# taz.de -- Gentrifizierung in Berlin: Verkauft und bedroht | |
> Die Mieterinnen und Mieter der Schönleinstraße 19 in Kreuzberg wollen ihr | |
> Haus vor einem Investor retten. Doch ihre Chancen stehen schlecht. | |
Bild: Mieterprotest gegen den Ausverkauf ihres Hauses Schönleinstraße 19 in B… | |
Berlin taz | Es könnten die letzten Weihnachten sein, die die Mieter der | |
Schönleinstraße 19 in ihren Wohnungen verbringen. Das baufällige Haus im | |
Kreuzberger Graefekiez ist verkauft worden. Und das Portfolio des Käufers | |
verspricht nichts Gutes für die Mieter. Die hoffen zwar auf das | |
Vorkaufsrecht. Doch ob sich der politische Wille und das nötige Geld zur | |
Rettung des Hauses finden, steht in den Sternen. | |
Die Schönleinstraße 19 – das sind 18 Wohnungen, Kohleöfen und eine | |
angestammte Hausgemeinschaft. Manche Mieter wohnen hier seit den 1970ern. | |
Der bisherige Eigentümer hätte sich wenig um das Haus gekümmert, berichtet | |
ein Mieter. Reparaturen im Haus hätten die Mieter teils selbst übernommen. | |
Dafür zahlten sie bisher aber auch eine geringe Miete von unter fünf Euro | |
je Quadratmeter. | |
Das könnte ab dem kommenden Jahr Geschichte ein. Denn nach dem Tod des | |
vormaligen Eigentümers hat ein österreichischer Investor das Haus gekauft, | |
der damit wirbt, hochpreisige Objekte in Toplagen zu entwickeln. Was er mit | |
dem Haus in Kreuzberg vorhat, ist zwar noch unklar. Eine taz-Anfrage blieb | |
unbeantwortet. | |
Dass die Mieter in der Schönleinstraße ungestört wohnen bleiben können, | |
hält Florian Schmidt (Grüne), der zuständige Bezirksstadtrat in | |
Friedrichshain-Kreuzberg, aber für unwahrscheinlich. Er befürchtet, dass | |
die zukünftigen Investoren eine Entmietung des Hauses anstreben. | |
## Drohanrufe erhalten | |
Bei anderen Häusern mit Bauschäden hätte man das bereits beobachten können. | |
Im Anschluss folgen dann meist Luxussanierungen, teurere Weitervermietungen | |
oder gleich Abriss und Neubau. „Denn nur dann kann das Gebäude Gewinn | |
abwerfen“, sagt Schmidt. | |
In der Schönleinstraße 19 haben die Mieter nicht nur Angst vor dem, was | |
ihnen kommendes Jahr droht. Der Mieter, mit dem die taz gesprochen hat, | |
sagt auch, dass er Drohanrufe erhalten habe. „Heute machen wir dich | |
kaputt“, hätte man ihm gesagt. Zudem hätten sich „zwielichtige Personen“ | |
vor dem Haus aufgehalten und ihm den Weg versperrt. Ob die Bedrohung mit | |
dem Hausverkauf in Zusammenhang steht, ist nicht bewiesen. Der Mieter hat | |
die Polizei eingeschaltet und möchte wegen der Bedrohungen lieber anonym | |
bleiben. Sein Name ist der Redaktion bekannt. | |
„Dies habe ich noch bei keinem Vorkaufsfall erlebt“, zeigt sich Baustadtrat | |
Schmidt entsetzt. Weil die Schönleinstraße im Milieuschutzgebiet liegt, | |
will er das Vorkaufsrecht für das Haus ausüben. | |
Das Instrument ermöglicht es, einen gemeinwohlorientierten Dritten an die | |
Stelle des eigentlichen Käufers in den Kaufvertrag einzusetzen. Das können | |
landeseigene Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften sein. Doch wegen der | |
Feiertage bleibt wenig Zeit. Am 7. Januar läuft die Frist ab. | |
## Sanierung wäre teuer | |
Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2021 sind solche | |
Vorkäufe nur noch möglich, wenn Häuser in einem besonders schlechten | |
baulichen Zustand sind. | |
Im vergangenen Jahr hat das in der Neuköllner Weichselstraße 52 geklappt, | |
im Frühjahr bei der Kastanienallee 86 in Pankow. Und dem Bezirksamt | |
Friedrichshain-Kreuzberg zufolge sind auch für die Schönleinstraße 19 die | |
rechtlichen Voraussetzungen gegeben. Nur stehen gemeinwohlorientierte | |
Dritte nicht gerade Schlange, um das Haus zu kaufen. | |
Zwar ist es mit einem Kaufpreis von 1,4 Millionen Euro vergleichsweise | |
günstig. Ein gemeinwohlorientierter Käufer müsste sich aber zu einer Reihe | |
von baulichen Maßnahmen verpflichten. Laut einer vom Bezirksamt in Auftrag | |
gegebenen Kostenschätzung würden für Instandsetzung und Sanierung weitere | |
2,4 Millionen Euro anfallen. | |
Die landeseigenen Wohnungsunternehmen haben bereits signalisiert, dass ein | |
Ankauf für sie unwirtschaftlich sei. In jedem Fall bräuchte ein | |
landeseigenes Unternehmen einen Zuschuss durch den Senat, um eine Rettung | |
des Hauses stemmen zu können. | |
## Mieter-Genossenschaft als Idee | |
„Beim Thema Zuschuss empfehle ich einen Blick in den Landeshaushalt“, | |
winkte Bausenator Christian Gaebler (SPD) jetzt schon ab. Auf der jüngsten | |
Sitzung des Bauausschusses des Abgeordnetenhauses sprach er sich für einen | |
Ankauf durch eine Genossenschaft aus. | |
Doch auch die infrage kommenden Genossenschaften haben bereits | |
zurückgemeldet, dass für sie ein weiterer Ankauf nicht möglich ist. In der | |
Vergangenheit sind die kleinen Genossenschaften bereits für mehrere Häuser | |
eingesprungen. Die Genossenschaften sind hohe Verbindlichkeiten | |
eingegangen. Es gebe zudem Probleme mit der Gewährung von Förderdarlehen | |
durch den Senat, sagt Stadtrat Florian Schmidt. | |
„Ein weiteres Modell könnte sein, dass zunächst eine Landesgesellschaft in | |
das Vorkaufsrecht eintritt, um das Gebäude später an eine | |
Mietergenossenschaft weiterzuveräußern“, schlägt der Grünen-Politiker vor. | |
Die Mieter könnten dadurch Zeit gewinnen. Denn auf die Schnelle bekommen | |
diese bis Anfang Januar kein Finanzierungsmodell auf die Beine gestellt, | |
bei dem sie selbst einen Teil des nötigen Geldes einsammeln, um das Haus | |
zusammen mit einer Genossenschaft zu kaufen. | |
Das Problem: Wenn eine Genossenschaft das Haus kaufen soll, werden nicht | |
nur die Mieten erhöht. Die Mieter müssten zudem beträchtliches Eigenkapital | |
aufbringen. Sie seien auch durchaus gewillt, selbst Geld aufzubringen, sagt | |
der Mieter aus der Schönleinstraße 19. Aber: „Bei uns ist niemand | |
wohlhabend.“ | |
## Lösung bis Weihnachten? | |
Ob ein landeseigenes Unternehmen für die Schönleinstraße 19 wenigstens | |
vorübergehend als Retter einspringt, hängt am Ende vom politischen Willen | |
des Senats ab. Großen Handlungswillen hat Bausenator Gaebler bisher nicht | |
gezeigt. Im Abgeordnetenhausausschuss vor gut einer Woche waren von dem | |
SPD-Politiker vor allem Spitzen in Richtung des Grünen-Stadtrats von | |
Friedrichshain-Kreuzberg zu hören. | |
Der Bezirk hätte es in der Vergangenheit versäumt, vom Eigentümer eine | |
Instandsetzung zu fordern, und würde außerdem, anders als vorgesehen, die | |
landeseigenen Wohnungsunternehmen selbst anschreiben, sagte Gaebler. | |
In Friedrichshain-Kreuzberg will man das nicht so stehen lassen. Vor dem | |
Vorkaufsfall wären dem Bezirksamt seitens der Bewohner keine Mängel | |
angezeigt worden. Die Wohnungsunternehmen habe man direkt angeschrieben, | |
„um das Verfahren nicht weiter zu verzögern“. | |
Viel Zeit, um weiter mit dem Finger aufeinander zu zeigen, bleibt nicht. | |
Damit am Ende alles klappt, müsste zumindest bis zu den Feiertagen eine | |
politische Entscheidung getroffen werden. „Mit jedem geöffneten Türchen im | |
Adventskalender zähle ich die Tage des Hauses herunter“, sagt der Mieter | |
aus der Schönleinstraße 19. Er freue sich nicht mehr auf Weihnachten, und | |
erst recht nicht die Wochen danach. | |
16 Dec 2024 | |
## AUTOREN | |
Yannic Walther | |
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