# taz.de -- Kaputtgesparte Landkreise: Ein Landrat wehrt sich | |
> Kommunen und Landkreise sind extrem verschuldet. Olaf Scholz hat | |
> angekündigt, schnell zu helfen. Kann das klappen? Ein Besuch in | |
> Mansfeld-Südharz. | |
Bild: „Politische Zechprellerei ist das!“: Landrat André Schröder (CDU) k… | |
Mansfeld-Südharz taz | André Schröder müsste eigentlich wissen, wie er an | |
Geld kommt. Der CDU-Mann war schließlich Finanzminister von Sachsen-Anhalt. | |
Nach einem unfreiwilligen Rücktritt 2019 hat sich Schröder der | |
Kommunalpolitik in seiner Heimat verschrieben und ist seit 2021 Landrat des | |
Landkreises Mansfeld-Südharz. Doch zusätzliche Geldquellen kann auch der | |
Ex-Minister nicht auftun, und so schreibt Schröders Kreishaushalt tiefrote | |
Zahlen. Da fallen die 600.000 Euro, auf die er zu sprechen kommt, | |
eigentlich kaum noch ins Gewicht. Sie haben aber Symbolkraft. | |
Diese Summe fehlt dem Landrat, um 2025 das Deutschlandticket in den Bussen | |
seines Verkehrsverbundes weiter anzubieten. Selbst wenn der Bundestag, auch | |
mit den Stimmen der Union, vor Weihnachten die Fortführung des Tickets zu | |
einem Preis von dann 58 Euro beschließen wird – auf diesem Fehlbetrag | |
bleibt Schröder sitzen. Die 600.000 Euro einfach als Schulden zu verbuchen, | |
geht nicht. Der Kreishaushalt steht unter Beobachtung des | |
Landesverwaltungsamtes. | |
Beim Deutschlandticket müsste der Landkreis im neuen Jahr tiefer in die | |
Tasche greifen, weil die bisherige Finanzierungsgarantie Ende Dezember | |
endet. Ab Januar laufen die Zuschüsse dann in gleicher Höhe weiter, obwohl | |
die Ausgaben weiter steigen – fürs Personal, für Energie, für Fahrzeuge. | |
Einnahmen spült das Ticket hingegen kaum in die Kasse. Ein paar tausend | |
Tickets hat die regionale Verkehrsgesellschaft verkauft. Das Gros wird in | |
den Ballungsräumen abonniert. Eigentlich ist das Deutschlandticket ja eine | |
gute Sache, sinniert André Schröder: „Immerhin lichtet es den | |
Tarif-Dschungel.“ Aber die Zeche könne doch nicht an seinem Kreis hängen | |
bleiben? | |
Deswegen kündigt Schröder an, das Ticket in seinem Landkreis im neuen Jahr | |
abzuschaffen. Der Landrat zuckt mit den Schultern. Was bleibt ihm übrig? Um | |
zu sparen, müsste er den Busverkehr weiter reduzieren, das dünne Angebot | |
noch weiter ausdünnen, weil der Bundestag am Deutschlandticket festhält. | |
Wem soll er das erklären? | |
## Das Ende des Deutschlandtickets | |
Der Landkreistag Sachsen-Anhalts drohte bereits im August mit dem Ende des | |
Deutschlandtickets bei den kommunalen Verkehrsbetrieben, sollte sich die | |
Finanzierung von Bund und Land nicht erhöhen. Auch der Landkreis Stendal im | |
Norden Sachsen-Anhalts – schon im vorigen Jahr wollte er aus dem Ticket | |
aussteigen – berät derzeit erneut über das Ende, weil Finanzierungszusagen | |
fehlen. | |
„Politische Zechprellerei ist das!“, platzt es aus Schröder heraus. Die | |
Bundespolitik bestelle immer wieder Musik und die Kommunalpolitik müsse | |
zahlen. Aufgaben über Aufgaben kämen von Bund und Land, klagt Schröder, | |
ohne dass die Finanzierung gesichert sei. „Auskömmlich“ heiße das im | |
Politikdeutsch. Und auskömmlich sei derzeit nichts. Ja, natürlich gebe es | |
Geld von oben für die Vielzahl von Sachen, die die Landkreise erfüllen | |
müssen – „aber nicht genug!“ | |
Immerhin, die Botschaft von bettelarmen Kommunen und Kreisen hat Berlin | |
erreicht. Erst am Montag waren wieder zwei Dutzend Oberbürgermeister bei | |
Scholz eingeladen, um über die schwierige finanzielle Situation zu | |
sprechen. Auf über 154 Milliarden Euro haben sich 2023 die Schulden der | |
Gemeinden und Gemeindeverbänden summiert, binnen eines Jahres um knapp 10 | |
Prozent. | |
Olaf Scholz hat angekündigt, immerhin die am stärksten verschuldeten | |
Kommunen noch in dieser Legislaturperiode von den Altschulden zu befreien. | |
Bei der Fragestunde am vorvergangenen Mittwoch hat Scholz im Bundestag | |
dieses Vorhaben bekräftigt, Finanzminister Kukies bereits mit einer | |
Gesetzesvorlage beauftragt und Solidarität eingefordert. Die ist auch | |
nötig: Weil die Entlastung der Kommunen Ländersache ist, braucht es, damit | |
der Bund überhaupt einspringen kann, eine Änderung des Grundgesetzes, mit | |
Zweidrittelmehrheit des Bundestages, kurzum: Die Union muss mitmachen. | |
## Theater Eisleben gerade so gerettet | |
Gesetze können Kommunen befreien, aber auch wie Fesseln wirken. CDU-Landrat | |
Schröder spricht davon, dass die Landkreise per Gesetz verpflichtet sind, | |
umzusetzen, was Länderparlamente und Bundestag beschließen. | |
„Deutschlandticket, Wohngeld plus, steigende Anforderungen im Zivilschutz, | |
Cannabisfreigabe“, zählt Schröder auf, „wer erteilt den Anbauvereinen die | |
behördliche Erlaubnis?“ Er zuckt mit den Schultern. „Zum Schluss die | |
Landkreise“, sagt Schröder und klingt dabei leicht frustriert. | |
Dabei kommt er jetzt erst auf die klassischen „Pflichtaufgaben“ zu | |
sprechen, für die ein Landkreis zuständig ist, wie den Katastrophenschutz, | |
das Rettungswesen, die Abfallwirtschaft und den Bereich Soziales, der | |
inzwischen Unsummen verschlingt, etwa für Unterhalt, Eingliederungshilfe | |
für Menschen mit Behinderung, Kinder- und Jugendhilfe, Schulsozialarbeit. | |
Um über 14 Millionen Euro steigen die kreislichen Kosten 2025 – ohne | |
Deckung. „Sozialausgaben, Personalkosten und Zinslasten, das sind die | |
Defizittreiber.“ | |
Was bleibt da für Wirtschaftsförderung, Tourismus, Sport, Kultur? Die | |
„freien Spitzen“, so heiße der Teil des Haushalts, der für freiwillige | |
Leistungen übrig ist. In seinem Kreishaushalt ganze 2 Prozent, etwa 6 | |
Millionen Euro. Das Theater der Lutherstadt Eisleben, bei dem der Kreis | |
Hauptgesellschafter ist, hängt seit Jahren am seidenen Faden. Anfang 2024 | |
stand die kleine Bühne vor der Insolvenz, der Kreis stoppte Zuzahlungen. | |
Der finanzielle Abgrund tat sich auf, weil das Oberverwaltungsgericht | |
Magdeburg im Dezember 2023 als oberste Instanz feststellte, dass der von | |
Schröders Kreisverwaltung mühselig zusammengezimmerte Haushalt | |
gesetzeswidrig sei. Die Kommunen, die mit ihrer Kreisumlage etwa 40 Prozent | |
zum Etat des Landkreises beitragen, hatten gegen die Erhöhung der | |
Kreisumlage erfolgreich geklagt, Begründung des Gerichts: Den Städten und | |
Gemeinden müsse eine finanzielle Mindestausstattung bleiben. | |
## Zwischen den Eisbergen | |
„Und was ist mit unserer Mindestausstattung?“, fragte Schröder. Das, so | |
beschied das Gericht, sei nicht Gegenstand der Verhandlung. Die | |
Kreisverwaltung musste knapp 39 Millionen Euro an die Kommunen | |
zurückzahlen. Für 2024 beläuft sich der Kreishaushalt auf knapp 254 | |
Millionen Euro. Gleichzeitig schiebt der Landkreis einen Schuldenberg von | |
157 Millionen Euro vor sich her, was zu erheblichen Zinsen führt. | |
Wo kann er noch sparen? Schröder will die Außenstellen seiner | |
Kreisverwaltung reduzieren. Das Theater Eisleben ist immerhin gerettet, bis | |
2028. Der Landkreis hat ein zinsloses Darlehen gewährt, und das Land | |
schießt in den nächsten vier Jahren zusätzlich 6,5 Millionen Euro zu. Der | |
Kreis aber versinkt immer tiefer in einem Mahlstrom aus Schulden. | |
Schröder hat eine bläuliche Grafik hervorgeholt. Das Bild zeigt eine | |
Gletscherlandschaft, zwei Eisberge mit einer Spalte voller Wasser | |
dazwischen. Der eine Eisrücken sei das Bundesland Sachsen-Anhalt, erläutert | |
Schröder. Der andere seien die Städte und Gemeinden. Beide seien stabil und | |
gesichert. Das Land durch die Schuldenbremse: Sachsen-Anhalt könne nicht | |
endlos Millionen von Euro, die es selbst nicht hat, in die Kreise pumpen. | |
Schröder hat dafür Verständnis. | |
Der andere Gletscher, das seien die Städte und Gemeinden, denen ein | |
Mindestmaß an Finanzkraft zuerkannt wurde, quasi eine Schuldenbremse. | |
Bleibe die Spalte dazwischen – die Landkreise. „Alle rauschen in die | |
Gletscherspalte, nur in unterschiedlichem Tempo.“ Die Kreise saufen ab, | |
keine Schuldenbremse, kein Richterspruch. Schröder, der in Leipzig neben | |
Politik auch Philosophie studiert hat, beendet seine unwirtliche Allegorie. | |
## Verfassungsbeschwerde für Mindesthaushalt | |
Kein Richterspruch? Das will Schröder nicht länger akzeptieren. Sein | |
Landkreis reicht jetzt gemeinsam mit dem benachbarten Salzlandkreis | |
Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Schröders | |
Forderung, die er am Freitag noch einmal in Magdeburg auf einer | |
Pressekonferenz bekräftigen will: Karlsruhe soll klären, ob es nicht auch | |
für Landkreise eine finanzielle Mindestausstattung geben müsse. Grundlage | |
ist Grundgesetz, Artikel 28 Absatz 2: Gemeinden und Gemeindeverbände haben | |
das Recht auf Selbstverwaltung. Dafür bedürfe es Grundlagen für die | |
finanzielle Eigenverantwortung. Schröder will Klarheit. „Wir suchen keinen | |
Schuldigen, wir wollen einen Schiedsrichter.“ Was ist die Selbstverwaltung | |
noch wert, wenn Bund, Länder und Gemeinden immer neue Kosten auf die Kreise | |
abwälzen? | |
Es geht nicht allein um Mansfeld-Südharz und den Salzlandkreis. Die | |
Kreistage aller anderen Landkreise Sachsen-Anhalts unterstützen diesen | |
ultimativen Gang nach Karlsruhe. Und es geht auch nicht um Sachsen-Anhalt. | |
Es geht bundesweit um die Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und | |
kommunaler Ebene bei weiter ausufernden Ausgaben. Der deutsche Landkreistag | |
erwartet 2024 ein Rekorddefizit aller Kreise von 2,6 Milliarden Euro. Über | |
80 Prozent von ihnen können keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen. | |
Auch andere Kreise ächzen längst unter den Schulden, am heftigsten der | |
Landkreis Kaiserslautern und die Stadt Pirmasens. Der Kreis und die | |
kreisfreie Stadt in Rheinland-Pfalz haben bereits 2019 eine ähnliche | |
Verfassungsbeschwerde eingereicht. Entschieden wurde noch nichts. Die | |
Beschwerde von Mansfeld-Südharz soll demnächst in Karlsruhe eintreffen. Die | |
Verfassungsrichter könnten sie dann in dasselbe Fach legen. | |
Nichts werde damit besser, hatte André Schröder gesagt, nachdem Olaf Scholz | |
den Stecker der „Ampel“ gezogen hat. Das Deutschlandticket etwa könne nur | |
noch Sachsen-Anhalt retten, wenn es das nötige Geld zuschieße. „Wir sind | |
von der Rechtsprechung eingemauert“, sagt Schröder. Sein Landratsamt sei | |
nichts als ein Schuldgefängnis. „Den Ausbruch kann noch das | |
Verfassungsrecht erzwingen.“ | |
Oder eben eine Verfassungsänderung, mit tatkräftiger Unterstützung von | |
CDU/CSU. | |
13 Dec 2024 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
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