# taz.de -- Privilegierte Privatjets und die EU: Wer sein Flugzeug liebt, fliegt | |
> Privatjets wurden von EU-Reformen zur Dekarbonisierung teils verschont. | |
> Nicht zuletzt dank grüner Versprechen – und intensiver Lobbyarbeit in | |
> Brüssel. | |
Bild: Steuerprivilegien heben ab: Grenzenlose Freiheit über den Wolken haben d… | |
Wegen Farbattacken auf einen Privatjet und einen Golfplatz auf Sylt sind am | |
Freitag [1][sechs Mitglieder der Klimagruppe „Letzte Generation“ verurteilt | |
worden]. In London haben Aktivisten von „Just Stop Oil“ jüngst zwei | |
Privatflugzeuge orangefarben bemalt. Weltweit wächst der Unmut gegen ein | |
Verkehrsmittel, das nur eine kleine Minderheit nutzt, das aber | |
vergleichsweise großen ökologischen Schaden anrichtet. Doch eine Trendwende | |
ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. | |
Der CO2-Ausstoß durch Privatflüge ist laut einer Studie zwischen 2019 und | |
2023 [2][um nahezu 50 Prozent angestiegen]. Die meisten Privatjets heben | |
demnach in den USA ab, gefolgt von Europa. In Brüssel kann die Industrie | |
auf einflussreiche Verbündete bauen, wie Recherchen der taz und ihrer | |
Partnermedien zeigen. In den Hauptrollen: ein einflussreicher Vielflieger | |
in leitender Position bei der EU-Kommission, ein vom Lobbyverband | |
prämierter konservativer EU-Abgeordneter und ein Seitenwechsler von der | |
FDP. Doch der Reihe nach. | |
Mehrfach berichtete die taz über die Vielfliegerei der EU-Kommission, | |
[3][insbesondere ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen]. Der „Einsatz von | |
Lufttaxis“ werde „von Fall zu Fall nach strengen Kriterien“ getroffen, | |
stellt man dort auf Anfrage noch einmal klar. Doch auch andere stoßen beim | |
Thema Privatfliegerei bei der EU-Kommission auf taube Ohren. Eindringlich | |
hatten mehrere EU-Staaten, darunter Frankreich, die Niederlande und | |
Österreich, schon im vorigen Jahr dafür plädiert, Flüge mit Privatjets | |
europaweit zu besteuern und stärker zu regulieren. Die damalige | |
Verkehrskommissarin Adina Vălean war dagegen und erklärte, dass sie lieber | |
die Luftfahrt als Ganzes in den Blick nehmen wolle. | |
In den vergangenen Jahren hat Brüssel in der Tat zaghafte Versuche | |
unternommen, die CO2-Bilanz der gesamten Luftfahrt zu begrenzen, etwa durch | |
die schrittweise Einführung von SAF (sustainable aviation fuel), also | |
sogenannten nachhaltigen Flugkraftstoffen, oder durch die Verpflichtung der | |
Fluggesellschaften, ab 2026 für ihre [4][CO2-Emissionen bei | |
innereuropäischen Flügen zu bezahlen]. Ein EU-Bürger wird deshalb | |
schrittweise künftig mehr für sein Flugticket ausgeben müssen. | |
## Nur das Volk zahlt drauf, Reiche nicht | |
Wer mit seinem Privatjet abhebt, ist von diesen Maßnahmen jedoch nicht in | |
gleicher Weise betroffen. Was das Flugzeugkerosin betrifft, das nur von | |
Privajets getankt wird, so wird es in der Europäischen Union noch immer | |
nicht besteuert. Die angestrebte Überarbeitung der | |
EU-Energiesteuerrichtlinie ist in eine Sackgasse geraten. Tatsächlich ist | |
es der Industrie gelungen, einen Teil der Maßnahmen gewissermassen zu | |
umfliegen. | |
Auf der Aero Friedrichshafen präsentieren sich Flugbenzinproduzenten wie | |
Total umweltfreundlich. Von den Veranstaltern hatte der Konzern, der | |
zugleich Sponsor der Messe war, in diesem Jahr einen grünen Ballon | |
erhalten. Damit hebe man „Aussteller hervor, die sich dem Thema nachhaltige | |
Luftfahrt besonders widmen“, heißt es. Ölkonzerne senden dieselbe | |
Nachricht: Man wolle künftig sauberer fliegen, nicht weniger. Und alle | |
preisen die SAF. Allein: Solche SAF werden bisher kaum getankt. Sie zu | |
produzieren ist teuer und für kleine Flughäfen, die häufig von Privatjets | |
angesteuert werden, schwer zu beschaffen. | |
Bei den SAFs wird unterschieden zwischen Kraftstoffen aus Biomasse, vor | |
allem hydrierte Pflanzenöle, und synthetischen Kraftstoffen, die aus | |
erneuerbaren Energien und CO2 erzeugt werden. Experten bezweifeln, dass | |
künftig genügend SAF produziert werden können. Während die | |
Biomasseressourcen begrenzt seien, koste die Herstellung der synthetischen | |
Kraftstoffe viel Strom. Sascha Nick, Professor an der Eidgenössischen | |
Technischen Hochschule Lausanne weist darauf hin, dass eine echte | |
Dekarbonisierung der Luftfahrt nicht möglich sei, ohne die Zahl der Flüge | |
zu senken. | |
Die Industrie sieht sich selbst in einem anderen Licht. Holger Krahmer, ein | |
etwas schüchtern wirkender Mann mit ruhigen braunen Augen und weichem | |
Händedruck, lädt an einem Morgen in sein Brüsseler Büro. Der ehemalige | |
deutsche FDP-Europaabgeordnete wurde im Oktober 2023 zum Generalsekretär | |
der EBAA gewählt. Die European Business Aviation Association vertritt über | |
700 Unternehmen in Europa. Flüge in Privatjets – die die Industrie | |
Geschäftsflieger nennt – machen laut EBAA neun Prozent des gesamten | |
europäischen Flugverkehrs aus. 400.000 Arbeitsplätze hängen direkt oder | |
indirekt von ihr ab, sagt die Industrie. | |
## „Wir sind keine Klimasünder“ | |
Das Gespräch mit Krahmer findet unter den wachsamen Augen des | |
Verbandssprechers in einem nüchternen Besprechungsraum statt. Krahmer und | |
der Sprecher sagen, dass sie gezögert hätten, überhaupt ein Interview zu | |
geben. „Es ist leider so, dass Business Aviation sehr klischeebehaftet | |
ist“, so Krahmer. | |
[5][Laut einer Studie des NGO-Verbands Transport & Environment] verschmutzt | |
ein Privatjet die Umwelt bis zu 14 Mal mehr als ein Linienflugzeug und | |
sogar 50 Mal mehr als der Zug. Das sei „ideologischer Unsinn“, schimpft | |
Krahmer. Darin werde „Klimaschutz und gesellschaftliche Ungleichheit in | |
einen Topf geworfen“. Und er stellt klar: „Wir sind keine Klimasünder!“ | |
Klar ist aber auch, dass Holger Krahmer bisher nicht gerade als Vorkämpfer | |
des Umweltschutzes aufgetreten ist, schließlich wechselte er nach seiner | |
Zeit als EU-Parlamentarier nahezu nahtlos als Lobbyist zu Opel und später | |
zu Mercedes-Benz. Er fiel schon häufig durch seine klimaskeptischen | |
Äußerungen auf. Es sei „unrealistisch“ zu glauben, dass es genügend Bewe… | |
für den „Einfluss des Menschen“ beim Klimawandel gebe, schrieb Krahmer 2011 | |
in einem Essay zum „Realitätscheck für den Klimaschutz“. | |
In seiner neuen Funktion scheinen ihm diese Äußerungen unangenehm zu sein. | |
Er wirkt überrascht, als man ihn darauf anspricht. Er habe die Aussagen | |
damals „als Privatperson“ getätigt, rechtfertigt er sich und blickt | |
hilfesuchend zu seinem Sprecher. „Heute sind wir doch schon viel weiter.“ | |
Keiner werde mehr den menschengemachten Klimawandel bestreiten. Sein | |
Sprecher nickt energisch. | |
## Die Lobby ehrt sich und wehrt sich | |
Der Ex-FDP-Politiker sagt, es gehe ihm vor allem um die richtige Wahl der | |
Mittel: Wie könne man die Herausforderung des Klimaschutzes angehen? | |
Anstatt zu verbieten, würde er es vielmehr begrüßen, wenn es Brüssel | |
gelingen würde, „wirtschaftliche und ökologische Interessen zu vereinen“, | |
sagt Krahmer. Ohnehin verpflichte sich seine Branche freiwillig zu | |
„Nullemissionen“ bis 2050, ganz im Einklang mit den Zielen der EU. Um | |
dieses Ziel zu erreichen, setzen die Unternehmen auf die alternativen | |
Kraftstoffe, aber auch auf die Entwicklung neuer Technologien wie | |
Wasserstoffantriebe. | |
Von Krahmers Büro aus sind es zu Fuß nur drei Minuten bis zur | |
EU-Kommission. Den Weg kennen die Privatjet-Verfechter gut. Denn: Die | |
einflussreichen Lobbyisten der EBAA wirken auch hinter den Kulissen. So | |
erhielt der rumänische Europaabgeordnete Marian-Jean Marinescu, | |
langjähriger Koordinator für Verkehrspolitik der konservativen | |
EVP-Fraktion, auf der verbandseigenen Ebace-Messe in Genf 2017 den | |
Europäischen Preis für Geschäftsluftfahrt der EBAA „für seine herausragen… | |
Rolle bei der Förderung der Interessen der Geschäftsluftfahrt“. Im Jahr | |
2020 wurde der gelernte Luftfahrtingenieur von der EBAA gar zum | |
„Abgeordneten des Jahres“ gewählt. | |
Nach taz-Informationen hat Marinescu zwischen 2018 und 2022 geholfen, | |
gleich mehrere Treffen mit Luftfahrtlobbyisten in seinem Büro in Brüssel | |
und Straßburg auf die Beine zu stellen. 2019 lud er beispielsweise | |
gemeinsam mit der Industrie zu einer „EU Aviation Night“. | |
Die Forderung der Veranstaltung: Bloß keine Steuer auf Flugkerosin. | |
Mehrfach agierte Marinescu im Sinne der Branche. 2022 dann votierte der | |
Politiker gemeinsam mit anderen EU-Abgeordneten dagegen, dass auch die | |
Geschäftsluftfahrt verbindlich SAF tanken muss. Einen zugesandten | |
Fragenkatalog ließ der inzwischen ausgeschiedene EU-Politiker | |
unbeantwortet. | |
## Gesetze fallen nicht vom Himmel | |
Auch die Europäische Kommission ist nicht gegen diese intensive Lobbyarbeit | |
gefeit. Der Este Henrik Hololei war lange Leiter der Direktion für Verkehr | |
der Kommission, bevor er im März 2023 versetzt wurde, nachdem er wegen von | |
Katar bezahlter Flüge in Verruf geraten war. Vertreter der | |
Luftfahrtindustrie hatten den Vielflieger Hololei teils überschwänglich | |
gelobt als „leidenschaftlichen Förderer und Wegbereiter der Liberalisierung | |
des Luftverkehrs“ und „unseren Freund“. | |
Laut dem EU-Transparenzregister sprach die EBAA allein zwischen Februar | |
2018 und März 2021 dreimal mit dem Top-Beamten, niemand anderes bekam in | |
dieser Zeit mehr Termine bei ihm. In einem der taz vorliegenden Protokoll | |
eines dieser Treffen im Februar 2018 schreibt die EBAA, dass „Herr Hololei | |
erklärte, dass er die Bedeutung einer verhältnismäßigen Regulierung für | |
[ihre] Branche versteht“. Befragt zu dem Vorwurf einer zu großen | |
Industrienähe ihres ehemaligen Top-Beamten erklärte die EU-Kommission, sie | |
wolle „die Anspielungen gegenüber ihren Mitarbeitern“ nicht kommentieren. | |
Die Lobby-Arbeit der EBAA in Brüssel scheint sich noch in anderen Bereichen | |
auszuzahlen. Auf Initiative der EU-Kommission wurde ein Teil der | |
Geschäftsluftfahrt von einer europäischen Einrichtung ausgeschlossen: dem | |
Emissionshandelssystem der EU. Dieses „Verursacherprinzip“ wird ab 2026 für | |
die Linienluftfahrt gelten, die bislang über kostenlose Zertifikate | |
verfügte. Unternehmen, die weniger als 729 Flüge pro Jahr durchführen oder | |
weniger als 10.000 Tonnen CO2 pro Jahr ausstoßen, werden von dem System | |
befreit. | |
„Die Befreiung wird als verhältnismäßig angesehen“, kommentiert die | |
Kommission trocken. Auch anderswo konnte die Branche Ausnahmen durchsetzen. | |
Von der schrittweisen Einführung der nachhaltigen Kraftstoffe sind auf | |
Druck der EU-Kommission nur jene Fluggesellschaften betroffen, die mehr als | |
500 Flüge pro Jahr durchführen. Bei beiden außen vor: viele Firmenflugzeuge | |
– und die meisten Privatflieger. | |
Dieser Text ist Teil der Serie „Dirty Sky“, die sich mit Privatjets in | |
Europa befasst und wurde von Journalismfund Europe unterstützt. Weitere | |
Partner dieses Projekts des Journalistenkollektivs We Report sind unter | |
anderem Mediapart und Mediavivant aus Frankreich. | |
8 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Privatjet-auf-Sylt-besprueht/!6055100 | |
[2] /CO-Fussabdruck-von-Superreichen/!6047725 | |
[3] /Klimaschaedigende-Geschaeftsflugzeuge/!5956756 | |
[4] /Airline-Lobbyismus-beim-Emissionshandel/!5947604 | |
[5] https://www.transportenvironment.org/articles/private-jets-can-the-super-ri… | |
## AUTOREN | |
Robert Schmidt | |
Mathieu Martiniere | |
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