# taz.de -- Trans Day of Rememberance: Kämpfen für die Lebenden | |
> Am Trans Day of Rememberance wird Opfern trans*feindlicher Gewalt | |
> gedacht. Gleichzeitig ist er ein Kampftag, denn Trans*feindlichkeit | |
> steigt. | |
Bild: Die trans* Fahne bei einer Demo 2022 für das nun in Kraft getretene Selb… | |
Berlin taz | Den Tag empfindet sie als einen Schlag ins Gesicht. „Man wird | |
immer wieder daran erinnert, wie viele Menschen seit dem letzten Jahr | |
ermordet wurden – und die Statistik wird jedes Jahr schlimmer“, sagt die | |
trans*-Aktivistin Béla Belissima. | |
[1][Am 20. November, dem Trans Day of Remembrance, wird jährlich allen | |
trans*, inter und non-binären Personen (TIN*) gedacht], die aufgrund von | |
Trans*feindlichkeit durch Gewalt und Diskriminierung sterben. Der | |
internationale Gedenktag geht zurück auf den Mord an Rita Hester, einer | |
Transfrau, die 1998 im US-Staat Massachusetts erstochen wurde. | |
Doch der Gedenktag ist nicht nur historisch geprägt. „Es ist ein Erinnern, | |
aber vor allem ein Kampf für die noch Lebenden“, sagt Belissima. Weltweit | |
wurden laut „Trans Murder Monitoring 2024“ allein im letzten Jahr 350 trans | |
und genderdiverse Menschen ermordet. Deutschlandweit steigen | |
queerfeindliche Hasskriminalität und Gewalttaten gegen trans* Personen seit | |
Jahren kontinuierlich. | |
Auch die Berliner Polizei registriert seit Jahren einen stetigen Anstieg | |
von LSBTIQ*-feindlichen Straftaten. Verzeichnete die Polizei 2014 noch 82 | |
Fälle, waren es 2023 690. Laut Berliner Monitoring von trans*- und | |
homophober Gewalt sind trans* Personen „in nochmals erhöhtem Maße von | |
Gewalt betroffen“. [2][Dem Bericht nach waren zwischen 2017 und 2022 zwei | |
Drittel aller trans* Menschen von Diskriminierung betroffen.] | |
Um Sichtbarkeit für die trans* Community zu schaffen, zogen vorigen Samstag | |
Demonstrant*innen unter dem Motto „Transfeindlichkeit tötet – kämpfen | |
statt sterben“ durch Friedrichshain-Kreuzberg. Aufgerufen hatte die | |
Initiative Queermany Berlin. „Als marginalisierte Gruppe sind wir besonders | |
stark betroffen von sozialen und wirtschaftlichen Missständen, wie | |
Wohnungslosigkeit, Diskriminierung am Arbeitsplatz oder Einsamkeit im | |
Privatleben“, sagte Penelope Frank von Queermany Berlin der taz. | |
## Langanhaltende psychische Folgen für trans* Personen | |
Die Diskriminierung und soziale Ausgrenzung sowie physische Übergriffe | |
haben schwerwiegende Folgen für Betroffene. Studien zeigen, dass 40 Prozent | |
aller trans* Personen Suizidgedanken haben oder von selbst verletzendem | |
Verhalten berichten – bis zu 7,7-mal höher als der | |
Bevölkerungsdurchschnitt. | |
„Wir bekommen schräge Blicke auf der Straße, im Bus, bei der Arbeit, auf | |
den Toiletten oder in der Familie.“ Männer seien häufig aggressiv, in der | |
U-Bahn sei ihr vor die Füße gespuckt worden, berichtet Frank. „Aber ich | |
habe gelernt, nicht zu reagieren. Wenn man den Mund aufmacht, passiert noch | |
mehr.“ Sie und ihre Trans*-Freundinnen hätten häufig Angst, als | |
Trans*personen erkannt zu werden, denn das erhöhe das Risiko für einen | |
Angriff. Was ihr zunehmend Sorge bereitet: „Der Rechtsruck und Populismus | |
verstärkt Trans*feindlichkeit.“ Im Sommer hatten bundesweit Neonazi-Gruppen | |
fast 30 CSD-Demos angegriffen. | |
In Berlin sei die Akzeptanz für trans* Personen in einigen Bezirken höher | |
als in anderen. „In Randbezirken kriegt man ständig irritierende Blicke und | |
wird angefeindet“, berichtet Frank. Aber auch um Bezirke wie Neukölln | |
machten einige aus ihrer Community einen großen Bogen. Auch Frank, die in | |
Gropiusstadt wohnt, sagt: „Ich finde Neukölln an manchen Gegenden, wie dem | |
Hermannplatz, als Transfrau sehr unangenehm. Abends gehe ich nicht mehr | |
raus, das ist zu gefährlich.“ Lieber würde sie in Friedrichshain wohnen | |
wollen. | |
Doch der angespannte Wohnungsmarkt trifft trans* Personen besonders | |
stark. Als marginalisierte Gruppe sind sie in prekären Lebenslagen einem | |
erhöhten Risiko von Wohnungs- und Obdachlosigkeit ausgesetzt. Seit Juni | |
2023 gibt es daher das Projekt Housing First Queer, das in der Trägerschaft | |
der Schwulenberatung, queeren obdach- oder wohnungslose Menschen Wohnungen | |
vermittelt. „Aber die befinden sich meistens in Außenbezirken, wie Spandau | |
oder Lichtenberg, wo viele trans* Personen aus Sorge vor Übergriffen nicht | |
hinziehen wollen“, sagt Frank. Sie fordert: „Es muss Wohnungshilfe auch in | |
trans*freundlichen Bezirken und nicht nur Außenbezirken geben.“ | |
## Zunahme von trans*feindlichkeit in sozialen Medien | |
[3][Die Angriffe nähmen nicht nur im realen Leben, sondern auch in den | |
sozialen Medien zu], berichtet Frank, die als Aktivistin im digitalen Raum | |
sehr sichtbar ist. „Meine Kommentarspalte ist auf manchen | |
Social-Media-Plattformen ein Sammelbecken für Hetze von der rechten und | |
konservativen Community.“ Aus gewissen Portalen müsse man sich fernhalten, | |
X verwende sie etwa gar nicht mehr. Unter ihre Posts schreiben | |
Nutzer*innen Kommentare, wie: „rasier dich mal richtig“ oder „der Mensch | |
verkleidet sich nur“. Frank bemängelt fehlende Aufklärung: „Die Menschen | |
verstehen unsere Lebensrealität nicht. Trans*sein heißt nicht, dass man | |
sich verkleidet. Das ist keine Wahl, sondern eine Identität.“ Es brauche | |
daher mehr Bildungsarbeit sowie Aufklärungskampagnen in den sozialen | |
Medien. | |
Dazu möchte die trans*-Aktivistin Béla Belissima mit ihrem Podcast | |
„Queering the Perspective“ beitragen. Sie bietet queeren und | |
(nicht-binären) trans* Personen eine Plattform, um ihre Erfahrungen | |
sichtbar zu machen und eigene Narrative zu setzen. „In meiner Jugend hatte | |
ich selber kaum Zugang zu Wissen über Menschen mit ähnlichen Erfahrungen“, | |
sagt die 26-Jährige. „Geschlechterbinarität wird überall reproduziert. Als | |
trans* Personen sind wir eine vermeintliche Abweichung, die nicht | |
existieren soll.“ Obwohl sie in Kreuzberg aufwuchs, habe sie lange nicht | |
einmal gewusst, dass es trans* Personen gibt. | |
Mit ihrem Aktivismus will sie Ambivalenzen und Nuancen von queeren | |
Erfahrungen sichtbar machen. Denn: „Es gibt sehr viele Berichte über | |
trans* Personen von cis Personen. Darin wird fast immer ein Opfer- oder | |
Helden-Diskurs konstruiert. Einfach ein normaler Mensch zu sein ist selten | |
möglich“, bemängelt sie. Zudem ist es ihr wichtig, persönliche Geschichten | |
mit globalen Machtstrukturen zu verbinden. „Das Persönliche ist politisch. | |
Unsere individuellen Erfahrungen haben Struktur.“ | |
Struktur habe auch die Trans*feindlichkeit in Behörden, sagt Belissima. | |
Seit dem 1. November wurde das mittlerweile für verfassungswidrig erklärte | |
Transsexuellengesetz aus den 1980er Jahren vom Selbstbestimmungsgesetz | |
abgelöst. Vorher mussten Personen zur Namens- und Personenstandsänderung | |
demütigende Prozesse über sich ergehen lassen, die mit vielen Hürden und | |
hohen Kosten verbunden waren. | |
„Wir mussten uns vor den Behörden nackt machen“, berichtet auch Penelope | |
Frank. Manche hätten Glück gehabt mit Gutachter*innen und Richter*innen, | |
andere berichteten von Fragen, wie mit wem und was für Sex sie hatten oder | |
ob sie Rock oder Hose trugen. „Privat ist privat“, protestiert Frank. „Das | |
geht niemanden etwas an.“ | |
## Kritik am Selbstbestimmungsgesetz | |
Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz soll die Änderung des Vornamens und | |
Geschlechtseintrags weniger bürokratisch beim Standesamt möglich sein. | |
Doch auch an dem neuen Gesetz hagelt es Kritik. Bemängelt werden unklare | |
Vorgaben darüber, welche Vornamen akzeptiert werden und wie | |
„geschlechtstypisch“ sie sein müssen. Die Entscheidung liegt bei den | |
Standesbeamt*innen. Auch Béla Belissima berichtet: „Mein Name wurde nicht | |
als weiblicher Vorname anerkannt, obwohl ich mich damit identifiziere.“ | |
Erst nachdem sie in Berufung ging, sei er akzeptiert worden. „Damit wird | |
unsere Existenz weiterhin von oben herab reguliert und wird dürfen noch | |
immer nicht frei entscheiden, wer wir sein wollen.“ | |
Zudem gebe es viele ungeschulte, unsensible Mitarbeiter*innen, die | |
Personen etwa mit ihren Deadnames oder Deadgenders ansprechen, also jenen | |
Namen oder Pronomen, die die Personen abgelegt haben. Kritisiert wird | |
schließlich, dass Transfrauen im Verteidigungsfall als männliche Soldaten | |
eingezogen werden. „Das delegitimiert die Identität komplett“, kritisiert | |
Belissima. | |
Ihre Forderungen: „Juristische Gleichstellung, leichterer Zugang zu | |
Hormonen und uneingeschränkte Kostenübernahme von medizinischen | |
geschlechtsangleichenden Maßnahmen durch die Krankenkasse.“ | |
Bei der aktuellen politischen Lage gehe es aber auch darum, den Status quo | |
zu erhalten und zu verhindern, dass errungene Fortschritte wieder | |
rückgängig gemacht werden. „Die gesellschaftliche Stimmung ist aufgehetzt | |
und Wahlen werden mit anti-LGBTQIA* (und besonders anti-trans*) Propaganda | |
gewonnen. Deshalb müssen wir als Community resilienter werden und | |
zusammenwachsen, denn die Zeiten werden für uns nicht leichter“, sagt | |
Belissima. | |
## Forderung nach mehr Solidarität mit trans* Personen | |
Ihr Appell: „In den Diskurs muss mehr Menschlichkeit gebracht werden.“ | |
Trans* Personen würden noch immer in die Kategorie „freak“ gesteckt und | |
allein gelassen. Sie wünscht sich mehr Solidarität und Zivilcourage, vor | |
allem von nicht Betroffenen. „Sie sollen ihre Privilegien nutzen, um das | |
Überleben und Wohlbefinden anderer zu sichern.“ | |
Das können sie am Trans Day of Remembrance direkt in die Tat umsetzen: um | |
18 Uhr rufen antifaschistische Gruppen zu einer Demonstration auf dem | |
Kreuzberger Zickenplatz auf. | |
20 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Transgender-Day-of-Remembrance/!5254600 | |
[2] /Gewalt-gegen-LGBTIQ-Community/!5900163 | |
[3] /Queerfeindlichkeit-im-Netz/!5949678 | |
## AUTOREN | |
Lilly Schröder | |
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