier Krankenschwestern schon mit den vielen Hautkrankheiten und Geburten
völlig überlastet. Wir dürfen nun keine Patienten mehr in lokale
Krankenhäuser bringen. Mit der Räumung kommen viele Knochenbrüche und
Schlagverletzungen dazu.“
## „Sie machten alles dem Erdboden gleich“
Am Mittwoch rückte die Nationalgarde mit Bulldozern am [3][„Kilometer 19“]
an, benannt nach der Entfernung zu Sfax, und zerstörte Zelte. In diesem
Lager leben vor allem [4][Kriegsflüchtlinge aus Sudan]. „Auch an Kilometern
27, 31 und 35 rückten Konvois mit Uniformierten an und machten alles dem
Erdboden gleich“, berichtet Mohamed aus Khartum.
Der 22-Jährige war mit dem Versuch gescheitert, per Boot von Sfax nach
Italien zu gelangen. Nach zwei Stunden auf dem Mittelmeer stoppte eine
Patrouille der tunesischen Küstenwache das Boot. Die 45 Passagiere wurden
zurückgebracht.
„Wir Männer mussten die letzten hundert Meter schwimmen, die Frauen
brachten die Beamten in den Hafen“, sagt der Sudanese, der seinen Nachnamen
nicht veröffentlicht sehen möchte. „Drei von uns starben in dem eiskalten
Wasser.“
Zusammen mit den anderen Überlebenden marschierte er zurück in die
Olivenhaine, wurde aber auf der Landstraße von einer anderen Patrouille
angegriffen und am Kopf verletzt. Nun behandelt Dr. Fofanah eine offene
Platzwunde an Mohameds Hinterkopf. „Wir hatten noch Glück“, sagt der
Sudanese. „Normalerweise werden alle Migranten auf den Straßen zwischen
Sfax und den Fischerdörfern verhaftet und mit Bussen in die Grenzgebiete zu
Libyen oder Algerien gefahren.“
## Medizinische Hilfe offiziell verboten
Fofana und sein Freiwilligenteam behandeln derzeit bis zu 30 Patienten am
Tag. Weil die Behörden es untersagen, Migranten zu behandeln, sind seine
Feldkliniken – ein einfaches Zelt mit drei Räumen, in denen verschmutzte
Matratzen liegen – die einzigen Orte, an denen sie Hilfe finden.
Dank Spenden und der Hilfsbereitschaft mancher Apotheker gelingt es Fofana,
Leben zu retten. Lebensmittel spendet die lokale Bevölkerung, manche
Olivenbauern überlassen den Migranten ihr Bewässerungswasser. „Doch das
Wasser ist so stark mit Bakterien verunreinigt, dass fast alle hier
Hautkrankheiten oder Darmkrankheiten haben“, so Fofana.
Derzeit sinken die Temperaturen in den Lagern fast auf den Gefrierpunkt.
Ein geschwächtes Immunsystem und ständige Unterernährung hat kürzlich einen
engen Freund von Fofana das Leben gekostet. Mohamed Kargbo hatte aus Angst
vor einer Räumung unter einem Olivenbaum im Freien übernachtet und sich
eine schwere Grippe zugezogen.
Wegen Fieberschüben und Schwindel ließ er sich von einem Schmuggler in das
300 Kilometer entfernte Tunis fahren. „Doch in der von Freunden
angemieteten Wohnung starb er an Schwäche“, sagt Ibrahima Fofana.
## In den Bergen an der Grenze liegt Schnee
Sollten Tunesiens Behörden die Schulferien tatsächlich dazu nutzen, die
Migranten in der Wüste an der algerischen Grenze auszusetzen, dürfte es zu
vielen Toten kommen. In Ain Draham und anderen tunesischen Grenzorten liegt
Schnee. Schmugglerringe entführen in dem unwirtlichen Grenzgebiet
Ausgesetzte und erpressen von Angehörigen Lösegeld.
Fofana ist vor allem über die Tatenlosigkeit von [5][UNHCR] und [6][IOM]
empört. Er zeigt einen Schuhkarton mit Medikamenten: der gesamte Vorrat für
neun Flüchtlingslager.
„Ich könnte das Leiden vieler Patienten mit Medikamenten lindern, die es
hier in jeder Apotheke gibt“, sagt er erschöpft. „In vielen
Flüchtlingslagern in Sudan ist die Lage besser.“
27 Dec 2024
## LINKS
[1] /Vertreibung-aus-Sudan/!6039071
[2] /Ehrenamtliche-ueber-Seenotrettung/!6044126
[3] https://www.tiktok.com/discover/sfax-kilometre-19
[4] /Sonderbeilage-Vertreibung-aus-Sudan/!vn6045211/
[5] https://www.unhcr.org/countries/tunisia
[6] https://mena.iom.int/tunisia
## AUTOREN
Mirco Keilberth
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Schwerpunkt Flucht
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