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# taz.de -- Sicherheit im Radsport: Technik und Training
> Stürze gehören zum Alltag eines Radprofis. Eine KI wertet das
> Sturzgeschehen aus, doch die Erkenntnisse werden noch viel zu selten
> genutzt.
Bild: Die Gefahr fährt mit: spektakulärer Streckenabschnitt beim Giro d'italia
Lucca taz | Bis jetzt waren die Stürze [1][beim Giro d’Italia] teilweise
kurios. [2][Tadej Pogacar] etwa forderte das Schicksal heraus und wollte
mit platten Vorderreifen noch um die Kurve eiern. Dabei rutschte das Rad
aber weg. Pogacar lag, und fast überrollte ihn noch sein Teamauto.
„Normalerweise macht man den Radwechsel vor der Kurve“, kritisierte dann
auch [3][UAE-Teammanager Mauro Gianetti]. Aber es ging noch einmal gut aus.
Und Pogacar war zugleich im straffen Pantani-Modus. Denn auch der hatte
ungefähr an der gleichen Stelle vor 25 Jahren einen Defekt und startete
daraufhin eine der epochalsten Aufholjagden überhaupt und gewann die
Etappe. Pogacar zog nach, nicht ganz so epochal, stärker unterstützt von
seinem Team. Aber er gewann ebenfalls.
[4][Erinnerung an schlimme Stürze] werden beim Giro aber auch wach
gehalten. Als Tim Merlier die erste Sprintetappe dieser Ausgabe gewann,
widmete er seinen Sieg Wouter Weylandt. Der starb vor fast genau 13 Jahren
noch an der Stelle seines Sturzes beim Giro. Es ist dies eine der
traurigsten Episoden des Radsports.
Seitdem ist das Bewusstsein für Fahrersicherheit in der Branche gewachsen.
Das norwegische Start-up [5][Safe Cycling] etwa produziert seit 2016
kombinierte optische und akustische Warnanlagen, die bei immer mehr Rennen
an gefährlichen Stellen positioniert werden – und von den Fahrern auch als
sehr sinnvoll bewertet werden.
Selbst künstliche Intelligenz wird mittlerweile eingesetzt, um Stürze zu
analysieren und daraus Erkenntnisse für mehr Sicherheit zu gewinnen.
Pionierstatus hat hier ein Team um den Softwarespezialisten und
promovierten Videoanalysten Steven Verstockt von der Universität Gent. „Wir
bauen eine Datenbank über Stürze und Sturzursachen im Straßenradsport auf“,
meint Verstockt. Mehr als 1.000 Stürze zählt die Datenbank mittlerweile.
Auslöser war der Horrorcrash von Fabio Jakobsen bei der Polenrundfahrt
2020. Als häufigste Sturzursachen benennt Verstockt gefährliche Abfahrten,
Probleme bei Wechsel des Fahrbahnbelags, etwa von Asphalt zu Pflasterstein
oder Kies, dann die Massensprints und schließlich Fahrfehler.
Die Daten gewinnt sein Team vornehmlich durch die maschinelle Auswertung
von X-Accounts. „Wir wählen Accounts aus, die häufig Informationen über
Stürze posten. Derzeit sind das etwa 250“, erklärt er. Die Daten werden
dann aufbereitet und strukturiert, und wenn vorhanden, mit Fotos und Videos
verknüpft. Denn die Bilder können auch Auskunft über die Schwere der Stürze
geben, etwa durch die Wucht des Aufpralls oder die Zeit, in der ein Fahrer
am Boden lag.
Die Daten stellt Verstockt der dem Weltverband UCI zur Verfügung. „Sie
können zum Screening von Rennstrecken genutzt werden. Wo gibt es zum
Beispiel eine Kombination aus Abfahrt, in der das Peloton sehr schnell ist,
und einem Wechsel des Fahrbahnbelags? Da können wir die Organisatoren
informieren, sodass sie die Stelle entweder besser kennzeichnen oder den
Kurs ändern können. Mit Hilfe von KI kann man auch regelmäßige Berichte
über das Sturzgeschehen veröffentlichen. Informationen dieser Art gibt es
bislang nicht“, so Verstockt. Sein Team filmt auch Rennstrecken ab und
analysiert sie hinsichtlich potenzieller Gefahrenpunkte.
## Besseres Training
Die Initiative sei gut, meint auch Helge Riepenhof. Der Unfallchirurg vom
Krankenhaus der Berufsgenossenschaft in Hamburg war lange Teamarzt im
Radsport und ist ein Pionier der herkömmlichen Sturzstatistik. Bereits vor
20 Jahren wertete er das Sturzgeschehen aus. „An den Ursachen hat sich
nicht viel geändert. Typische Stürze, bei denen viele Fahrer involviert
sind, ereignen sich gerade am Ende von Etappen oder an gefährlichen Stellen
im Streckenverlauf.
Gut entwickelt hat sich aber die Prävention. Früher, ich rede hier über
einen Zeitraum von 20 Jahren, konnte jeder Rennfahrer im Schnitt sieben
Tage im Jahr aufgrund von Sturzfolgen nicht an Rennen teilnehmen. Jetzt hat
sich das auf drei Tage reduziert“, sagte Riepenhof bei einem Besuch beim
Giro der taz. Ausschlaggebend dafür sei das bessere Training neben dem Rad.
Der Oberkörper der Rennfahrer ist viel stabiler geworden – und damit werden
aus medizinischer Sicht die Sturzfolgen auch abgemildert.
Riepenhof gibt aber auch zu bedenken, dass die neue, KI-generierte
Sturzstatistik nicht das komplette Spektrum abbildet. „Was meiner Meinung
nach zu wenig berücksichtigt wird, sind die Folgeverletzungen. Wenn ich mir
beim Sturz zum Beispiel eine kleine Schürfwunde hole, dann ist das zunächst
keine schwere Verletzung. Es kann aber passieren, dass ich deswegen anders
auf dem Rad sitze und mir dadurch eine Entzündung der Sehne zuziehe. Das
ist dann auch eine Folge des Sturzes“, meint Riepenhof.
Auch Verstockt hält die Statistik seines Teams nicht für das Nonplusultra.
„Wir bilden ja nur Stürze ab, die eine gewisse Aufmerksamkeit erlangt haben
und die in den sozialen Medien auftauchen. Deshalb wird die Datenbank auch
manuell durch die UCI ergänzt“, erklärt er. Als Entscheidungstool taugen
die Datenbank und die daraus abgeleiteten Erkenntnisse schon jetzt.
Nun liegt es an den Rennorganisatoren, sie auch zu benutzen, und den
Parcous nach diesen Kriterien gegebenfalls zu verändern. Für 50 Renntage,
darunter Etappen bei Lombardeirundfahrt, Polenrundfahrt, Tour de Romandie
und Benelux Tour, hat das Team um Verstockt das bereits getan. Die greoßen
Landesrundfahrte wie der Giro oder die Tour de France waren noch nicht
dabei. Es wird Zeit, dass sich das ändert. In Sachen Anpassung der Strecken
sehen sowohl der Informatik-Professor Verstockt als auch der Mediziner
Riepenhof noch reichlich Luft nach oben.
9 May 2024
## LINKS
[1] /Giro-dItalia-vor-dem-Start/!6004566
[2] /Fruehjahrsklassiker-im-Radsport/!6003349
[3] https://www.uaeteamemirates.com/rider/gianetti-mauro/
[4] /Sturzserie-im-Radsport/!6000011
[5] https://www.safecycling.cc/
## AUTOREN
Tom Mustroph
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