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# taz.de -- Radrennen: Wie zieht man beim Sport so richtig durch?
> Unsere Kolumnistin erkundet mit ihrem Rennrad die bergige Landschaft
> Mallorcas. Bis ihre Oberschenkel brennen und sie sich fragt: Wofür?
> Warum? Wieso?
Bild: Auch bei diesem steilen, kurviger Anstieg auf Mallorca: Proviant nicht ve…
Pinienwälder, Schafweiden, das Meer am Horizont. Aber davon bekomme ich
kaum etwas mit. Ich fokussiere mich auf das Hinterrad vor mir, das sich
viel zu schnell dreht. Dranbleiben, denke ich. Aber es entgleitet mir
wieder. Am nächsten Berg ist meine Freundin nur noch ein kleiner Fleck, der
auf der Kuppe auf mich wartet. „Du beißt nicht richtig“, sagt sie, als ich
sie eingeholt habe. „Wenn du nicht im Windschatten bleibst, ist es viel
anstrengender.“
Wir sind auf [1][Mallorca], um Rennrad zu fahren, und ich habe ein Problem:
Ich habe keinen Biss. „Wofür? Warum? Wieso?“, blökt mein Gehirn, sobald es
minimal bergauf geht. Dabei hätte ich sogar noch Kraft in den Beinen.
Durchhalten ist nicht nur auf dem Fahrrad hilfreich. So harrt man auf der
Demo aus, auch wenn die Füße schon Eiszapfen sind. Oder streikt weiter für
bessere Arbeitsbedingungen, obwohl man angefeindet wird. Also will ich
lernen, wie man richtig beißt.
Umfrage im Team: Wie macht ihr das, wenn die Oberschenkel so richtig
brennen? Der eine stellt sich Fans am Straßenrand vor. Der andere einen
imaginären Verfolger, der auf keinen Fall zu nah kommen darf. Oder man
sucht sich einen echten Kontrahenten, der einen nicht überholen darf.
Vor dem letzten Berg des Tages starte ich zehn Minuten früher als meine
Freunde, damit der Abstand nicht wieder zu groß wird. 20 Kilometer lang
werde ich nicht eingeholt. Drei Kurven vor der Bergspitze taucht ein
bekannter weißer Helm hinter mir auf. Im kleinsten der 22 Gänge strample
ich gegen die kleiner werdende Lücke zwischen uns an. Als ich oben ankomme,
bin ich mir nicht sicher, ob das noch meine Beine sind oder zwei krampfende
Würste. Aber ich habe es geschafft! Das Grinsen klebt mir noch im Gesicht,
als wir in unsere Einfahrt einbiegen.
Unsere nächste Route ist 127 Kilometer lang, 1.800 Höhenmeter. Mein
persönlicher Mount Everest. Ich pfeife mir unterwegs alles rein, was
Kalorien hat: Knallrote Gummischlangen, Cola, Snickers, Sportgel,
Müsliriegel, Pommes, wieder Cola. Wer beißen will, muss futtern.
Nach 80 Kilometern folgt der letzte Anstieg. Ich hinterfrage nichts mehr.
Eins, zwei, eins, zwei, zähle ich im Kopf meine Tritte mit, um im Rhythmus
zu bleiben. Das Schild mit dem roten Kreis, in dem ein [2][Fahrrad]
abgebildet ist, übersehe ich und fahre direkt auf den Tunnel zu. Es pfeift,
der Mann auf der Leiter über mir fuchtelt mit den Armen, „No, no!“, er
deutet auf das Straßenschild: Keine Räder im Tunnel!
Für mich geht es den Berg links in kleinen Serpentinen hoch. Ich stecke mir
Ohrhörer rein, eine Frauenstimme singt in mein Ohr: „Go Girl, you got
this.“ Ich bin mir da nicht so sicher. Wahrscheinlicher ist, dass ich bald
zusammenbreche.
Aber dann trete ich einfach. Kurve drei, vier, sieben, elf, ich fange an,
im Takt mitzuwippen. Kurve fünfzehn, ich gehe aus dem Sattel und nehme die
nächste Serpentine extra scharf, siebzehn, ich lache laut. Achtzehn,
einundzwanzig. Ich denke an gar nichts.
Das ist er also, dieser Flow, in den wir kommen, wenn wir hohe sportliche
Leistung bringen. Mein [3][präfrontaler Cortex, das Hirnareal hinter der
Stirn], hat sich abgeschaltet. So hat es mir ein Sportpsychologe neulich
erklärt. Meine Oberschenkel machen einfach. Vielleicht geht es beim Beißen
auch darum, den Spaß unterwegs nicht zu verlieren. Wie schwerelos gleite
ich die 29 Kurven nach oben. Das war mein bester Berg.
8 Dec 2024
## LINKS
[1] /Massentourismus-auf-Mallorca/!6021682
[2] /Fahrraeder-als-Handwerkskunst/!6048122
[3] /Menschliches-Gehirn-in-der-Klimakrise/!5963220
## AUTOREN
Sophie Fichtner
## TAGS
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