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# taz.de -- Joggen in der kalten Jahreszeit: Vom Winterschlaf zum Winterrun
> Früher redete sich unsere Autorin gerne raus. Heute weiß sie: Joggen geht
> auch in der Kälte – solange man ein paar Dinge beachtet.
Bild: Das sind sie wohl, die Endorphine, von denen die Sportskanonen aus meinem…
Kühle Luft schneidet mein Gesicht, als ich die Haustür hinter mir ins
Schloss ziehe. Ich schaue nach oben und muss meine Augen zusammenkneifen.
Keine einzige Wolke hängt an diesem ein Grad kalten Februarsonntag über
Berlin, die Sonne strahlt mir mit voller Wucht ins Gesicht. Ein Phänomen,
das mich sonst zum Strahlen bringt. Doch meine Mundwinkel bleiben dort, wo
sie sind. Schon beim Aufstehen wusste ich, dass es heute keine Ausreden
mehr gibt. Heute gehe ich laufen.
Von meiner eigenen Disziplin überrascht schließe ich die Jacke etwas höher.
Drei Monate und fünf Tage ist es her, seit ich das letzte Mal joggen war.
Das sagt mir meine Laufapp, die mich mit Flammen-Emojis willkommen heißt.
Im Winter laufen gehen? Zu gefährlich, redete ich mir immer ein. Was bei
Kälte alles passieren kann! Lungenentzündung, Kreislaufprobleme,
Frostzehen. Ein Winterschlaf ist da doch die deutlich gesündere
Alternative. Laufen würde ich erst wieder, wenn es wärmer ist.
Krank im Bett liegend stieß ich dann auf einen Artikel meiner Krankenkasse,
die das Gegenteil behauptet. Wer im Winter regelmäßig draußen Sport treibt,
lebt besonders gesund, [1][heißt es dort].
„Moderates Ausdauertraining im Winter kann das [2][Immunsystem stärken] und
einen schützenden Effekt gegen Erkältungen haben“, bestätigt Jonas Zacher,
Sportmediziner an der Sporthochschule Köln. Die Erklärung: Durch die
Bewegung im Freien werden zum Beispiel sogenannte [3][Zytokine
ausgeschüttet], also Botenstoffe, die bestimmte Abwehrzellen im Körper
beeinflussen und somit die Immunantwort fördern.
## Es hilft, durch die Nase zu atmen
Dieser positive Effekt trete allerdings nur ein, wenn die Bedingungen
stimmen und der Körper nicht überlastet wird. „Wenn man als unerfahrener
Jogger bei Minusgraden so schnell wie möglich um den See läuft, kann es zu
akuten Problemen der Atemwege und des Immunsystems kommen“, warnt Zacher.
Denn kalte Luft trockne die warmen feuchten Schleimhäute schnell aus, was
die Barriere gegen Infektionen schwächt.
Um dem entgegenzuwirken, empfiehlt Zacher, bei sehr kalten Temperaturen
möglichst durch die Nase zu atmen oder sich ein Tuch locker vor den Mund zu
binden. So wird die Luft erwärmt, bevor sie in die Lunge kommt. Um
exponierte Körperteile wie Ohren oder Fingerspitzen vor
Durchblutungsstörungen zu schützen, ist Funktionskleidung essenziell.
Hilfreich sei etwa eine dünne Mütze, die man bei Bedarf in die Jackentasche
stecken kann.
Meine Ausrüstung ist in ihrer Funktionalität deutlich ausbaufähig, das
wird mir schon nach weniger als einem Kilometer bewusst. Ich habe meine
Mütze vergessen und spüre einen stechenden Schmerz in meinen Ohren. Mein
Oberteil aus Wolle bringt mich dermaßen ins Schwitzen, dass ich das
Halstuch abnehmen und mir Schweißperlen von der Stirn wischen muss. Ich
verlangsame mein Tempo.
„Kalte Luft und schnelles Laufen können negative Auswirkungen auf die
Muskulatur und das muskuläre Nervensystem haben. Ein langsames Anlaufen
hilft, sich besser auf sich und die Bedingungen einzustellen“, erklärt
Jonas Zacher. Um als Laufanfänger die Grundlagenausdauer zu trainieren und
die Fettverbrennung anzukurbeln, sei regelmäßiges Training wichtiger als
besonders intensives. Zachers Empfehlung ist das „Laufen ohne zu
schnaufen“: Sobald man sich nicht mehr in ganzen Sätzen unterhalten kann,
laufe man für diese Trainingsziele zu schnell, so der Mediziner.
Lauftreffs sind nichts für mich, also unterhalte ich mich mit Audio88, der
mir ins Ohr rappt: „Weshalb ich Menschen nicht mag? Weil sie dazu bereit
sind, für Camp-David-Hemden zu bezahl’n.“ Ich bin etwas außer Atem, aber
steige ein: „Und dann redet ihr von Stolz, aber meint damit nur Goethe,
aber niemals Sachsenhausen.“ Ich atme tief ein und stoßweise durch den Mund
aus. Die Sonne wärmt meine Haut, ich muss lachen und schließe für einen
kurzen Moment die Augen.
Das sind sie wohl, die Endorphine, von denen die Sportskanonen aus meinem
Freundeskreis immer sprechen. Sie werden unter anderem bei Bewegung vom
Gehirn ausgeschüttet, bestätigt Jonas Zacher, und sorgen für ein Wohlgefühl
im ganzen Körper. Vielleicht ist es gerade der Kontrast zum warmen,
gemütlichen Bett, der mich dieses Gefühl plötzlich auch spüren lässt. Bei
Temperaturen um den Gefrierpunkt wird die Joggingrunde für mich zum
belebenden Abenteuer. Ich muss aufpassen, wie ich atme, was ich anziehe,
und kann danach sagen: Ich habe überlebt!
27 Feb 2025
## LINKS
[1] https://www.aok.de/pk/magazin/aus-der-region/baden-wuerttemberg/outdoor-spo…
[2] https://journals.physiology.org/doi/full/10.1152/japplphysiol.00622.2016%20
[3] https://journals.physiology.org/doi/full/10.1152/japplphysiol.01218.2004
## AUTOREN
Katharina Federl
## TAGS
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Gesundheit
Kälte
Winter
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Baden
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