| # taz.de -- Der Check: Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften? | |
| > Ein Tweet der AfD prangert die Zuwanderung von Fachkräften an – und | |
| > impliziert Wohlstandsverlust. | |
| Bild: Deutschland braucht Fachkräfte: Besonders profitieren von Zuwanderung w�… | |
| „Fakt ist, dass hunderttausende Fachkräfte durch die Bewältigung des | |
| Migrationsandrangs in der öffentlichen Verwaltung gebunden werden. Dem | |
| Arbeitsmarkt werden somit #Fachkräfte entzogen, wodurch der | |
| Fachkräftemangel verschärft wird. Fakt ist auch, dass ein Großteil der | |
| notwendigen Branchen entweder durch Automatisierung, Ausbildung oder durch | |
| eine Anhebung des Lohnniveaus das Fachkräfteproblem eigenständig beheben | |
| könnte“, zitierte die AfD-Fraktion im Bundestag am 26. 11. auf X ihren | |
| arbeitspolitischen Sprecher René Springer. Ist da was dran? | |
| Der Post bezieht sich auf eine [1][aktuelle Studie der | |
| Bertelsmann-Stiftung]. Ihr zufolge hat Deutschland bis zum Jahr 2040 | |
| jährlich einen Bedarf von rund 288.000 Arbeitskräften aus dem Ausland. Wenn | |
| die nicht kämen, drohe ein Rückgang der Zahl an Erwerbstätigen um zehn | |
| Prozent im selben Zeitraum. Demnach ginge ohne zusätzliche Migrant*innen | |
| die Zahl der Arbeitskräfte von derzeit 46,4 Millionen bis 2040 auf 41,9 | |
| Millionen und bis 2060 auf 35,1 Millionen zurück. | |
| Die AfD behauptet, die Stiftung stütze mit diesen Zahlen „[2][Profiteure | |
| von Massenmigration und Asyl]“, um die „nicht haltbare #Massenmigration“ … | |
| rechtfertigen, und nennt die Studie „kontrafaktisch“. | |
| Der [3][Arbeitsmarktforscher Klaus Zimmermann] bezeichnet das auf Anfrage | |
| als „fake news“. Um die 300.000 Arbeitskräfte pro Jahr zur | |
| Bestandserhaltung seien eine „sehr übliche Größenordnung, also in keiner | |
| Weise überraschend oder unrealistisch“. Genaue Bedarfe könnten nur die | |
| Märkte der Zukunft bestimmen. „Kontrafaktisch“ könnten Prognosen ohnehin | |
| nicht sein: Die Zukunft hat ja noch nicht stattgefunden. | |
| ## Der AfD-Tweet suggeriert, Deutschland solle „schrumpfen“ | |
| Die AfD suggeriere viel eher, Deutschland solle „schrumpfen“, meint | |
| Zimmermann – und eben das bedeute Wohlstandsverluste, nicht die Anwerbung | |
| von Fachkräften im Ausland. Denn: „Wer wird ernsthaft glauben, dass nicht | |
| mehr für Migranten gebrauchte Verwaltungskräfte die Innovationen in der | |
| künstlichen Intelligenz vorantreiben oder in der Alten- und Krankenpflege | |
| tätig werden?“ Fachkräfte sind nicht gleich Fachkräfte. [4][Die gezielte | |
| Anwerbung hätten selbst AfD-Stimmen schon als notwendig bezeichnet]. | |
| Dass ein höheres Lohnniveau den Mangel beseitigen könne, sei ebenfalls | |
| falsch. Der begründe sich nämlich dadurch, dass mit den Renteneintritt der | |
| Babyboomer die Anzahl der Erbwerbstätigen massiv zurückgehe. Mehr Geld | |
| macht zwar viel, aber eben keine neuen Babys. | |
| „Durch Lohnsteigerungen einen Anstieg der Geburtenzahl erreichen zu können, | |
| ist aufgrund der wissenschaftlichen Erfahrungen unbegründet“, sagt | |
| Zimmermann. Und selbst wenn das anders wäre – auch Babys müssten 16 Jahre | |
| alt werden, um Fachkräfte sein zu können. Rein biodeutscher Wohlstand wird | |
| wohl nichts. Erst recht nicht bis 2040. | |
| ## Exkurs: Begriffsklärung | |
| „Kontrafaktisch“ bedeutet in der Wissenschaft übrigens nicht „falsch“ … | |
| „gegenteilig“, wie der Tweet der AfD vermuten lässt. [5][Der Begriff | |
| beschreibt eine ganze Methode]: Als kontrafaktisch wird in der | |
| wissenschaftlichen Evaluationsforschung die simulierte Gegensituation zu | |
| einer Maßnahme bezeichnet, mit der die Realität verglichen wird. | |
| Es wird also ein hypothetisches Szenario („Was wäre, wenn…?“) mit der | |
| tatsächlichen Realität verglichen. Sprich: Sind alternative | |
| Erklärungsmuster denkbar, die zum selben Ergebnis geführt hätten? Wenn | |
| schon Terminologie, dann auch richtig bitte. Und wenn geheuchelt dezidiert, | |
| dann bitte nicht frei ausgelegt. An den 288.000 benötigten Fachkräften pro | |
| Jahr kommt Deutschland also auch von rechts nicht vorbei. So trocken sind | |
| Zahlen. | |
| ## Besonders AfD-Hochburgen würden von Zuwanderung profitieren | |
| Besonders profitieren von Zuwanderung würden übrigens Thüringen und | |
| Sachsen-Anhalt. Die sind laut Studie neben dem Saarland am stärksten | |
| betroffen vom Fachkräftemangel. Dort käme die AfD dieser Tage auf | |
| Zustimmungswerte von 30 Prozent und mehr, in Thüringen ist sie sogar | |
| stärkste Kraft, beide Landesverbände werden vom Verfassungsschutz als | |
| „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. So ist das mit den (Nerven)sägen und | |
| dem eigenen Ast. | |
| Aktuell kommen über das neue Fachkräfte-Einwanderungsgesetz übrigens nur | |
| 50- bis 60.000 Menschen pro Jahr nach Deutschland. „Das ist zu niedrig“, | |
| erklärt Lutz Schneider von der Hochschule Coburg und Co-Autor der Studie. | |
| 1 Dec 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2024/novem… | |
| [2] https://x.com/AfDimBundestag/status/1861378185147097489 | |
| [3] https://www.klausfzimmermann.de/ | |
| [4] https://www.afd.de/joachim-paul-zielscharfe-einwanderung-qualifizierter-fac… | |
| [5] https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/kontrafaktische-geschichte-gesch… | |
| ## AUTOREN | |
| Florian Nass | |
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| Daniel Günther | |
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