# taz.de -- Baden trotz Kälte: Plädoyer für den Reset | |
> Manche Leute finden Gefallen daran, im Winter im See zu schwimmen. Unsere | |
> Autorin gehört dazu – und fragt sich, warum eigentlich. | |
Bild: Hände hoch oder ich friere! Denn werden sie kalt, hört der Spaß auf | |
Berlin taz | Was es mir bringen würde, um diese Jahreszeit noch an den See | |
zu gehen, [1][um dort ein Bad zu nehmen], wurde ich von einer Bekannten | |
gefragt, die alleine ob des Gedankens ins Schaudern gerät. „Es ist, wie | |
wenn ich frisch aufgerichtet werde“, antwortete ich. „Es ist ein Reset.“ | |
Vorgestern, gestern, heute habe ich schon auf den Resetknopf gedrückt. Ich | |
bin zum nächsten See gefahren, in meinem Fall ist das der Plötzensee in | |
Berlin, den ich im Sommer meide. Zu überlaufen. Ich zog mich aus, kletterte | |
auf den rutschigen Steinen hinunter an den schmalen Einstieg und wanderte | |
langsam in den See hinein. Früher bin ich ein paar Züge geschwommen, aber | |
einfach im Wasser stehenzubleiben halte ich leichter aus. | |
Seit ich bei anderen gesehen habe, dass es sogar besser ist, beim Rumstehen | |
die Hände auf den Kopf zu legen, mache ich auch das. Denn Hände und Füße | |
sind am schlimmsten. Werden die kalt, hört der Spaß auf. Deshalb gehören | |
neuerdings auch Neoprenfüßlinge zu meinem Outfit. | |
In meiner Vorstellung sollten diese dicht sein; das sind sie jedoch nicht, | |
es läuft Wasser rein. Durch die Körperwärme erwärmt es sich allerdings | |
etwas und puffert so die Kälte des Sees ab. Dann ist es auszuhalten. Bei | |
den Neoprenhandschuhen klappt das nicht. Es läuft ebenfalls Wasser rein, | |
erwärmt sich aber nicht. Zumindest nicht bei mir. | |
## Wo sind die Glückshormone? | |
Meine Ziele sind niedrig gesteckt. Wenn ich so in den See hineingehe, bis | |
mir das Wasser über die Schultern lappt, zähle ich auf sechzig. „Eine | |
Minute muss reichen.“ Da schmerzen die Oberschenkel schon. Andere | |
[2][halten es länger aus]. Drei Minuten. Fünf Minuten. Zehn Minuten. | |
Inklusive Handyfoto. | |
Kaltbaden soll ungeheuer gesund sein, das Leben verlängern, Schmerzen | |
lindern, beim Abnehmen helfen, Zellverklumpungen lösen, böses Fett in gutes | |
Fett umwandeln, das Herz-Kreislauf-System aktivieren und vieles mehr. Und | |
es soll Glückshormone freisetzen. Aber da bin ich mir nicht sicher, gespürt | |
habe ich das bisher jedenfalls nicht. | |
Kaltbaden soll allerdings auch nicht ungefährlich sein. Herzstillstand | |
droht. Das Gehirn unterversorgt mit Blut. Und ja, da ist etwas dran. | |
Neulich ging meine Freundin mit mir ins Wasser und blieb relativ lange | |
drin. Eigentlich schien alles okay, als sie wieder aus dem See stieg. Sie | |
begann sich abzutrocknen. Plötzlich sagte sie, ich solle ihr mit den | |
Füßlingen helfen. Und dann noch: „Warum habe ich die überhaupt an?“ Erst | |
dachte ich, sie macht Witze. Dem war aber nicht so. „Weil du gerade im See | |
warst“, antwortete ich. „Echt jetzt?“, fragte sie. Sie, deren Blutdruck | |
notorisch niedrig ist, hatte einen Blackout. Erst als sie wieder angezogen | |
war, ging es ihr besser. Seither war sie nicht mehr im See. | |
## Der Pullover als Glück | |
Auch ich habe gemerkt, dass die Sache nicht so einfach ist, als ich noch | |
ohne Füßlinge geschwommen bin. Selbst wenn es nur zehn Züge rein in den See | |
waren; beim Zurückschwimmen wurde ich schon ganz langsam. Mein Atem | |
stockte. Da war ein Moment von Bedrohung. „Warum tue ich mir das an?“, | |
brülle ich. | |
Das An- und Ausziehen ist mit Abstand der nervigste Teil der Geschichte. | |
Für eine Minute sich aus all den Lagen Kleidung schälen und sie nachher | |
schnellstmöglich wieder anzulegen. Aber der für mich mit Abstand schönste | |
Moment ist der, wenn ich dann die Wolle meines Pullovers wieder auf meiner | |
Haut spüre und sich der Körper erwärmt. Ob das das Glück ist? | |
Herrscht draußen schlimmes Wetter, quäle ich mich mitunter, ob ich an den | |
See gehen soll oder doch lieber nicht. Das jedoch ist noch viel schlimmer. | |
Denn dann verbringe ich den Tag damit, mir zu überlegen, ob es nicht schön | |
wäre, sich trotz des widrigen Wetters im Freien ein Bad zu gönnen. Das | |
mache ich so lange, bis es dunkel ist und ich im rumpeligen Modus, der | |
durch einen Reset aufgerichtet worden wäre, weiterexistiere. | |
26 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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