Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Digitale Plattformen und Gentrifizierung: „Ostberlin ist in der H…
> Welchen Einfluss hat die Vermietungsplattform auf Großstädte wie Berlin?
> Ein Interview mit den Soziolog:innen Christina Hecht und Simon Pohl.
Bild: Nachdem sich Airbnb breitgemacht hat, gibt es bald nur noch Touris im Kiez
taz: [1][Airbnb gilt in Berlin als Problemfall]. Es ist nachgewiesen, dass
das Unternehmen Mietwohnungen zweckentfremdet und für Gentrifizierung
mitverantwortlich ist. In den letzten Jahren brachte der Senat mehrere
Versuche auf den Weg, das Unternehmen zu regulieren. Warum braucht es
soziologische Forschung zu dem Thema?
Christina Hecht: Airbnb ist eine dieser Plattformen, die massiv verändern,
wie gesellschaftliche Teilbereiche funktionieren. Diesen Akteuren wird
häufig extrem viel Macht zugeschrieben. Gerade am Anfang hatten viele das
Gefühl, Airbnb stellt die etablierte Ordnung auf den Kopf und macht
einfach, was es will. Was ich daran spannend finde, ist, wie andere Akteure
damit umgehen, wie Konflikte tatsächlich ausgehandelt werden und wie
Plattformunternehmen in die Schranken gewiesen werden können.
taz: Wie sind Sie an diese Fragestellung rangegangen?
Simon Pohl: Airbnb ist dankbarerweise ein Unternehmen, das Daten-Scraping
zulässt. Du kannst ein Programm schreiben, das scannt einmal die Seite ab
und kopiert alle Informationen, die da darauf öffentlich zugänglich sind.
Dadurch konnten wir bestimmen, wie viele Tage im Jahr die Anzeigen online
sind, wo sie lokalisiert sind und wie viele Reviews sie haben. Damit können
wir ganz viel, was die Praxis von Airbnb ausmacht, nachvollziehen. Gerade
machen wir vor allem Hotspotanalysen und Untersuchungen zur
Marktzusammensetzung. Wir schauen uns an: Welche Wohngebiete sind besonders
betroffen? Wie hat sich der Markt über die Jahre entwickelt? Inwiefern
entwickelt sich das Verhältnis von professionellen Anzeigen und von
Amateur-Anzeigen?
Hecht: Ich mache vor allem den qualitativen Teil. In der quantitativen
Analyse siehst du manche Dinge nicht. Was sind das jetzt für Leute, was
machen die, warum machen die das? Ich habe mit vielen Hosts und
Stakeholdern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gesprochen.
taz: Die Selbsterzählung von Airbnb lautet ja, dass die Plattform Menschen
wie du und mir die Gelegenheit bietet, kurzzeitig Gäste aufzunehmen, falls
mal ein Zimmer frei ist oder man für ein paar Wochen in den Urlaub fährt.
Was sagen Ihre Forschungsergebnisse?
Pohl: Wir sehen sehr deutlich, dass das eine Werbekampagne von Airbnb ist.
Rund 75 Prozent der Angebote in Berlin würden wir als „professionell“
klassifizieren. Das heißt, sie sind länger als 120 Tage im Jahr verfügbar
oder es sind mehrere Anzeigen pro Host. Nur 25 Prozent sind Angebote, wo
wir sagen würden, das sind ganz klar Amateure. In anderen Städten, die wir
untersucht haben, ist es ähnlich.
taz: Das überrascht. [2][Berlin hat 2018 deutlich strengere Regeln für die
Vermietung von Ferienwohnungen verabschiedet.] Demnach müssen sich Hosts
bei den Bezirken registrieren, und wenn mehr als die Hälfte der Wohnfläche
vermietet wird, brauchen sie sogar eine Genehmigung. Ohnehin ist das
Vermieten von Wohnraum als Ferienwohnung durch das
Zweckentfremdungsverbotsgesetz genehmigungspflichtig.
Pohl: In der Regulierung gibt es eine krasse Lücke: Gewerbeeinheiten sind
nicht erfasst vom Zweckentfremdungsverbotsgesetz. Das führt dazu, dass
tatsächlich Amateur:innen tendenziell am Markt ausgebremst werden. Es
ist ziemlich aufwendig, so eine Lizenznummer zu bekommen, wenn du dein
Zimmer mal in deinen eigenen Ferien untervermieten möchtest. Aber
professionelle Akteur:innen haben dadurch einen ganz klaren
Businessplan. Sie wissen, ich kann ganz gezielt nach ehemaligen Arztpraxen
suchen, nach Wohnungen, die mal als Büro genutzt wurden, ehemalige
Ladengeschäfte und so weiter.
Hecht: Das kommt in den Interviews auch sehr gut raus. Viele von den Hosts,
die sehr professionell agieren, sagen: Ja, ich kaufe Gewerbeeinheiten,
damit der Staat mir nichts vorschreiben kann und damit mein Geschäftsmodell
sicher ist.
taz: Gibt es so was wie einen typischen Airbnb-Host in Berlin?
Hecht: Diese richtig großen Unternehmen, die Wohnungen auf Airbnb anbieten,
wollten nicht mit mir reden. Aber ansonsten hast du alles. Vermieter:innen,
die das sehr professionell machen, die sich noch Hausmeister, Putzkräfte
und Menschen für die Verwaltung dazuholen. Dann hast du Leute, die nur ab
und zu vermieten, die machen das eher alleine. Die Frage ist, wie machen
wir diese Unterscheidung zwischen Professionell und Amateur? Zum Beispiel
gibt es Fälle, wo die Hosts zwischen zwei Ländern oder Bundesländern
pendeln und in beiden eine Eigentumswohnung haben, die beide auf Airbnb
gelistet sind. Das ist aber deren Nebenerwerb, die sind eigentlich
selbstständig und machen das, um sich später ihre Rente zu finanzieren.
Aber auf der anderen Seite habe ich professionelle Akteure interviewt, die
neun Wohnungen betreuen, das Vollzeit betreiben und dafür noch Leute
einstellen. Es sind beide professionell, aber trotzdem total verschieden.
taz: Wird in Berlin auch weiterhin Wohnraum illegal als Ferienwohnung
vermietet?
Hecht: Ja. Die ausführenden Behörden warten auf den Zugang zu
Vermieter:innendaten, der über eine neue EU-Verordnung geregelt werden
soll. Erst damit können sie das Zweckentfremdungsverbotsgesetz überhaupt
richtig vollstrecken. Durch Registrierungsnummern können die Behörden schon
besser nachvollziehen, wer was vermietet – wenn die Nummer denn stimmt.
Aber wenn da eine Quatschnummer steht, was die Behörden immer wieder sehen,
[3][haben sie auch keine Handhabe.]
taz: In Ihrer Forschung haben Sie auch Regulierungsansätze in anderen
Städten untersucht. Was ist Ihnen aufgefallen?
Pohl: Wir haben uns die Regulierungsansätze in Berlin, London, Amsterdam,
San Francisco und New York angeschaut. In London wurden
Plattformbetreiber:innen gezielt gefragt, wie sie dereguliert werden
sollten. Dort überlassen die Behörden Airbnb sich weitestgehend selbst, da
der Gesetzgeber keine Mechanismen und finanziellen Mittel für die Kontrolle
der wenigen Regeln vorgesehen hat. Wo konsequenter reguliert wird, ist die
zentrale Frage, wie gesagt, der Datenzugang. In Berlin, Amsterdam und
mittlerweile auch in New York ist es so, dass die Behörden Airbnb dazu
zwingen, die Plattformdaten rauszugeben. In San Francisco ist es so, dass
die Plattformen und die Stadt kooperieren.
taz: Wie läuft so eine Kooperation ab?
Pohl: San Francisco hat einen Rechtsprozess mit Airbnb geführt und ist von
einem Gericht dazu verpflichtet worden, eine gemeinsame Lösung zu finden.
Jetzt haben sie ein System aufgesetzt, wo Leute, die auf der Plattform
aktiv werden möchten, sich über eine Airbnb-Website bei der Stadt
registrieren können. Dann dürfen die Hosts schon mal vermieten, bis über
die Bewerbung entschieden ist. Das dauert manchmal neun Monate. Das heißt,
Leute, die vielleicht gar keinen Anspruch auf so eine Registrierungsnummer
haben, können neun Monate lang ihr Business machen. Eine Berichtspflicht
gibt es erst, wenn der Antrag bestätigt worden ist.
taz: Sind solche Kooperationen im Zweifel das bessere Modell?
Pohl: Wir sehen, da, wo AirBnb mit Städten kooperiert, haben wir stärker
professionalisierte Märkte. Das ist in San Francisco so, der Markt
entwickelt sich seitdem ähnlich wie in London. Sobald Amsterdam das
Kooperationsabkommen mit Airbnb aufgekündigt hat, sind die Anteile
professioneller Listings heruntergegangen.
taz: Gibt es noch andere Ergebnisse, die Sie überrascht haben?
Pohl: Die Tatsache, dass wir tatsächlich noch räumliche Arbeitsteilung
zwischen Plattformökonomie und traditionellem Tourismussektor beobachten
können. Wir sehen ganz klar, Westberlin ist in der Hand von Hotels, und
Ostberlin oder ehemalige Grenzgebiete sind ganz klar in der Hand von
Airbnb. In anderen Städten gibt es häufig eine sehr starke Deckung zwischen
Plattformen und klassischem Tourismus.
taz: Ist Airbnb ein Teil der Gentrifizierungsavantgarde im Ostteil der
Stadt?
Pohl: Das ist die Frage. Vermieten die Leute auf Airbnb, weil die
Wohnungspreise teuer sind, oder sind die Wohnungspreise so teuer, weil
Airbnb da ist? Statistische Regressionsanalyse ist nicht in der Lage, eine
Effektrichtung zu bestimmen, da musst du selber überlegen. Es ist ein
komplexes System, manche gehen halt rein, weil die Gegend attraktiv ist,
manche werden reingedrückt, weil die Lebensumstände so sind. Es ist sehr
schwierig, das auseinanderzudröseln. Ich denke aber, es ist eher die
Nachhut.
taz: Der Anteil an Ferienwohnungen in Berlin ist mit 0,5 Prozent sehr
gering. Wie sind die Effekte in den Kiezen?
Hecht: Die Angebote sind nicht gleichmäßig in Berlin verteilt, sondern
konzentrieren sich schon in zentralen, touristisch interessanten Gebieten.
Und da hat es einen massiven Einfluss, auch wenn es Gewerbeeinheiten sind.
Da war früher der Kiezbäcker, wo man den ganzen Tag sitzen konnte, auch
wenn man nur einen Kaffee getrunken hat, und der ist halt weg.
taz: Bei aller Kritik, gibt es denn auch positive Aspekte dieser Plattform?
Pohl: Plattformen als Modell sind unglaublich praktisch. Es ist
megaeffizient, du hast kaum Probleme mit Bürokratie, die staatliche
Verwaltung hat oder auch ein klassischer Hotelbetrieb. Da musst du erst mal
raussuchen, okay, welche Hotels gibt es, was sind die Preise, wie weit ist
das vom Stadtzentrum entfernt? Bei Plattformen hast du alles auf einen
Blick. Ich glaube, ein prinzipieller Plattformfatalismus bringt nichts. Wir
müssen halt schauen, wie kann man das am Gemeinwohlinteresse der
Gesellschaft orientieren? Also wie kriegen wir es hin, dass Plattformen
nicht aus Profitgier unsere Gesellschaft und unseren Zusammenhalt
kaputtmachen, sondern wie können wir wieder die Oberhand gewinnen?
Offenlegung: Der Autor wurde im Rahmen des „Journalist in
Residence“-Programms vom Forschungsverbund SFB1265 bezahlt
12 Nov 2024
## LINKS
[1] /Urteil-zu-Ferienwohnungen-in-Berlin/!5990341
[2] /Ferienwohnungen-nur-noch-mit-Nummer/!5896693
[3] /Unversteuerte-Einnahmen-durch-Airbnb/!5820170
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
Airbnb
Digitalwirtschaft
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Zweckentfremdung
Airbnb
Zweckentfremdung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gentrifizierung in Berlin: Verkauft und bedroht
Die Mieterinnen und Mieter der Schönleinstraße 19 in Kreuzberg wollen ihr
Haus vor einem Investor retten. Doch ihre Chancen stehen schlecht.
Urteil zu Ferienwohnungen in Berlin: Kein Schutz für Airbnb
Im Kampf gegen Ferienwohnungen gibt es ein wegweisendes Urteil. Bis zu
10.000 Ferienappartements könnten bald schon wieder Mietwohnungen werden.
Ferienwohnungen nur noch mit Nummer: Airbnb beugt sich
Der Konzern will nur noch Anzeigen mit Registriernummer zulassen und feiert
sich selbst dafür. Dabei ist dies seit langem bestehende Gesetzeslage.
Zweckentfremdung von Wohnraum: Wohnungen zurückgeholt
20.000 einst zweckentfremdete Wohnungen, davon 6.500 Ferienappartements
sind wieder Mietwohnungen. Bei Leerstand greift das Gesetz kaum.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.