| # taz.de -- Queere Demonstrationen in Sachsen 2024: Mehr Demos, mehr Teilnehmen… | |
| > Die Straftaten rund um Demonstrationen zum Christopher Street Day haben | |
| > sich vervielfacht. Die Täter sind großteils rechte | |
| > Gegendemonstrant*innen | |
| Bild: Ein Polizist am Rande des CSD in Bautzen im August 2024 | |
| Berlin taz | So viele queere Demonstrationen wie noch nie [1][haben in | |
| diesem Jahr in Sachsen stattgefunden] – von Bautzen über Stollberg, Wurzen, | |
| Leipzig [2][bis nach Görlitz/Zgorzelec]. Mit mindestens 23 waren es drei | |
| mehr als im Vorjahr. Gleichzeitig ist auch die rechtsextreme Mobilisierung | |
| eklatant angestiegen. | |
| Eine genaue Bilanz, wie die Lage für Queers 2024 in Sachsen aussah, hat die | |
| taz nun zusammen mit Aktivist*innen der Queer Pride Dresden | |
| ausgewertet. Grundlage dafür waren unter anderem Zahlen des sächsischen | |
| Innenministeriums, die Linken-Abgeordnete wie Juliane Nagel und Sarah | |
| Buddeberg seit Jahren abfragen. | |
| Dabei zeigt sich: Insgesamt demonstrierten dieses Jahr landesweit rund | |
| 38.000 Menschen für die Rechte von Queers. Das war fast ein Viertel mehr | |
| als 2023. Besonders im ländlichen Raum gibt es immer mehr Christopher | |
| Street Days (CSD), queere Jugendtreffs, Veranstaltungsreihen und Netzwerke. | |
| Bei 13 der 23 queeren Demonstrationen kündigten Rechte im Voraus | |
| Gegenproteste an, darüber hinaus kam es zu spontanen Störaktionen. | |
| Insgesamt versammelten sich in diesem Jahr circa 2.600 Nazis zum | |
| queerfeindlichen Protest. Beim größten Zusammentreffen im August waren 700 | |
| Rechte aus dem ganzen Bundesgebiet dem Aufruf zu Störaktionen nach Bautzen | |
| gefolgt. Teils kamen sie dem CSD brenzlig nahe. | |
| In den Antworten auf die Kleinen Anfragen der Linken erkennt nun auch das | |
| Innenministerium an, dass Queers vermehrt in den Fokus Rechtsextremer | |
| gerieten. Homo- und transfeindliche Straftaten seien deshalb bei rechten | |
| Gegenprotesten im Kontext von CSDs einzukalkulieren. Gleichzeitig geht aus | |
| den Anfragen hervor, dass die Polizei fast immer von einem „grundsätzlich | |
| friedlichen Verlauf“ ausgeht, auch wenn Störungen absehbar sind. | |
| ## Aus Bautzen gelernt | |
| In einer Pressemitteilung im September kritisierte Nagel das Vorgehen der | |
| Einsatzkräfte in Bautzen sowie die Vorabprognosen aus dem Ministerium | |
| scharf. „Es ist unbegreiflich, dass die Polizei angesichts einer | |
| martialischen, deutschlandweiten Mobilisierung der Neonaziszene einen | |
| ‚grundsätzlich friedlichen Verlauf‘ prognostizierte“, hieß es darin. | |
| Die Versammlungsbehörde hätte mit ihrer Route [3][eine symbolische | |
| Verfolgungsjagd der CSD-Demonstrierenden] durch die Nazis ermöglicht. „Rein | |
| einsatztaktisch wurde aus Bautzen gelernt“, bemerkt Nagel jetzt im Gespräch | |
| mit der taz. Das habe die veränderte Polizeistrategie beim CSD Leipzig eine | |
| Woche später gezeigt. So hatten die Einsatzkräfte die rund 400 mit dem Zug | |
| angereisten Neonazis noch im Hauptbahnhof festgehalten. | |
| „Ob aber Queerfeindlichkeit als zentrales Mobilisierungsthema bei Neonazis | |
| wirklich nachhaltig politisch ernst genommen wird, da würde ich ein | |
| Fragezeichen hinter setzen“, fügt sie hinzu. | |
| Während es dieses Jahr drei Demos mehr gab als im Vorjahr, hat sich die | |
| Zahl der Einsatzkräfte, die bei CSDs eingesetzt wurden, fast verfünffacht. | |
| Rund zwölfmal mehr Straftaten und Ordnungswidrigkeiten wurden | |
| festgestellt, 245 im Jahr 2024 im Vergleich zu 22 im Jahr 2023, wobei das | |
| Innenministerium teilweise nicht nach links und rechts aufschlüsselt und | |
| mitunter auch Ermittlungsverfahren gegen Teilnehmende der CSDs eingeleitet | |
| wurden. Bei drei der Strafanzeigen 2023 ging es etwa um Plakate mit dem | |
| Spruch „Björn Höcke ist ein Nazi“ beim CSD in Frankenberg. | |
| ## Mehr Straftaten bei den Rechten | |
| In diesem Jahr wurde die deutliche Mehrheit der Straftaten und | |
| Ordnungswidrigkeiten bei den rechten Gegendemonstrierenden verzeichnet. Sie | |
| reichen von versammlungsrechtlichen Verstößen über Beleidigungen, | |
| verfassungswidrige Gesten und Symbole, volksverhetzende Parolen bis hin zu | |
| Körperverletzung, wie am 15. Mai beim ersten CSD in Wurzen. Die | |
| Journalistin Kili Weber berichtete auf X, wie [4][sie und ihr Begleitschutz | |
| dort angegriffen wurden]. | |
| Für Lea Kamp von der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Queeres Netzwerk | |
| Sachsen ist die akute Bedrohung, die aus den Zahlen des Innenministeriums | |
| hervorgeht, keine Überraschung. „Queerfeindlichkeit ist dem | |
| Rechtsextremismus inhärent“, hält die Bildungsreferentin fest. Auch dass | |
| rechte Gewalt gegenüber Queers steigt, beobachtet sie im Rahmen ihrer | |
| Arbeit schon länger. | |
| Ein Großteil der Straftaten gegen Queers werden laut Kamp nicht angezeigt – | |
| aus mangelndem Vertrauen in die Polizei und aus Sorge vor weiterer | |
| Diskriminierung seitens der Polizei. Darauf wurde auch in einer [5][Studie | |
| zu Lebenslagen] von LSBTIQ* Personen in Sachsen aus dem Jahr 2022 | |
| hingewiesen. Beinahe jede zweite queere Person in Sachsen hat seit 2017 | |
| Übergriffe erfahren, davon haben nur 7 Prozent mindestens einen Vorfall bei | |
| der Polizei oder Staatsanwaltschaft gemeldet. | |
| Spätestens seit dem Wahljahr in Sachsen sei die Diskriminierung von queeren | |
| Lebensweisen zudem explizit in der Parteipolitik verankert worden, so Lea | |
| Kamp. „Genderwahn raus aus dem Stundenplan!“ war zum Beispiel ein | |
| Leitspruch der sächsischen AfD im Wahlkampf. Das habe laut Kamp die | |
| Hemmschwelle für rechte Aggression zusätzlich gesenkt sowie Vorurteile und | |
| Fehlinformation geschürt. Gleichzeitig nehme, so Kamp, die Sichtbarkeit von | |
| queerem Leben zu, gerade auch im ländlichen Raum, was die Communitys | |
| empowere. | |
| ## Mehr Maßnahmen gefordert | |
| Politikerin Nagel fordert angesichts der Gewalt wirksame Schutzmaßnahmen, | |
| die über ein zielgenaues Einsatzkonzept der Polizei hinausreichen. Die | |
| Linken-Abgeordnete bezieht sich dabei etwa auf die geplante Neufassung des | |
| Landesaktionsplans Vielfalt. Diese wurde von der amtierenden Regierung | |
| versprochen, aber letztlich nie beschlossen. Außerdem fordern die LAG sowie | |
| die Linksfraktion eine zentrale Beratungs- und Meldestelle für Opfer von | |
| Queerfeindlichkeit nach Vorbild des Anti-Gewalt-Projekts Maneo in Berlin. | |
| Bei der Erarbeitung des Gesamtkonzepts zur Bekämpfung von Rechtsextremismus | |
| im letzten Koalitionsvertrag habe die Linksfraktion auf eine stärkere | |
| Beteiligung der Zivilgesellschaft gedrängt, erläutert Nagel. Teil der | |
| Koalitionsverhandlungen waren sie nicht. „Das Ergebnis mag auf dem Papier | |
| gut aussehen. Aber wenn daraus nichts folgt und die Netzwerke und Träger, | |
| die sich im Alltag gegen rechte Strukturen engagieren, nicht finanziert | |
| werden, nützt das Gesamtkonzept nicht viel“, bilanziert die Abgeordnete. | |
| Das fehlende Demokratiefördergesetz und die schwierige Regierungsbildung in | |
| Sachsen verschärften laut Nagel die ohnehin prekäre und unsichere | |
| Situation. Von der kommenden Regierung fordert sie deshalb, den neuen | |
| Landesaktionsplan Vielfalt erstens zu beschließen und zweitens mit der | |
| notwendigen Finanzierung zu untermauern. | |
| Das sieht auch Kamp so. „Zu kleine Fördertöpfe haben zur Folge, dass queere | |
| Vereinsstrukturen miteinander um Geld konkurrieren müssen – das ist | |
| frustrierend“, erklärt sie. Das Ziel der LAG, die Professionalisierung | |
| queerer Strukturen an verschiedenen Orten in Sachsen voranzutreiben, werde | |
| dadurch erschwert. | |
| Die LAG selbst habe eine Förderzusage bis Ende 2025. Ob und wie es dann | |
| weitergeht, wissen sie noch nicht. Der Dachverband vernetzt queere | |
| Strukturen, bündelt Sorgen und Bedarfe von Initiativen und trägt diese an | |
| die Politik heran. Zudem setzt die LAG auf Sensibilisierungsmaßnahmen und | |
| Schulungen über queerfeindliche Hasskriminalität für Polizei und Justiz. | |
| Noch größere Sorgen mache Kamp sich aber um ihre Mitgliedsvereine, die an | |
| der Basis mit queeren Menschen arbeiten und beispielsweise Kulturprogramm | |
| oder Beratung anbieten. „Das ist unglaublich wichtige Arbeit. Kürzungen in | |
| der Förderung dieser Strukturen wären desaströs.“ | |
| 22 Nov 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /CSDs-in-Sachsen/!6026782 | |
| [2] /CSD-in-Goerlitz-und-Zgorzelec/!6039387 | |
| [3] /CSD-in-Bautzen/!6029166 | |
| [4] https://x.com/WeberKili/status/1790786951886328147 | |
| [5] https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/42216 | |
| ## AUTOREN | |
| Juri Wasenmüller | |
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