# taz.de -- Michael Kohlhaas am Theater Osnabrück: Auf sie mit Durcheinanderge… | |
> Allzu plakativ: Am Theater Osnabrück wird die Geschichte des | |
> Gerechtigkeit suchenden Michael Kohlhaas zur Krawallnummer. | |
Bild: 2013 auch im Kino zu sehen: Michael Kohlhaas (Mads Mikkelsen) | |
Osnabrück taz | Der Anfang täuscht. Lattenzaun und Plastikstuhl auf einem | |
Drehpodium, das könnte ein Hinweis sein auf textkonzentriertes Spartheater. | |
So wird in Osnabrück die Ausgangssituation von [1][Heinrich von Kleists] | |
Novelle „Michael Kohlhaas“ vorgestellt: Den putzig Pferd spielenden Michi | |
Wischniowski muss der leicht ironisch rechtschaffene Kohlhaas (Thomas | |
Kienast) an einer Grenze zurücklassen: Der Grund-und-Boden-Besitzer fordert | |
ein Pfand für einen fehlenden Passierschein. | |
Als der Rosshändler zurückkehrt, liegt sein Gaul fast totgeschunden am | |
Boden. Zunehmend empört erzählt Kohlhaas, wie er am korrupten Rechtssystem | |
scheitert. Bei einem Bittgesuch wird auch noch seine Frau (Rebekka Biener) | |
tödlich verletzt. | |
Aus ein bisschen [2][Bewunderung für Herrn Kohlhaas], der den | |
vorgeschriebenen Weg durch die Instanzen geht, erwächst Mitgefühl | |
angesichts der quälenden Ungerechtigkeiten. Jetzt müsste, der Vorlage | |
gemäß, Verstörung einsetzen: darüber, dass der Protagonist sich zum | |
unbeugsamen Idealisten stilisiert, der gegen ein repressives System kämpft. | |
Dabei aber der Psychologie des Terrorismus folgt und selbst Brandschatzer | |
und Mörder wird. | |
Diese Verstörung sucht auch Lorenz Noltings Inszenierung – will sie aber | |
nicht anhand von Kleist auf der Bühne entwickeln, sondern unter dem Titel | |
„Kohlhaas (Glück der Erde, Rücken der Pferde)“ mit selbst- sowie von Sofie | |
Boiten verfassten Texten im Publikum provozieren. | |
## Ist AfD-Hetze oder RAF-Gewalt gemeint? | |
Dort sieht Kohlhaas einen „Acker voller Keime des Zorns! Keime, die nur | |
einen Kippmoment davon entfernt sind, zu voller Ernte aufzublühen!“ Oder: | |
„Wir haben hier gemeinsam genug Probleme im Raum, um ganz Deutschland | |
anzuzünden.“ | |
Schon toben Anklagen los: Großkonzerne werden als Burgen heutiger | |
Feudalherrscher bezeichnet. Es fallen Stichworte wie | |
„[3][Cum-Ex-Strafverfahren]“, „Mobbing“, „Jeff Bezos“ und so weiter… | |
dass wir Zuschauer:innen den inneren Schalter umlegen, die Weltlage | |
nicht mehr bloß hinnehmen, sondern Widerstand als unsere Pflicht ansehen? | |
Ob damit nun Wutbürgertum, AfD-Hetze oder RAF-Gewalt gemeint sind, bleibt | |
unklar. Denn es regiert ein in die Unverständlichkeit galoppierender | |
Dauererregungstonfall, das Genre: Vollgas-Schreitheater. | |
Bald sind Kohlhaas und die wieder lebendige Gattin in Cowboy-Lächerlichkeit | |
hergerichteter Gegensatz: Sie will die Reformation der Verhältnisse ohne | |
Gewalt, er schmeißt sich in Piffpaffpuff-Pose und zieht sich zu Orgelmusik | |
in den Untergrund zurück, einen plastikgrünen Nebenraum, um die Revolution | |
zu planen. | |
## Kuchen! Käse! Champagner! | |
Irgendwann sinkt er zusammen und rätselt lauthals, was sein Antrieb sei und | |
woran er glaube. Eine Teufelspuppe räsoniert rasend, dass nur an den Markt | |
zu glauben sei als „die ordnende allwissende Kraft“. | |
Ja, schon die Französische Revolution habe „nur neue Käuferschichten | |
freigesetzt, die endlich auch so konsumieren konnten wie das Ancien Regime! | |
Kuchen! Käse! Champagner!“ Genauso sei es gewesen bei der Russischen | |
Revolution, beim Prager Frühling und am Ende der DDR. | |
Aber das alles ist nur in der Textfassung nachzulesen: Live lässt sich kaum | |
etwas nachvollziehen im performativen Durcheinanderbrüllen gegen das | |
Ohnmachtsgefühl. Dazu spendiert die Regie Nebel, Metal-Musik, Videos, | |
Bühnenrotation, Lichteffekte, Agitprop-Parolen, Gesänge, | |
Leidensausdrucktanz, Flugblätter … nur das Pferd, das wahre Opfer, bleibt | |
zumeist unbeachtet am Rand des Tohuwabohus. Sklavenhaft klopft es Steine | |
oder boxt in Napoleon-Uniform. | |
Wer mag, kann nun über Kleists feindliche Haltung gegen den französischen | |
Kaiser nachdenken. Aber dazu müsste man davon schon etwas wissen, denn | |
dieser laut-grelle Theaterabend vermittelt statt historischer Einordnung | |
hauptsächlich die Behauptung von Aktualität. | |
N ächste Vorstellungen: 4., 7. + 8. 1. 2025, [4][Osnabrück, Emma-Theater] | |
15 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Begegnungen-in-Frankfurt-Oder/!5954042 | |
[2] /Buch-ueber-westliche-Moderne/!6040811 | |
[3] /Scholz-im-Cum-Ex-Untersuchungsausschuss/!6051225 | |
[4] https://erleben.osnabrueck.de/de/stadt-erleben/sehenswertes/emma-theater/ | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
## TAGS | |
Theater Osnabrück | |
Theater | |
Osnabrück | |
Inszenierung | |
Bühne | |
Heinrich von Kleist | |
Lübeck | |
Theater | |
Frankfurt Oder | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Christa Wolfs „Medea“ in Lübeck: Pulli muss Medea tragen | |
Zino Wey hat für die Bühnenfassung die Ostalgie aus Christa Wolfs „Medea. | |
Stimmen“ getilgt. Gezeigt wird sie in Lübeck als ein Drama über | |
Fremdenhass. | |
Kleist an der Schaubühne Berlin: Mensch bleiben im Krieg | |
Wie soll man als Soldat im Krieg nicht verrückt werden? Um diese Frage | |
kreist Jette Steckels Inszenierung vom „Prinz von Homburg“in Berlin. | |
Begegnungen in Frankfurt (Oder): Die Freude am Provinzschock | |
In Frankfurt kann man noch neues kennenlernen. Interessant ist etwa zu | |
beobachten, was Begegnungen mit zeitgenössischer Kunst auslösen können. |