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# taz.de -- Werkschau der provokativen Miriam Cahn: Der Kaiserring an ihrer Han…
> Ihre direkte Kunst verarbeitet Bilder von Gewalt. Sie trifft einen Nerv
> in der Öffentlichkeit. Dafür erhielt Miriam Cahn den Goslarer Kaiserring.
Bild: Blick in die Miriam-Cahn-Ausstellung in Goslar mit Kreidezeichnungen aus …
Man könnte den Titel von Miriam Cahns Gemälde „Fuck Abstraction“ für eine
punkige Ansage gegen den Kunstmarkt halten, vielleicht wie die Jungen
Wilden in den 80ern: Hin zu einer gegenständlichen Malerei, weg von
abgehobenen Farbfeldkompositionen. In einem Interview für den SRF fragte
sich die Künstlerin kürzlich, warum Abstraktion „das Ding war in der Kunst.
Buchstäblich nur Farbe und Formen“, nach dem Zweiten Weltkrieg, besonders
in Deutschland und Frankreich. „Dass da nichts kommt, von dem, was zuvor in
Europa passiert war, von dieser extremen Grausamkeit“.
Doch Miriam Cahns Zeichnungen und Malereien sind weniger eine Kritik am
Kunstbetrieb. Der scheint ihr, der heute 75-Jährigen, die zurückgezogen in
einem Schweizer Alpendorf lebt, eher egal zu sein. Ihre Bilder sind
vielmehr schonungslose Kommentare zu den Geschehnissen auf der Welt, über
Liebe, Sex, Gewalt, Verfolgung und Tod. Sie sind weltweit zu sehen, im
MoMA, Museo Reina Sofia, auf Kunstmessen, und derzeit im Mönchehaus Goslar.
Manchmal werden ihre Bilder zur öffentlichen Herausforderung. Jenes „Fuck
Abstraction“ etwa: Eine muskulöse männliche Gestalt lässt sich darauf von
einer kleinen, der die Hände hinterm Rücken verbunden sind, einen Blowjob
verpassen. Die Figuren erscheinen in Cahns rundlichen Farbaufstrichen
anonym, der Hintergrund ist nur ein einziges Dunkel – „konkret und abstrakt
zugleich“ beschreibt der französische Museumsmann Fabrice Hergott ihre
Darstellungsart. „Fuck Abstraction“ zeigt Vergewaltigung als Kriegswaffe,
es ist Cahns Reaktion auf die Bilder von den russischen Massakern in
Butscha, die 2022 durch die Medien gingen. Als Miriam Cahn das Gemälde 2023
im Pariser Palais de Tokyo ausstellte, empörten sich rechtsgesinnte
Gruppen – Cahn spricht von „Postfaschisten“ – ob solch unschöner Dinge…
Museum, deuteten das Bild als Kinderpornografie, zogen mit diesem Vorwurf
vor Gericht, und verloren. Dennoch wurde es mit Farbe attackiert. Cahn
bestand darauf, das zerstörte Bild hängen zu lassen, nicht zuletzt als
Spiegel der aggressiven gesellschaftlichen Stimmung in Frankreich. Die
sollte dann ja auch bald eine politische Krise im Land auslösen.
## Der mürbe gewordene Kulturbetrieb
Cahns direkte Kunst erregt, ihre klaren Entscheidungen treffen einen
empfindlichen Nerv in der Öffentlichkeit. Auch als sie kürzlich mit dem
Kaiserring Goslar ausgezeichnet wurde, aber nicht zur Verleihung des
renommierten Kunstpreises erschien: Wollte Cahn, deren jüdischer Vater 1933
aus Frankfurt vor den Nazis floh, die noch [1][2022 in ihrer großen
Siegener Ausstellung „Meine Juden“] ein Jüdischsein in Deutschland
ansprach, damit wohl ein politisches Zeichen in einem deutschen
Kulturbetrieb setzen, der seit der documenta 15 und dem 7. Oktober 2023
sein Verhältnis zum Antisemitismus überdenken muss und davon ganz mürbe
geworden ist?
Diesmal schien die betagte Frau einfach nicht mehr reisen zu wollen. An
ihrer Statt schickte sie ein Kunstwerk nach Goslar, eine Abformung ihres
Arms aus Knete. Das rosarote Teil sieht aus wie ein ganzer Schinken. Den
kann man nun sehen im Mönchehaus, auch wie der Kaiserring daran prangt. Ihr
Arm, ihre Faust, ihr Körper sind auch immer wieder Motiv ihrer
feministischen Kunst. Wie auf den menschengroßen
düster-existenzialistischen Kreidezeichnungen aus den 80ern.
Voller subtiler Gewalt ist diese Ausstellung in Goslar. Auch eine frühe,
andere Version von „Fuck Abstraction“ ist zu sehen, da ähneln die Figuren
noch Strichmännchen. Die Titel sind schmerzliche Hinweisgeber: „Mare
Nostrum“ nennt Cahn eine kleine Malerei auf Holzgrund. Darauf wird ein Baby
in die Luft gehalten, es scheint tot zu sein, der Körper schlaff, die Augen
leer, die tragenden Arme verschwinden im Wasser. Das [2][ikonische
Medienbild von dem dreijährigen Alan Kurdi], dessen Familie aus dem
kriegsgebeutelten Syrien 2015 übers Mittelmeer floh und der leblos am
Strand des türkischen Touristenorts Bodrum gefunden wurde, es schwingt da
mit. Die Krisen und Kriege derzeit – Nahost, Ukraine, der neue Faschismus
–, Cahn holt sie aus der Abstraktion.
21 Dec 2024
## LINKS
[1] /Miriam-Cahn-Ausstellung-in-Siegen/!5861121
[2] /Brief-an-das-eigene-Baby/!5912722
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
Politische Kunst
Malerei
Kunst und Abstraktion
Ausstellung
Goslar
Malerei
Türkei
Fluxus
Moderne
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