# taz.de -- Forscher über den NS-Begriff von Arbeit: „Deutsch ist die Idee, … | |
> Nikolas Lelle hat ein Buch über die NS-Devise „Arbeit macht frei“ | |
> geschrieben. Bis heute spielt der Begriff der Arbeit bei Rechtsextremen | |
> eine Rolle. | |
Bild: Grausamer Nazi-Zynismus: das Tor des ehemaligen Konzentrationslagers Sach… | |
taz: Herr Lelle, „Arbeit macht frei“ ist vielleicht die berüchtigtste | |
Nazi-Losung, weil sie ausgerechnet an den Toren diverser | |
Konzentrationslager von Freiheit erzählt. Ist das mehr als ein grausamer | |
und zynischer Scherz? | |
Nikolas Lelle: Für die KZ-Häftlinge war das sicher die wesentliche | |
Bedeutungsebene, weil sie den Zynismus, die Lüge und die Folter in diesem | |
Satz immer wieder erfahren mussten, wenn sie nach dem Arbeitstag zurück ins | |
Lager getrieben wurden. Es gibt allerdings auch Zeugnisse von Gefangenen, | |
die sich kurz haben täuschen lassen und wohl dachten: „Arbeiten kann ich, | |
das schaffe ich. Ich bin jung und ich komm hier wieder raus.“ | |
taz: Wissen Sie, wie die Nazis selbst den Satz gelesen haben? | |
Lelle: Im NSDAP-Monatsblatt „Schulungsbrief“ ist 1943 ein Artikel mit dem | |
Titel „Unsere Arbeit macht uns frei“ erschienen. Vielleicht hat auch ein | |
Aufseher im KZ tatsächlich gedacht, seine Arbeit sei das Totschlagen und | |
befreie etwas. Vielleicht müssen wir auch ernst nehmen, dass die [1][Nazis | |
in ihrem Erlösungsantisemitismus] geglaubt haben, dass sie eine heile Welt | |
bekämen, wenn sie die Juden erst vernichtet hätten. | |
taz: Was ist das überhaupt mit der Arbeit im deutschen Faschismus? Die | |
NSDAP wollte ja dem Namen nach eine Arbeiterpartei sein. | |
Lelle: Die Vorstellung, es gebe eine [2][besondere deutsche Form von | |
Arbeit,] spielt schon bei der Gründung 1920 eine riesige Rolle im Programm. | |
Es geht hier aber nicht darum, dass Deutsche handwerklich irgendwas besser | |
könnten. Das Besondere soll sein, dass Deutsche füreinander und für die | |
Volksgemeinschaft arbeiteten. Und diesem Gemeinnutz steht nun der jüdisch | |
identifizierte Eigennutz gegenüber. | |
taz: Das sogenannte „raffende Kapital“ gegen das „schaffende“? | |
Lelle: Ja, wobei wichtig ist, dass es hier nicht um einen Widerspruch | |
zwischen Hand- und Kopfarbeit geht. Auch die Nazis hatten Finanzminister | |
und Banken. Und wenn Krupp und [3][die deutsche Industrie Gewinne | |
einfuhren,] dann fanden Nazis das auch angemessen. Weil ja für die | |
Volksgemeinschaft gearbeitet wurde. | |
taz: Die ganze Welt stand damals vor massiven wirtschaftlichen Umbrüchen. | |
Wie deutsch ist diese deutsche Idee von deutscher Arbeit? | |
Lelle: Tatsächlich wurde in den 1930er-Jahren an vielen Orten versucht, | |
Nationalismus über Arbeit zu stärken: „In der Krise müssen wir jetzt | |
zusammenhalten“ und so weiter. Das besonders Deutsche ist die | |
Dreiecksbeziehung zwischen Antisemitismus, Staat und Gemeinschaft: die | |
Idee, man arbeite für die Volksgemeinschaft gegen das jüdische Kapital. Das | |
findet sich so nicht bei anderen, auch nicht im italienischen Faschismus. | |
taz: Sehen Sie heute noch Spuren dieser Denkweise, oder hat sich das über | |
Wirtschaftswunder und Soziale Marktwirtschaft erledigt? | |
Lelle: In rechtsextremen Mobilisierungen spielt Arbeit immer noch eine | |
große Rolle, einschließlich der Fremdbilder der Nazis: die „gierigen Juden�… | |
einerseits, in der Krise von 2007 aber zum Beispiel auch „der faule | |
Grieche“. Die AfD macht immer mal Stimmung [4][gegen „arbeitsscheue | |
Deutsche“,] auch das ist ein NS-Terminus. | |
taz: Und diese positive Sicht auf deutsche Arbeit? | |
Lelle: Auch das Selbstbild wird immer wieder genutzt. Es ist zwar eine | |
schwierige Frage, wie viel NS im heutigen Rechtsextremisten steckt, aber | |
beim Thema Arbeit sind sehr deutliche Versuche zu beobachten, | |
Arbeiter:innen über völkische Argumente auf die rechte Seite zu ziehen. | |
18 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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