# taz.de -- Jubiläum der Komödie am Kurfürstendamm: „Vorhang auf!“ seit … | |
> Die Komödie am Ku’damm feiert runden Geburtstag. Aber nicht im eigenen | |
> Haus, das wurde vor Jahren abgerissen. Ein Bühnenbesuch am Potsdamer | |
> Platz. | |
Bild: Ein Teil des Bühnenbildes von „Mord im Orientexpress“, Inspizient St… | |
Berlin taz | Da schwebt gerade ein Zugabteil von oben herab. Na ja, nur ein | |
Teil davon und kein echtes. Es handelt sich um eine Attrappe, mit | |
nostalgischen Touch in Königsblau und goldenem Ornament bemalt. Wir sind im | |
Theater am Potsdamer Platz, auf der wirklich großen Bühne, sie ist 28 Meter | |
hoch! Gerade wird das Bühnenbild für ein Stück aufgebaut, denn ab 2. | |
November (und bis 24. November) rollt er wieder, der Orientexpress nach dem | |
Krimi von [1][Agatha Christie]. | |
Mehr als 93.000 Menschen haben [2][„Mord im Orientexpress“] bereits | |
gesehen. Über hundertmal hat die [3][Komödie am Kurfürstendamm], die im | |
Theater am Potsdamer Platz ein vorübergehendes Domizil gefunden hat, die | |
Inszenierung von Katharina Thalbach schon gespielt. Thalbach glänzt in der | |
Rolle des Meisterdetektivs Hercule Poirot. Ein Kassenschlager. Gut fürs | |
Haus, das in den letzten Jahren arg zu leiden hatte. | |
Dabei hat die Traditionsbühne etwas zu feiern und macht das auch mit einer | |
[4][Jubiläumsveranstaltung] am 3. November. „100 Jahre Komödie am | |
Kurfürstendamm – Gekommen, um zu bleiben“ heißt die Jubiläumsmatinee, bei | |
der unter anderem die Geschwister Pfister, Ilja Richter, Gayle Tufts und | |
natürlich auch Katharina Thalbach auftreten. | |
Eine der zwei Bühnen – die Komödie am Kurfürstendamm – wird 100 Jahre al… | |
Damals hatte der renommierte Regisseur [5][Max Reinhardt] zwei benachbarte | |
Bühnen an der Flanier- und Einkaufsmeile Berlins übernommen: das Theater | |
und die Komödie am Kurfürstendamm. Die Komödie wurde am 1. November 1924 | |
eröffnet. Hier erfand Reinhardt das deutsche Unterhaltungstheater (manche | |
nennen es auch: Boulevardtheater) – das hatte es bis dahin nur in London | |
und New York gegeben. Eine gute Idee, wie sich herausstellte. | |
## Großstädtisches Unterhaltungstheater | |
Das Haus steht bis heute für großstädtisches, gehobenes | |
Unterhaltungstheater und zieht auch heute noch Einheimische wie Touristen | |
an. Nicht zuletzt wegen der vielen Schauspielstars, die man sonst aus | |
Fernsehen oder Kino kennen könnte. Harald Juhnke war hier früher Dauergast, | |
Günter Pfitzmann feierte Erfolge, ebenso Katja Riemann, Christoph Maria | |
Herbst oder Maria Furtwängler … | |
„Nach der Wende waren bei uns auch Stars aus der ehemaligen DDR wie Heinz | |
Rennhack, Winfried Glatzeder und Walter Plathe zu sehen“, erzählt Stephan | |
Emmerich, der im Haus als Inspizient arbeitet und als solcher den gesamten | |
künstlerischen und technischen Ablauf einer Bühnenaufführung koordiniert | |
und somit ein Bindeglied zwischen Kunst und Technik ist. „Hier sitze ich | |
bei Vorstellungen“, sagt Emmerich, und zeigt auf einen kleinen Tisch mit | |
Monitoren, Headsets und Mikrofon neben der Bühne. „Meine Schaltzentrale, | |
von hier aus kann ich alle Gewerke erreichen und Anweisungen geben, wie: | |
Vorhang runter!“ | |
Stephan Emmerich ist dem Haus seit 42 Jahren verbunden. Als Studentenjob | |
hat er dort Weihnachten 1982 angefangen, erzählt der 64-Jährige der taz. Er | |
studierte Pädagogik – nicht „sehr erfolgreich“ –, brauchte Geld, hatte | |
keine reichen Eltern. Lieber in der Kneipe arbeiten – oder doch eher als | |
Kulissenschieber im Theater? Es ging mit einem Stück mit Günter Pfitzmann | |
los. Der Bühnenbildner hatte sich eine Bücherwand ausgedacht, die mittels | |
eines Motor hoch- und runtergeklappt werden konnte, damit eine zweite | |
Spielebene eröffnet wurde – doch zwei Tage vor der Premiere ging der | |
Elektromotor kaputt. „Da mussten wir improvisieren. Also kamen zwei | |
Bühnenmitarbeiter in Kostümen auf die Bühne, die die Bücherwand immer | |
händisch runterklappen mussten und wieder hoch.“ | |
Das war sein erster Job als Student, mehr ein Zufall, vermittelt von einem | |
Freund, der in einem besetzten Haus in Moabit wohnte. Stephan Emmerich ist | |
gebürtiger Westberliner, „aufgewachsen in Friedenau, allerdings, wie mein | |
Bruder immer sagt, auf der Sozialhilfeseite“. | |
## Westberliner Zeiten | |
Er hat „Blut geleckt und Interesse geweckt“ und blieb am Theater. Beim | |
Licht gab es damals eine Personallücke … Und so ist er nach und nach durch | |
fast alle Gewerke gewandert. „Vom Licht und Ton und Bühne bis hin zum | |
Ankleider, hab ich fast alles durch hier am Haus. Ich hab auch schon mal | |
ein bisschen mitgespielt.“ Ab Mitte der 1980er Jahre arbeitete Emmerich als | |
fest angestellter Bühnentechniker. „Das Studium wurde immer langweiliger, | |
das Theater immer spannender.“ | |
Wie war das damals so, in Westberliner Zeiten? „Die beiden Häuser am | |
Ku’damm – ach, das war einfach eine wunderbare Arbeitsatmosphäre“, blickt | |
Stephan Emmerich in die Vergangenheit zurück. Und sagt, na ja, das war | |
„schon ein ganz typisches Westberliner Milieu“ und das hätte bis 1990 gut | |
funktioniert. „Wir waren praktisch jeden Tag ausverkauft.“ | |
Der Bruch kam nach der Wende, wie in vielen Wirtschaftsbereichen | |
Westberlins: Das geschlossene Westberlin wurde aufgebrochen, auch in der | |
Theaterlandschaft. „Aus einer halben Stadt wurde eine ganze mit doppelt so | |
viel Theatern. Und die Leute rannten woanders hin.“ Erstmals gab es leere | |
Sitze. „Das kannten wir nicht. Das war eine schwierige Zeit.“ Aber das Haus | |
habe schnell DDR-Größen engagiert – mit Erfolg – und damit auch Publikum | |
aus Ostberlin angezogen. | |
Es gab Aufs und Abs. Aber als weitaus größten Einschnitt in der | |
Hausgeschichte habe er die Zeit erlebt, in denen „uns die Grundstücke | |
weggekauft wurden“, wie er das eher vorsichtig formuliert. Das | |
Privattheater musste 2018 schließen und sich vom Kurfürstendamm | |
verabschieden. Das ging nicht ohne Protest, auch seitens des treuen | |
Publikums und Teilen der Politik. „Viele Prominente legten für uns ein | |
gutes Wort ein. Doch die Stimmung war bitter“, erinnert sich Emmerich, | |
„aber auch kämpferisch. Notfalls machen wir auf Hausbesetzer, sagten wir | |
uns, dann sollen sie uns raustragen.“ | |
## Ein „beschämender Abriss“ | |
Doch dazu kam es nicht. Und es nützte ja doch alles nichts. Die | |
Mietverträge wurden gekündigt, die beiden historischen Theater abgerissen. | |
Den „beschämenden Abriss“, hat Katharina Thalbach gegenüber der Deutschen | |
Presse-Agentur (dpa) als „ein sehr unschönes Kapitel in der Berliner | |
Geschichte“ bezeichnet. Dazu gehört, dass die beiden Theater nie unter | |
Denkmalschutz gestellt wurden, was einen Abriss hätte verhindern können. | |
Seit September 2018 spielte das Theater und die Komödie unter dem Namen | |
Komödie am Kurfürstendamm im unweit entfernten Schiller Theater. Weil dort | |
aber die Komische Oper einziehen musste (deren Haus saniert wird), folgte | |
Anfang 2023 ein weiterer Umzug ins Theater am Potsdamer Platz, dem leer | |
stehenden Musical-Haus. Es sollte eigentlich der Letzte sein, bevor man das | |
neu gebaute Haus im Ku’damm-Karree beziehen würde – im Kellergeschoss des | |
Hofs am Kurfürstendamm ist das neue Theater (dann nur noch eins) mit 670 | |
Plätzen geplant. „Ein bitterer Kompromiss“, nennt das Stephan Emmerich. Der | |
Bau des neuen Hauses ist vertraglich fixiert. | |
Doch die Bauarbeiten ziehen und ziehen sich. Das Filetstück am Ku’damm hat | |
etliche Besitzerwechsel erlebt. „Und jedes mal muss man den neuen | |
Eigentümern erklären, was in den Verträgen steht.“ Immerhin: Derzeit steht | |
der Rohbau. Und es wird noch dauern, glaubt Emmerich, der seit 1992 auch | |
Betriebsratsvorsitzender ist. Irgendwann wird es wohl fertig sein. 2026 ist | |
versprochen, oder? | |
Stephan Emmerich zieht scharf die Luft ein. „Ich hab irgendwann aufgehört, | |
an die Versprechungen zu glauben“, sagt er lachend. „Aber möglicherweise | |
wird es tatsächlich 2026 werden. Hier im Haus laufen schon Wetten, ob ich | |
das aktiv erleben werde.“ Warum das denn? „Weil ich Ende 2026 in Rente | |
gehe.“ Natürlich hat die Firma in den Zeiten des Aus- und Umzugs gelitten, | |
räumt Emmerich ein, der das durch seinen Job als Inspizient und | |
Betriebsratsvorsitzender gut beurteilen kann. | |
## „Das tut vielen Leuten weh, auch heute noch“ | |
„Als Familienunternehmen am Ku’damm hatten wir alles an einem Ort, die | |
beiden Bühnen links und rechts, die Verwaltung in der Mitte, die | |
Werkstätten. Alles an einem Standort.“ Das hatte seine Vorteile: kurze | |
Wege, jeder kannte jeden. „Das ist jetzt zerrissen. Und das tut vielen | |
Leuten weh, auch heute noch, die dieses Familiending liebten.“ Als Beispiel | |
nennt er die Werkstatthalle, die sich nun in Spandau befindet, das bedeutet | |
lange Wege für die Bühnenbauer und Elektriker. „Und man sieht sich so | |
selten. Das ist anstrengend und macht auch traurig. Und verbraucht mehr | |
Ressourcen als früher.“ | |
Und mal ehrlich: „Das Theater am Potsdamer Platz ist eigentlich zu groß für | |
uns“, es wurde halt gebaut, um riesige Musicals zu spielen. Aber „Mord im | |
Orientexpress“ mit seinem ausladenden Bühnenbild passt hier schon gut her. | |
1.559 Menschen auf einmal können zuschauen. Wie gesagt: ein Kassenschlager. | |
Seit den 1950er Jahren wird die Berliner Theaterinstitution durchgehend von | |
Familie Woelffer betrieben – mittlerweile in der dritten Generation von | |
Martin Woelffer. Auch für ihn ist die Inszenierung von „Mord im | |
Orientexpress“ ein Glücksfall: „Das ist die teuerste Produktion, die mein | |
Team und ich jemals gestemmt haben und sie hatte wahrlich einen schwierigen | |
Start, denn wir mussten die Premiere wegen des ersten Coronalockdowns | |
absagen“, sagte er der dpa. | |
„Als wir dann mit 16-monatiger Verspätung endlich damit herausgekommen | |
sind, durften wir nur die Hälfte der Plätze besetzen. Doch das war alles | |
nicht schlimm, denn die Zuschauer:innen waren unglaublich dankbar, dass | |
sie wieder ins Theater gehen konnten, und haben jede Minute des Spektakels | |
genossen. Wir sind mit der Inszenierung wirklich ein Wagnis eingegangen, | |
aber es hat sich gelohnt“, so Woelffer. | |
31 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Agatha_Christie | |
[2] https://www.komoedie-berlin.de/produktionen/mord-im-orientexpress.html | |
[3] https://www.komoedie-berlin.de/start/index.html | |
[4] https://www.komoedie-berlin.de/produktionen/100-jahre-komoedie-am-kurfuerst… | |
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Reinhardt | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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