# taz.de -- Verbandspräsidentin über Winterschwimmen: „Ein magisches Gefüh… | |
> Im argentinischen Gletscherwasser findet dieses Jahr der | |
> Winterschwimm-Weltcup statt. Ein Gespräch darüber, warum Menschen ins | |
> eisige Wasser springen. | |
Bild: Teilnehmer beim Winterschwimm-Weltcup in Patagonien, die Wassertemperatur… | |
taz: Frau Yrjö-Koskinen, Sie sind eigens aus Finnland zum | |
[1][Winterschwimm-Weltcup am Perito-Moreno-Gletscher] im argentinischen | |
Patagonien angereist. Die Wassertemperatur liegt zwischen 2 und 3 Grad | |
Celsius. Gerade sind Sie die 50-Meter-Strecke geschwommen. Wie war das? | |
Mariia Yrjö-Koskinen: Sehr gut, aber ich war ziemlich nervös. Denn die 50 | |
Meter sind für mich eine lange Strecke, da ich bei Wettkämpfen in kaltem | |
Wasser selten längere Strecken schwimme. Dazu kommt, dass wir in Finnland | |
einen unglaublich heißen Sommer haben. Die Wassertemperatur auf meiner | |
Trainingsstrecke betrug 21 Grad, bei einer Lufttemperatur von 26 Grad. Von | |
diesen Temperaturen in den patagonischen Winter zu kommen, war etwas | |
beunruhigend. Aber ich habe mich im Wasser dann stark gefühlt, und das | |
Schwimmen im prickelnden, milchig-kalten Gletscherwasser ist eines der | |
schönsten Dinge, die es gibt. | |
taz: Wie sind Sie zum Winterschwimmen gekommen? | |
Yrjö-Koskinen: In Finnland hat jeder einen Bezug zu Kalt- oder Eiswasser. | |
Es ist einfach ein Teil der finnischen Kultur. Mein Vater hat Löcher in das | |
Eis des Sees vor unserem Haus geschlagen, und wir sind nach der Sauna immer | |
hineingegangen. Deshalb bin ich auch sehr froh, dass auch meine vier Kinder | |
Winterschwimmen betreiben. Bei mir war es so, dass mich ein Freund vor über | |
25 Jahren zum Winterschwimmen überredet hat. Und es hat mir nicht nur Spaß | |
gemacht, sondern ich habe auch Leute getroffen, die ich aus der Schule und | |
meiner Jugend kannte. Also bin ich dabeigeblieben. | |
taz: Es soll ja auch gut für die Gesundheit sein. | |
Yrjö-Koskinen: Ja, Kaltwasserschwimmen ist nicht nur gut für den Körper, | |
sondern vor allem für die geistige und psychische Gesundheit. Ich habe | |
immer noch jedes Mal diese Stimme im Kopf, die mir sagt, dass ich nicht in | |
dieses kalte Wasser gehen soll. Und jedes Mal, wenn ich sie überwinde, löst | |
es dieses [2][magische Ich-hab’s-geschafft-Gefühl] aus. Und ein Tipp für | |
alle Frauen: Kaltwasserschwimmen ist extrem gut für eine straffe und | |
geschmeidige Haut. Es lässt einen viel jünger aussehen. Niemand glaubt mir, | |
wenn ich sage, dass ich bald 62 Jahre alt sein werde. | |
taz: Sie sind aber nicht nur eine aktive Winterschwimmerin, sondern auch | |
Präsidentin der International Winter Swimming Association (IWSA). Wie kam | |
es dazu? | |
Yrjö-Koskinen: Winterschwimmen war für mich zuerst einfach nur Fun, bis ich | |
Ende der 1990er Jahre eine Anzeige für die Organisation eines | |
Winterschwimmwettbewerbs sah. Und da ich jemand bin, der sich gern | |
engagiert, habe ich mitgemacht. Kleinere Winterschwimmwettkämpfe werden in | |
Finnland seit den 1980er Jahren veranstaltet. Aber so richtig los ging es | |
erst 2006, als wir im Norden Finnlands eine Winterschwimmweltmeisterschaft | |
organisierten und Teilnehmer aus der ganzen Welt einluden. Im selben Jahr | |
haben wir den internationalen Winterschwimmverband IWSA gegründet, und da | |
mich noch niemand herausgefordert hat, bin ich nicht nur Gründungsmitglied, | |
sondern auch die Präsidentin. Allerdings haben wir ein tolles Direktorium, | |
und alle zwei Jahre organisieren wir eine Weltmeisterschaft. An der WM 2014 | |
in Rovaniemi, der Heimatstadt von Santa Claus, nahmen über 1.200 Schwimmer | |
teil. | |
taz: Mit Ausnahme der Weltmeisterschaft 2016 in der sibirischen Stadt | |
Tjumen fanden sie jedoch bisher alle in Europa statt. | |
Yrjö-Koskinen: Der [3][Weltcup in Argentinien] ist derzeit das einzige | |
große Winterschwimmereignis außerhalb Europas. Die Weltlage hat das so | |
gewollt. 2022 wollten wir die WM in China veranstalten. Aber dann kam die | |
Coronapandemie, und alles musste abgesagt werden. Für 2024 hatten wir die | |
WM an das russische Petrosawodsk vergeben. Ich erinnere mich noch genau an | |
den Moment, als wir die Nachricht vom Beginn des Kriegs in der Ukraine | |
erhielten und klar wurde, dass auch hier alles abgesagt werden musste. | |
taz: Auch russische Schwimmer nehmen an den Wettkämpfen teil. Gab es eine | |
Diskussion über deren Ausschluss? | |
Yrjö-Koskinen: Ja, die gab es. Aber letztlich halten wir uns an die Regeln | |
und Vorschriften des internationalen Schwimmverbands World Aquatics, | |
vormals FINA. Und da gibt keinen Ausschluss von russischen Schwimmern. Die | |
Weltmeisterschaft hatten wir nach Tallinn verlegt, an der im März über | |
1.500 Schwimmer teilnahmen. Worauf ich mich aber schon jetzt besonders | |
freue ist die Winterschwimmweltmeisterschaft zu unserem 20-jährigen | |
Jubiläum im Jahr 2026 in meiner Heimatstadt Oulu. | |
taz: Aber die Weltcups sind eine Nummer kleiner? | |
Yrjö-Koskinen: Ja, hier in El Calafate gibt es etwa 150 Schwimmer, aber | |
immerhin aus 14 Ländern. Wir haben die Weltcup-Serie vor sechs Jahren | |
begonnen. Zuvor haben wir auch unsere Kategorien für die Wassertemperatur | |
neu definiert. Wir haben jetzt die Kategorien Eiswasser, Kaltwasser und | |
Normalwasser. Das ermöglicht es uns, die einzelnen Weltcups an kleineren | |
Orten zu veranstalten. Letztes Jahr haben zum ersten Mal einen Weltcup in | |
Marokko gemacht, obgleich die Wassertemperatur nicht unter den für eine | |
Weltmeisterschaft erforderlichen 5 Grad lag. | |
taz: Das Winterschwimmen beim Perito-Moreno-Gletscher ist zugleich der | |
Auftakt der diesjährigen Weltcup-Serie. | |
Yrjö-Koskinen: Der Start in Patagonien ist etwas ganz Besonderes. Es ist | |
fantastisch, dass hier Winter ist und wir so unseren Sport das ganze Jahr | |
über ausüben können. Insgesamt wird es vier Weltcups geben. Neben dem in | |
Argentinien wird es einen in Schweden und einen in Polen geben, und wir | |
versuchen, einen weiteren in Marokko zu organisieren. | |
taz: Warum ist es der einzige Winterschwimm-Weltcup auf den amerikanischen | |
Kontinenten? | |
Yrjö-Koskinen: In Vermont in den USA gibt es einen kleinen | |
Winterschwimmwettbewerb. Aber für die Durchführung eines Weltcups erfordert | |
es auch die Begeisterung und das Engagement der Menschen vor Ort, zumal | |
fast alles auf ehrenamtlicher Basis organisiert und umgesetzt wird. Dazu | |
müssen Sponsoren kommen, und, was sehr wichtig ist, die Unterstützung der | |
lokalen Behörden und Regierungen, sprich des Bürgermeisters und des | |
Provinzgouverneurs. Kleinere und abgelegenere Orte verfügen meist nicht | |
über die notwendigen Infrastruktur für Anreise, Unterkunft und | |
Versorgungseinrichtungen. Hier in El Calafate ist das alles vorhanden. Die | |
ganze Stadt ist für diese Veranstaltung, zumal sie außerhalb der | |
touristischen Hochsaison stattfindet. Hotels, Restaurants und Souvenirläden | |
haben alle geöffnet. Und von hier aus machen wir uns auf den Weg zu den | |
Wettkämpfen am Gletscher. Und Gletscherwasser ist immer kalt. | |
taz: Die Wettkämpfe finden jedoch im Gletscher-Naturschutzpark statt, der | |
noch dazu zum Weltkulturerbe der Menschheit gehört. Normalerweise werden | |
solche Events nicht in Naturschutzgebieten ausgetragen. Gab es keine | |
Vorbehalte? | |
Yrjö-Koskinen: Winterschwimmen ist eine der umweltfreundlichsten | |
Sportarten. Wir brauchen nur Badeanzüge, Badekappen und Schwimmbrillen. | |
Außerdem befinden wir uns an einem touristischen Hotspot, an dem jedes Jahr | |
Tausende von Menschen auf den Metallstegen und Aussichtsplattformen entlang | |
des Perito-Moreno-Gletschers laufen oder Trekkingtouren auf dem Gletscher | |
machen. Wir dringen also mit dem Winterschwimmen nicht in eine unberührte | |
Natur ein. Deshalb gibt es zwar kaum Kritik, aber es gibt strenge Auflagen | |
der Nationalparkverwaltung, die wir erfüllen müssen. Eine ist | |
beispielsweise, dass alle Badeutensilien desinfiziert sein müssen. | |
taz: Wie viele Kaltwasserschwimmer gibt es? | |
Yrjö-Koskinen: Ich kann nicht sagen, wie viele es weltweit gibt. Im | |
Vereinigten Königreich gibt es eine große Gemeinschaft von | |
Kaltwasserschwimmern, die schon seit Jahrzehnten besteht. In China weiß | |
man, dass es das Winterschwimmen schon seit über 1.000 Jahren gibt. | |
Unbestritten ist auf jeden Fall, dass die Coronaviruspandemie einen | |
regelrechten Boom ausgelöst hat. Nachdem alle Indoor-Sportstätten schließen | |
mussten, entdeckten plötzlich viele Menschen den See um die Ecke und gingen | |
dort schwimmen. Allein in Finnland hat sich die Zahl der | |
Kaltwasserschwimmer auf eine halbe Million mehr als verdoppelt. Damals gab | |
es einen recht populären Werbespot mit einem Briefträger, der sich beim | |
Austragen der Post schnell mal auszog, in das kalte Wasser eines Sees | |
springt, eine Runde schwimmt und dann weiter die Briefe austrägt. | |
taz: Und wann wird Winterschwimmen zu einer olympischen Sportart? | |
Yrjö-Koskinen: Neben der International Winter Swimming Association gibt es | |
die International Ice Swimming Association (IISA), die 2008 in Südafrika | |
gegründet wurde. Die ist stärker auf Wettkämpfe ausgerichtet, hat strengere | |
Regeln, und wer an deren Meisterschaften teilnehmen will, muss sich | |
qualifizieren. Möglich, dass sich dieser Internationale Eisschwimmverband | |
einmal um eine Zulassung bei den Olympischen Winterspielen bemüht. Nach | |
einer gründlichen Debatte sind wir davon abgekommen. Unsere Wettkämpfe sind | |
für alle offen. Wie haben 15 Altersklassen und 17 Schwimmdisziplinen, es | |
ist also für jeden etwas dabei. Wenn wir einem jungen Mädchen oder einem | |
über 90-Jährigen eine Medaille überreichen können, dann ist das wunderbar. | |
Wir wollen einfach die große internationale Winterschwimmfamilie | |
zusammenbringen. | |
16 Aug 2024 | |
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Jürgen Vogt | |
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