# taz.de -- Türkei und Israel nach Assad-Sturz: Begehrlichkeiten von Norden un… | |
> Israel und die Türkei nutzen die Übergangszeit in Syrien, um ihr eigenes | |
> Staatsgebiet zu schützen – oder sogar zu erweitern. | |
Bild: Das Gesicht des Nahen Ostens verändern: Israel weitet seine Pufferzone a… | |
Jerusalem/Istanbul taz | Israel hat seine Angriffe im Nachbarland Syrien am | |
Dienstag fortgesetzt. Explosionen erschütterten die Hauptstadt Damaskus. Im | |
Militärhafen von Latakia wurden Kriegsschiffe der syrischen Marine | |
zerstört. Nach Angaben des israelischen Militärs und Offizieren der | |
besiegten syrischen Armee sollen dabei Waffenbestände und Armeebasen | |
zerstört worden sein. Israel teilte mit, deren Übernahme durch Milizen | |
verhindern zu wollen. | |
Auch in Jerusalem war man von dem plötzlichen [1][Fall des Regimes in | |
Damaskus zunächst überrascht] worden. Nun soll militärisch möglichst viel | |
aus der Übergangsperiode herausgeholt werden, während die siegreiche | |
Rebellenallianz mit einer geordneten Machtübergabe beschäftigt ist. Dazu | |
zählt laut Israel die Vernichtung von Chemiewaffeneinrichtungen und | |
Raketen, aber offenbar auch die Einnahme syrischen Gebietes in der seit | |
1974 demilitarisierten Pufferzone zwischen den beiden Ländern und darüber | |
hinaus. Verteidigungsminister Israel Katz sprach von einer „sterilen | |
Verteidigungszone“ im Süden Syriens. | |
Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete unter Berufung auf eine syrische | |
Quelle am Dienstag, dass israelische Panzer bis zum Ort Qatana 25 Kilometer | |
vor Damaskus vorgerückt seien. Die israelische Armee dementierte das, | |
teilte aber mit, neben der Pufferzone „mehrere andere strategisch relevante | |
Orte“ einzunehmen. Israelische Soldaten besetzten unter anderem die | |
syrische Seite des Hermon-Berges. Das Massiv ist mit 2.814 Metern der | |
höchste Punkt in der Region und strategisch bedeutend. Der Gipfel liegt | |
etwa 50 Kilometer von Damaskus entfernt zwischen Syrien, dem Libanon und | |
den israelisch besetzten Golanhöhen. | |
Am Montagabend hatte Netanjahu angekündigt, Israel sei dabei, „das Gesicht | |
des Nahen Ostens zu verändern“. Tatsächlich wäre der Erfolg der syrischen | |
Rebellen ohne die massive Schwächung der libanesischen Hisbollah-Miliz | |
durch den Krieg mit Israel kaum möglich gewesen. Deren Kämpfer hatten das | |
Assad-Regime seit Jahren gestützt. | |
## Ein Name, der Angst macht | |
Dennoch ist offen, was eine möglicherweise islamistisch dominierte neue | |
Regierung in Damaskus für Israel bedeuten könnte. Bereits der Kampfname des | |
wichtigsten [2][Rebellenführers Ahmad Hussein asch-Schara, genannt | |
al-Jolani], verweist auf seine Herkunft von den Golanhöhen und lässt | |
künftige Konflikte erahnen. | |
Israel hatte die syrischen Golanhöhen 1967 erobert und 1981 | |
völkerrechtswidrig annektiert. Der Golan werde „auf ewig“ zu Israel | |
gehören, bekräftigte Netanjahu am Montag. Bedrohungen an der Grenze werde | |
er nicht akzeptieren. Die Einnahme syrischen Staatsgebietes nannte er eine | |
vorübergehende Maßnahme, doch „vorübergehend“ war im Nahostkonflikt schon | |
immer ein dehnbarer Begriff. | |
Jahrzehntelang galt die Besetzung des Westjordanlandes als vorübergehend, | |
heute leben dort rund 700.000 israelische Siedler. Zudem ist noch nicht | |
absehbar, wann die Lage in Syrien wieder berechenbar wird. Vertreter der an | |
der Regierung beteiligten rechtsreligiösen Siedlerbewegung haben bereits | |
ihre Unterstützung für eine neue Pufferzone auf syrischer Seite | |
signalisiert. | |
International wurde das israelische Vorgehen scharf kritisiert, unter | |
anderem von den Vereinten Nationen, Katar und Saudi-Arabien. Ändern dürfte | |
dies kaum etwas. Diplomatischer Druck hat in dem seit 14 Monaten dauernden | |
Gaza-Krieg wenig mehr bewirkt, als dass sich die israelische Führung | |
zunehmend abgeschottet hat. Zudem dürften nicht wenige in der Regierung die | |
Kontrolle über syrisches Gebiet als willkommene Verhandlungsmasse in der | |
von Netanjahu angekündigten künftigen „guten Nachbarschaft“ betrachten. | |
## Erdoğan, das Unschuldslamm | |
Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat in einer Rede vor der | |
AKP-Fraktion im Parlament Israels Vorgehen scharf. verurteilt. Israel | |
verletzte die bestehende Waffenstillstandslinie mit Syrien und habe | |
offenbar vor, syrisches Territorium zu besetzen. Im Gegensatz dazu strebe | |
die Türkei keine Ausweitung ihres Staatsgebietes nach Syrien an, | |
versicherte Erdoğan. „Wir haben kein Auge auf das Gebiet eines anderen | |
Landes geworfen“, sagte er. „Das Ziel unserer grenzüberschreitenden | |
Militäreinsätze ist es lediglich, uns vor Terroranschlägen zu schützen.“ | |
Bereits am Montag hatten türkische Fernsehsender gemeldet, dass die von der | |
Türkei unterstützte „Syrische Nationale Armee“ (SNA) den strategisch | |
wichtigen Ort Manbidsch in Nordsyrien eingenommen habe. Am Dienstag wurde | |
das von der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte aus London | |
bestätigt. Nach schweren Gefechten eroberten protürkische Milizen den | |
70.000 Einwohner Ort Manbidsch. Die kurdischen YPG-Milizen zogen sich aus | |
der Stadt zurück. | |
Nach Angaben eines Sprechers der kurdischen Selbstverwaltung in | |
Nordostsyrien, würde die SNA-Miliz jetzt nachsetzen und versuchen eine | |
Brücke über den Euphrat einzunehmen, von wo aus sie weiter auf die | |
kurdische Stadt Kobane marschieren könnte. Die SNA würde aus der Luft von | |
der türkischen Armee unterstützt. Kampfflugzeuge hätten mehrfach Kobane | |
bombardiert. | |
Manbidsch war die größte Stadt, die die kurdische YPG Miliz noch westlich | |
des Euphrats kontrolliert hat. Seit Jahren hatte die türkische Armee und | |
ihre verbündeten syrischen Milizen versucht, die von Kurden westlich des | |
Euphrats kontrollierten Orte Tal Rifaat und Manbidsch zu erobern. Nach der | |
Eroberung von Aleppo durch die HTS-Miliz flohen zunächst viele Kurden in | |
Richtung östlich des Euphrats, so dass es der SNA-Miliz schnell gelang, Tal | |
Rifaat einzunehmen – und nun auch Manbidsch. | |
## Auch die Türkei will Puffer | |
Manbidsch war über Jahre der wichtigste Brückenkopf der kurdischen YPG | |
Miliz auf der westlichen Seite des Euphrats. Ursprünglich wollten die | |
Kurden von Manbidsch eine Verbindung zur westlichsten kurdischen Enklave | |
Afrin herstelle. Nachdem die [3][türkische Armee 2018 in Afrin] | |
einmarschiert war und praktisch die gesamte kurdische Bevölkerung | |
vertrieben hatte, blieben nur noch ein paar kurdische Stadtteile in Aleppo | |
und die Orte Tal Rifaat und Manbidsch. Erdoğan hat die Situation des | |
Vormarschs der HTS nun erfolgreich genutzt, um alle kurdischen Siedlungen | |
westlich des Euphrats einzunehmen. | |
Damit ist ein wichtiger Schritt, für das erklärte Ziel der türkischen | |
Regierung erreicht, entlang der syrischen Grenze eine Pufferzone zur | |
autonomen Zone der syrischen Kurden einzurichten. Ankara hält die syrische | |
YPG-Miliz für einen Ableger der türkisch-kurdischen PKK, die vom Nordirak | |
und Nordsyrien aus für einen unabhängigen kurdischen Staat kämpft. | |
Da im Nordirak in der kurdischen Autonomiezone die Barsani-Regierung eng | |
mit der türkischen Regierung kooperiert und es selbst gerne sehen würde, | |
wenn die PKK ihr Territorium verlassen würde, befürchtet die türkische | |
Regierung, dass in Nordostsyrien ein so genannter „PKK-Staat“ entstehen | |
könnte, was sie unbedingt verhindern will. Auch östlich des Euphrats hat | |
die Türkei bereits einen Grenzstreifen besetzt. Ziel ist es jetzt, die | |
gesamte Strecke entlang der Grenze bis zum Nordirak als 30 Kilometer tiefe | |
Pufferzone zu errichten. | |
10 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /!6055198/ | |
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[3] /Tuerkischer-Einmarsch-in-Afrin/!5477366 | |
## AUTOREN | |
Felix Wellisch | |
Jürgen Gottschlich | |
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